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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1033–1036

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Strutwolf, Holger

Titel/Untertitel:

Die Trinitätstheologie und Christologie des Euseb von Caesarea. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung seiner Platonismusrezeption und Wirkungsgeschichte.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 469 S. gr.8 = Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 72. Geb. DM 148,-. ISBN 3-525-55180-0.

Rezensent:

Henning Ziebritzki

Die altkirchliche Trinitätslehre ist in den letzten Jahren Gegenstand einer Reihe von patristischen Monografien zu verschiedenen Theologen gewesen. So ist u. a. 1994 die Studie von S.-P. Bergjan zu "Theodoret und der Neunizänismus" erschienen, 1995 die Arbeit von C. Markschies zur Trinitätstheologie des Ambrosius von Mailand und 1996 V. H. Drecolls Untersuchung zur "Entwicklung der Trinitätslehre des Basilius von Caesarea". Gemeinames Anliegen dieser Studien ist es, die verschiedenen theoretischen Gestalten der Trinitätslehre mit ihren spezifischen Motivationen in ihren innerkirchlichen Auseinandersetzungen und zum Teil auch in ihren kritischen Beziehungen zur zeitgenössischen Philosophie, insbesondere dem Platonismus, herauszuarbeiten.

Dieser doppelte Frageansatz ist nun auch in H. Strutwolfs Studie erkennbar, mit der der Vf. 1997 in Münster habilitiert wurde. Denn der Vf., der in der Forschung zu Recht eine "Nichtbeachtung des Theologen Euseb zugunsten des Kirchenhistorikers Euseb" (11, Anm. 1) diagnostiziert, zielt auf eine "Gesamtwürdigung" (12) der Theologie des Euseb, wie sie sich in der Trinitätslehre und Christologie darstellt. Methodisch bedeutet das zweierlei. Zum einen sieht sich der Vf. vor die Aufgabe gestellt, die Theologie des Euseb "in seiner Zeit und aus seiner Zeit heraus und das heißt auch von den von ihm vorausgesetzten Problemstellungen und Lösungsansätzen her zu verstehen" (13). Dieses methodische Postulat führt mitten in die innerkirchlichen Auseinandersetzungen des arianischen Streites (A. Der historische Rahmen: 19-61). Und zum anderen nimmt der Vf. den apologetischen Grundansatz von Eusebs Theologie konsequent ernst, die der "Entwurf einer theologischen Gesamtsicht der geistesgeschichtlichen Wirklichkeit" (16) sei. Dieser methodische Ansatz führt zu der entscheidenden Frage nach Eusebs komplexem Verhältnis zur platonischen Philosophie (B. Das "apologetische" System des Euseb: 62-86). Auf dieser Grundlage werden dann Eusebs Trinitätslehre (C. Die Aneignung der platonischen Metaphysik und die eusebianische Trinitätslehre: 87-275) sowie seine Christologie (D. Der inkarnierte Logos: 276-375) ausführlichst dargestellt. Die umfangreiche Studie schließt mit einem Teil E. Zur Wirkungsgeschichte des eusebianischen Theologie (376-420).

Im Unterschied zu anderen Forschungsergebnissen rückt der Vf. Euseb deutlich von der Position des Arius ab und streicht die Kontinuität der theologischen Position des Euseb in den arianischen Streitigkeiten heraus. Euseb zeige in der umstrittenen Frage, wie die Zeugung des Sohnes aus dem Vater zu verstehen sei, "in seinem Eintreten für den vermeintlich zu Unrecht angeklagten Arius deutlich ein nichtarianisches Profil" (30). Der Vf. bestreitet daher auch mit Recht anhand literarkritischer Argumente die Echtheit des Briefes der Synode von Antiochien im Jahre 324/25, in dem Euseb explizit als Arianer verurteilt wird. Im Gegenzug kann der Vf. zeigen, dass es das Glaubensbekenntnis des Euseb gewesen ist, das die Grundlage für das Nicaenum gebildet hat.

