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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1012–1014

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmid, Konrad

Titel/Untertitel:

Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999. XII, 449 S. gr. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 81. Lw. DM 138,-. ISBN 3-7887-1717-3.

Rezensent:

Ludwig Schmidt

In der Forschung ist weitgehend anerkannt, dass Erzväter- und Exodusüberlieferung überlieferungsgeschichtlich verschiedene Wurzeln haben. Umstritten ist aber das Alter ihrer Verknüpfung. In seiner Züricher Habilitationschrift von 1998 vertritt S. die These, dass beide Überlieferungen erst spät auf literarischer Ebene miteinander verbunden wurden. Zuvor habe es eine "Erzvätergeschichte" mit den vorpriesterlichen Texten in Gen 12-50 (vgl. die Auflistung 129) und eine "Mose-Exodus-Geschichte" von Ex bis 2Kön (zu ihrem "Material" vgl. 163) gegeben. In der Priesterschrift, die eine eigene Darstellung von der Schöpfung bis zum Sinai enthalten habe, seien erstmals Erzväter und Exodus miteinander verknüpft worden. Aus ihr und den beiden anderen Schriften habe eine nachpriesterschriftliche Redaktion in der ersten Hälfte des 5. Jh.s ein Großgeschichtswerk von Gen-2Kön geschaffen, aus dem später der Pentateuch als Tora ausgegrenzt wurde. Damit widerspricht S. nicht nur der verbreiteten Auffassung, dass die Verbindung von Erzvätern und Exodus zumindest älter als die priesterlichen Texte ist, sondern er bestreitet auch nachdrücklich, dass es ein Deuteronomistisches Geschichtswerk von Dtn-2Kön gab, wie es in der Forschung trotz einiger Gegenstimmen weithin angenommen wird.

In "A. Einleitung" (1-55) begründet S. u. a. mit übergreifenden Strukturen (19 ff.) und der Gliederung (34 ff.), dass es ein Großgeschichtswerk von Gen-2Kön gab. Da aber in der gegenwärtigen Forschungslage für diesen Komplex kein redaktionsgeschichtliches Gesamtmodell entwickelt werden könne, solle sich seine Untersuchung auf die redaktionsgeschichtliche Verbindung von Erzväter- und Exodusüberlieferung beschränken (51 f.).

Mit "B. Analytische Untersuchungen" (56-169) will S. die literarische Eigenständigkeit von Erzväter- und Mose-Exodus-Geschichte nachweisen. Er untersucht zunächst die expliziten Querverweise auf Exodus bzw. Erzväter in Gen-2Kön (56-78). Für Gen-Num kämen - abgesehen von ,P' und eindeutig von ,P' abhängigen Texten - nur Gen 15,13-16; 50,(5b. 8b.)14.22-26; 48,21; Ex 3,1-4,18 und die Landverheißung als Eid an die Patriarchen (Ex 32,13; 33,1; Num 32,11) in Frage (66 f.74 f.). Ex 1,8 ff. setze die priesterliche Mehrungsnotiz in 1,7 voraus (69 ff.). Die Verweise auf die "Väter" Israels in Dtn und Jos-2Kön klammert S. vorläufig aus, da umstritten sei, ob sie sich ursprünglich auf die Patriarchen oder die Exodusgeneration bezogen. Ansonsten würden in Jos-2Kön die Erzväter nur selten namentlich erwähnt. Dagegen werde der Exodus literarisch vorausgesetzt (75 ff.). Im Folgenden nennt S. weitere Indizien für eine Trennung von Erzväter- und Mose-Exodus-Geschichte (78-102), die hier nicht referiert werden können. Für S. sprechen also zahlreiche Argumente dafür, "daß mit Gen und Ex (ff.) zwei literarisch eigenständige Erzählblöcke vorliegen" (102).

