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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1024–1026

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Slater, Thomas B.

Titel/Untertitel:

Christ and Community. A Socio-Historical Study of the Christology of Revelation.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 281 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl.Series 178. Lw. £ 46.-. ISBN 1-85075-939-1.

Rezensent:

Traugott Holtz

Thomas B. Slater legt mit diesem Buch die revidierte Fassung seiner Dissertation vor, die er in den Jahren 1992-96 unter der Anleitung von G. N. Stanton am King's College London erarbeitet hat. Ein Teil der Ergebnisse seiner Arbeit hat S. bereits zuvor in den New Testament Studies veröffentlicht.1 Sein Interesse für Apk war 1978 durch Harold Attridge geweckt worden, bei dem er 1981 eine These zum praktisch-theologischen Umgang mit der historisch-kritischen Methode schrieb. Die jetzt erschienene Studie ist also die Frucht einer längeren und kundig begleiteten Beschäftigung mit ihrem Gegenstand; sie hat erkennbar davon profitiert.

S. analysiert die (drei) hauptsächlichen christologischen Bildkonzepte der Apk, nämlich das von "dem, der einem Menschensohn gleicht", das vom "Lamm" und das vom "göttlichen Krieger", unter der konstruktivistischen Fragestellung, welche Funktion sie für Joh haben im Leben der Rezipienten seines Buches, die für S. offenbar mit den Gliedern der angeredeten Gemeinden tatsächlich identisch sind. Durch solche Konzentration der Untersuchung auf die soziale Funktion der christologischen Aussagen für die konkrete geschichtliche Situation der Gemeinde, die freilich ihrerseits eine solche ist, die durch die Konstruktion der sie Erfahrenden bedingt ist, unterscheidet sich die Arbeit signifikant von den bisherigen, herkömmlichen zur Christologie der Apk. S. stellt diese Differenz heraus, ohne die vorangehenden Studien darüber abwerten zu wollen. Er stellt sich vielmehr durchaus auf ihre Schultern und unternimmt darüber hinaus, selbst einen Beitrag zur historisch-kritischen Erhellung der christologischen Titel zu leisten.

Wie schon in seinem diesbezüglichen Aufsatz in NTS 1995 versucht er, die Wendung "einer wie ein Menschensohn" als selbständige Bezeichnung für eine himmlisch-messianische Gestalt im Frühjudentum und in der frühen christlichen Gemeinde nachzuweisen; sie soll sich kategorial von der Bezeichnung "der Menschensohn", die ein menschliches Wesen bezeichnet, unterscheiden. Mich hat das allerdings nicht überzeugt, Joh dürfte vielmehr den ihm (mit der Jesus-Überlieferung der frühen Gemeinde) bekannten messianischen Titel "Menschensohn" bewusst auf seine ,biblische' Form Dan 7 zurückgeführt haben; die Vergleichsform ist für ihn ohnehin bedeutungsvoll. Richtig sieht S. indessen den Bezug gerade dieser Erscheinungsweise des Christus in der Vorstellungswelt der Apk auf die christliche Gemeinde. Und ebenso zutreffend hebt er immer wieder die Zusammengehörigkeit und innere Einheit der verschiedenen christologischen Vorstellungskonzepte der Apk hervor, die sich auch in der literarischen Verklammerung der beiden durchaus unterschiedlichen Hauptteile, Apk 1-3 und 4-22, zeigen. Die Funktion der Christologie mit Blick auf die Angeredeten ist allerdings nach dem Urteil von S. in beiden Hauptteilen jeweils sehr verschieden. Die Gemeindebriefe Apk 2 f. reflektieren innergemeindliche Probleme, insbesondere das der religiösen Laxheit und der Akkomodation an die pagane Umwelt, und die Bedeutung, die dafür "der, der einem Menschensohn gleicht" hat als der eschatologische Richter und Retter; die apokalyptischen Visionen Apk 4 ff. dagegen haben die gespannte Situation der Christen in einer sie aktiv bedrückenden heidnischen und jüdischen Gesellschaft im Blick sowie die Bedeutung, die dafür der Glauben an das "Lamm" als Sieger durch Leiden und der "göttliche Krieger" als Richter und Rächer haben. In der Bestimmung der innergemeindlichen Situation folgt S. einer gegenwärtig verbreiteten, fast wie selbstverständlich vorausgesetzen Beurteilung, die nach meinem Urteil freilich keineswegs, gerade auch nicht auf Grund der wissenssoziologischen Methode des Autors, als gesichert ausgewiesen ist.