Das Besondere der Studie von St. liegt darin, dass Euseb gegen alle Vorurteile der Dogmengeschichtsschreibung konsequent als ein systematisch denkender Theologe vorgestellt wird. Gegenüber der apologetischen Tradition diagnostiziert der Vf. den eigentlichen Forschritt des Euseb nämlich in der Methodik des apologetischen Systems, das durchgehend die systematische Darstellung des christlichen Lehrganzen durch ein apologetisches Programm strukturiert. Denn Euseb richtet, wie der Vf. plausibel zeigen kann, das großangelegte Programm seines Doppelwerkes - der Praeparatio und der Demonstratio evangelica - an den drei zentralen Einwänden aus, die von der paganen Philosophie gegen das Christentum erhoben werden: nämlich die "Abwendung von der heidnischen Religion der Väter", die "Hinwendung zur Religion der Juden" und den hermeneutischen Missbrauch des Alten Testamentes (70). Inhaltlich leitend ist dabei die Vorstellung, dass die Philosophie Platons ihrerseits von der "hebräischen" Philosophie abhängig ist. Da Euseb in seinem apologetischen Doppelwerk somit die Übereinstimmung der platonischen und der "hebräischen" Philosophie aufzuweisen versucht, wird, wie mit dem Vf. gar nicht genug betont werden kann, "bei Euseb die christliche Platonismusrezeption in einer Weise explizit, wie bei sonst keinem anderen Kirchenschriftsteller" (87). Vor diesem Hintergrund kann der Vf. dann die Metaphysik des Euseb in ihrer Systematik rekonstruieren - was natürlich nicht ausschließt, sondern es allererst ermöglicht, auch Inkohärenzen wahrzunehmen und zu deuten.

Den Kern der Studie bildet eine detaillierte Rekonstruktion von Eusebs Lehre der göttlichen Trias in ihrem Verhältnis zum zeitgenössischen Platonismus, wie sie sich in Praep. XI darstellt. Dabei zeigt sich, dass Eusebs spezifisch christliche Entfaltung einer triadischen Metaphysyik dazu führt, dass er einzelne Theoreme der mittel- und neuplatonischen Metaphysik eklektisch rezipiert. Das freilich zieht gelegentliche Inkonsistenzen in seiner Theorie nach sich.

Der eusebianische Begriff des Vatergottes stimmt weitgehend mit dem neuplatonischen Gedanken des ersten Prinzipes überein (105-129). In beiden Fällen gilt, dass die radikale Transzendenz des ersten Prinzipes mit seiner Weltbezogenheit vermittelt wird, wie sie in der jeweiligen Lehre vom zweiten Prinzip entfaltet wird. Der Logos erscheint bei Euseb primär als "Dynamis und Organon des Vaters" (129) und wird erst sekundär im Kontext der Logoslehre in seiner hypostatischen Selbständigkeit expliziert (129-194). Grundlegend für die Logoslehre ist eine doppelte Perspektive: Der Logos wird einerseits auf einer Stufe mit dem dritten platonischen Prinzip, der Weltseele, dargestellt, andererseits wird aber die Ideenwelt des zweiten platonischen Prinzipes, des Intellektes, als Integral des Logos verstanden. Beide Funktionen, so die These von St., werden von Euseb in einem spezifisch theologischen Modell vermittelt, nämlich der Kenosisvorstellung, die "damit aus der Christologie in die Logoslehre transponiert worden ist" (185 f.).

Für diese Doppelfunktion identifiziert der Vf. nun eine strukturelle Abhängigkeit vom zeitgenössischen Platonismus in dem Sinne, "daß zwischen dem Logos qua Weisheit - als die er in seiner Ausrichtung auf den Vater als dessen Abbild die platonische Ideenwelt vertritt - und seiner Wirkung in der Welt qua Dynamis ein analoges Verhältnis zu bestehen scheint, wie zwischen dem Demiurgen-Nous und der als Kraft bzw. Äußerung desselben verstandenen Seele bei den Platonikern" (186 f.). Diese Interpretation sieht der Vf. durch die Beobachtung gestützt, dass auch bei Numenius das zweite Prinzip duplizitär verfasst ist, so dass der eusebianische Logos strukturell der "numenischen Einheit von zweitem und drittem Gott" (189) entspricht. Gegen eine solche Interpretation ist allerdings die Frage geltend zu machen, ob nicht grundsätzlich das duplizitär verfasste zweite Prinzip bei Numenius als Weltseele - nicht aber als Zweiheit von Intellekt und Seele - zu verstehen sei. Diese Inkongruenz in der Rezeption der platonischen Theoreme würde auch erklären, wie der Vf. selbst bemerkt, dass Euseb im Unterschied zu Numenius dem Logos als der zweiten Instanz eine für die Weltseele unspezifische Welttranszendenz zuschreiben kann (192 f.).