Mit der Bestimmung der Situation der Gemeinde gegenüber der Gesamtgesellschaft, in der sie lebt und deren Bewältigung Thema des apokalyptischen Hauptteils der Apk ist, tritt S. hingegen in eine aktuelle und wichtige Kontroverse ein, in der er engagiert Partei ergreift. Für ihn ist das offenbar sogar ein, wenn nicht gar das zentrale Thema. Es geht um die Frage, ob in der Zeit der Herrschaft Domitians (81-96 n. Chr), vor allem in ihrer Endphase, tatsächlich die Glieder der christlichen Gemeinde staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren, wie seit den Tagen der Alten Kirche vorausgesetzt wird. Das ist - im Zusammenhang mit einer seit längerem schon im Gang befindlichen althistorischen Neubewertung Domitians - neuerlich nachdrücklich in Frage gestellt worden.2 S. entnimmt dem Text (beider Teile) der Apk sowie anderen zeit- und ortsnahen Zeugnissen, dass die angeredeten Gemeinden (behördliche) Verfolgungen erlitten, auch wenn zur Zeit Domitians sicher keine zentralisierten, das römische Gesamtreich betreffenden Christenverfolgungen stattfanden. Darin hat S. m. E. Recht, freilich wird damit doch sein methodischer Ansatz (der auch Thompson leitet), etwas relativiert. Jedenfalls erwachsen aus solchem Überstieg vom Text in die geschichtliche Realität Fragen an die Methode der Wissenssoziologie, deren Anwendung auf die Christologie der Apk S. als das eigentlich Neue seiner Arbeit empfiehlt; ein Vergleich mit Thompson kann das deutlich zeigen. Indessen sieht S. selbst, dass der wissenssoziologischen Methode Grenzen gesetzt sind (56).

Nur unzureichend behandelt S. die für seinen Erkenntnisweg wesentlichen Fragen nach der Struktur der von Joh angeredeten Gemeinden, wozu vor allem auch die nach dessen Stellung zu und in ihr gehört. Über ihre Beurteilung hätte sich vermutlich der Ausgangspunkt, die Botschaft und das Ziel des biblischen Buches theologisch und historisch differenzierter erschließen lassen. Zwar ist an den resümmierenden Schlusssätzen der Studie (245) gewiss richtig, dass Joh schrieb, um die Christen zu ermutigen und sie aufzufordern, in ihrem Glauben fest zu stehen und der göttlichen Befreiung zu harren; aber dass das dazu dient, christlich begründeten, passiven zivilen Ungehorsam angesichts einer fühllosen kleinasiatischen Gesellschaft des 1. Jh.s n. Chr. zu ermutigen ("encourage passive Christian civil disobedience in the face of an unsympathetic first century CE Roman Asian society"), das ist wohl doch wesentlich zu wenig. Es mag auf der gleichen Linie liegen, dass nach dem Urteil von S. die Passage Apk 19,11-21 "contains the most complete christological statement in Revelation" (211), dass der Name "König der Könige und Herr der Herren" Apk 19,16 (17,14) der wichtigste christologische Titel der Apk ist (219).

Das anregende Buch, dessen Verdienst nicht zuletzt in der weithin überzeugenden Auseinandersetzung mit einer einseitigen Bestimmung der historischen Situation, in der sich die in Apk Angeredeten befinden, besteht, macht insgesamt einen etwas unausgewogenen Eindruck. Das gilt auch mit Blick auf die im Allgemeinen breit herangezogene Sekundärliteratur; so fehlt z. B. überraschenderweise jeder Hinweis auf E. Schüßler-Fiorenza, Priester für Gott, Münster 1972, obwohl andere Publikationen der Autorin beachtet werden und obwohl das dort grundlegend behandelte Thema für S. eine wichtige Rolle spielt und deutschsprachige Literatur sonst durchaus herangezogen wird.

Fussnoten:

1) One Like a Son of Man in First-Century CE Judaism, NTS 41, 1995, 183-198. - On the Social Setting of the Revelation to John, NTS 44, 1998, 232-256.

2) S. bes. L. L. Thompson, The Book of Revelation. Apocalypse and Empire, Oxford 1990; dazu vgl. ThR 62, 1997, 374-376.