Im Hinblick auf die Pneumatologie diagnostiziert der Vf. als das entscheidende Problem die mit der Theologie des Origenes gestellte Frage, wie der Heilige Geist als ein Geschöpf des Sohnes dennoch wesentlich zur göttlichen Trias zugerechnet werden kann (194-237). In der Forschung ist ja Euseb immer wieder ein binitarischer Subordinatianismus unterstellt worden, der für eine Metaphysik des Heiligen Geistes keinen theoretischen Raum bietet. Eine Lösung sieht der Vf. darin, dass Euseb sowohl im Rahmen der Lehre von der Heiligung der Vernunftwesen wie auch im Rahmen der Dämonologie im Hinblick auf die opera ad extra den Heiligen Geist substantiell zur göttlichen Trias hinzurechnet. Den philosophiegeschichtlichen Bezugspunkt für diese Lehre sieht der Vf. in der neuplatonischen Lehre von der Weltseele gegeben, deren Durchwaltung der Welt Euseb in Analogie zur Wirkung des Heiligen Geistes auf die Heiligung der Engelwesen begreift.

Vor dem Hintergrund einer weitgehenden Kongruenz zwischen christlicher Trinitätslehre und platonischer Prinzipienlehre, wie Euseb sie versteht, konzentriert sich seine Kritik an der platonischen Philosophie auf die Lehre von der Seele und den Mittelwesen, da hier die spezifisch christliche Unterscheidung zwischen Gott und Kreatur in der Vorstellung der Vergöttlichung von beseelten Geschöpfen aufgehoben zu werden droht (258-273).

An die Rekonstruktion der Trinitätslehre schließt sich die Darstellung der Theologie des inkarnierten Logos an. Gegen den breiten Konsens der Forschung, dass Euseb der Repräsentant einer relativ primitiven Logos-Sarx-Christologie sei, kann der Vf. überzeugend ein "differenzierteres Bild dieses christologischen Entwurfs" (278) nachzeichnen. Grundlegend dafür ist die Interpretation des Vfs., die Christologie des Euseb gegen die Fehlinterpretation des Paulus von Samosata als den Versuch zu deuten, "die origenische Christologie so zu interpretieren bzw. zu modifizieren, dass sie Inkarnation des Logos anders denn als Inspiration verstehen lassen kann" (287). Vor diesem Hintergrund sei die entscheidende Tendenz der Christologie des Euseb zu deuten, die Einheit des göttlichen Logos trotz der Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Seite in Christus geltend und plausibel zu machen.

Das bedeute zum einen, dass die Vergöttlichungen der menschlichen Natur in Christus als eine "reale Veränderung und Auszeichung des menschlichen Seins im Erlöser" (372 f.) zu denken sei. Zum anderen aber sei die Akkomodation des göttlichen Logos durch die Annahme der menschlichen Natur "für diesen keine Veränderung des Göttlichen" (ebd.). Der Vf. sieht somit eine strukturelle Analogie zwischen der spekulativen Logoslehre und der Inkarnationstheologie: "Der in der Logoslehre verankerten Zwei-Stufen-Lehre, die das Gleichsein des Logos mit dem Vater in der Abbildtheologie und seine Zuwendung zur Schöpfung in Begriffen der Kenosistheologie beschreiben kann, entspricht in der Christologie die Unterscheidung, dass der inkarnierte Logos einerseits immer bei Gott ist und zugleich überall wirkt und andererseits auf ausgezeichnete Weise im Menschen Jesus präsent ist" (374).

St. schließt seine Studie mit einem Ausblick auf die Wirkungsgeschichte der Theologie des Euseb, insbesondere bei Athanasius, der in kritischer Auseinandersetzung mit Euseb seine eigene Theologie formuliert habe. Es ist dem Vf. mit seiner grundgelehrten, umsichtig argumentierenden Monographie nicht nur gelungen, Euseb als einen eigenständigen, bedeutenden Theologen zu rehabilitieren, sondern er hat auch für die Beurteilung des komplexen Verhältnisses von chistlicher Theologie und platonischer Philosophie einen unverzichtbaren Beitrag geleistet. Bleibt zu wünschen, dass die neueren Deutungen der Entwicklung der christlichen Trinitätslehre einmal in so einer genauen, aber für ein theologisch interessiertes, breites Publikum geschriebenen Darstellung zusammengefasst werden, wie sie im angelsächsischen Sprachraum üblicher sind.