Unter diesem Gesichtspunkt untersucht S. dann die vorpriesterliche Erzvätergeschichte Gen *12-50 (102-129) mit dem Ergebnis (129), dass sie sich als selbständiger Erzählkomplex verstehen lasse, "der auf eigene Art und Weise die Existenz Israels in seinem Land begründet". Ob sie bereits vor ihrer Verbindung mit Ex (ff.) eine Urgeschichte enthielt, lässt S. offen (vgl. dazu auch 165 ff.). Die selbständige Erzvätergeschichte werde durch ihre Verheißungen redaktionell zusammengehalten und theologisch geprägt. Sie vertrete "eine offene Verheißungtheologie", die nicht auf die Darstellung der Erfüllung angelegt sei. Als Trägergruppen vermutet S. den judäischen ,Landadel' (das sog. Volk des Landes), der nach der Katastrophe von 587 "den entscheidenden einheimischen Machtfaktor bildete" (119). Für die Mose-Exodus-Geschichte (129-165) betont S., dass ein Einsatz mit dem Aufenthalt in Ägypten ohne weiteres denkbar sei (138). Da zwischen der Mose-Figur in Ex 2-5 und Jerobeam (und Hadad) in 1Kön 11 f. zahlreiche Beziehungen aufweisbar seien, habe es wahrscheinlich einmal eine literarische "Exoduserzählung von *Ex-1Kön 12 (*ff.?) als Ursprungs- und Legitimationslegende des Nordreichs" gegeben (141), die später bis 2Kön 25,26 weitergeführt wurde (142). Zu der jüngsten, von Gen noch unabhängigen Stufe, rechnet S. die nichtpriesterlichen Plagen in Ex *7-12. Ihr Konzept von Jahwe als dem Herrn über ausländische Herrscher gehöre in die frühnachexilische Zeit (143 ff.274). Die selbständige Mose-Exodus-Geschichte habe mit Ex 2,1-10 begonnen. Mose sei von seiner Mutter als "uneheliches Kind einer gewaltsamen Vereinigung eines Leviten mit der Tochter Levis" ausgesetzt worden (155). Während in der Erzvätergeschichte die Identität Israels im Wesentlichen durch genealogische Zusammenhänge konstituiert werde, begründe "die Mose-Exodus-Ursprungskonzeption Israels die Identität Israels theologisch allein durch das Stiftungsereignis des Exodus" (159 f.).

In "C. Synthetische Rekonstruktionen" (170-301) analysiert S. zunächst Texte, die Erzväter und Exodus miteinander verbinden. Gen 15 (172-186) und Ex 3,1-4,18 (186-209) seien im Wesentlichen literarisch einheitlich und von ,P' abhängig. Das gelte auch für den "Programmtext" Jos 24 (209-230), der bewusst als Abschluss des Hexateuch und als Eröffnung der nachfolgenden Unheilsgeschichte gestaltet worden sei (230). Ex 1 (233-241) sei unter Aufnahme von ,P' zur Verbindung von Gen und Ex gebildet worden. Im Folgenden weist S. Gen 15; Ex 3 f.*; Jos 24 und Gen 50,25 f.; Ex 1 einer einheitlichen Redaktion zu. Sie habe die vorpriesterliche Erzvätergeschichte mit Ex (ff.) verbunden und weitere Texte verfasst (241-253). Außerdem habe sie ,P' eingearbeitet (253 ff.). ,P' habe erstmals Erzväter und Exodus zu einer neuen Ursprungsgeschichte Israels zusammengeschlossen. Dass bei ,P' erst Mose der Jahwename offenbart wird (Ex 6,3), widerspreche im Grunde dem patriarchenorientierten Konzept von ,P' (vgl. Gen 17) und sei dadurch bedingt, "daß ,P' zwei grundsätzlich unterschiedliche Überlieferungsblöcke miteinander zu harmonisieren sucht" (266). Der wichtigste gedankliche Vorläufer von ,P' sei die Heilsprophetie in Jes 40 ff. Hier sei die Erwählung der Erzväter das einzige geschichtliche Schöpfungshandeln JHWHs, "auf das sich das gegenwärtige Israel noch berufen kann" (Jes 41,8 f.; 43,1; 44,24) (269). Die Abfolge von Jes 40 ff. über ,P' zum Zusammenschluss von Gen und Ex (ff.) lasse eine fortschreitende Bewegung des immer engeren Zusammenschlusses von Erzvätern und Exodus erkennen (270). Für die Datierung der nachpriesterschriftlichen Redaktion hält S. wegen der späteren Ausgrenzung des Pentateuch als Tora die erste Hälfte des 5. Jh.s für "das Wahrscheinlichste" (273). Sie sei in Jerusalem zu lokalisieren (276 ff.).

In "Theologische Aspekte der vereinigten Erzväter- und Mose-Exodus-Geschichte" (278-301) betont S. u. a., dass es nie eine von Gen-Jos reichende Heilsgeschichte als selbständige Größe gegeben habe: "Die ,Heilsgeschichte' Gen-Jos ist nur Teil eines Konzepts, das insgesamt den Dreischritt Heilsgeschichte - Unheilsgeschichte - neue Heilsgeschichte (corpus propheticum) umfaßt" (282). Mit der Vorschaltung von *Gen vor *Ex (ff.) und der Einarbeitung von ,P' werde "die ,deuteronomistische' Gesetzestheologie zugunsten der unbedingten Verheißungen an die Erzväter als letztlich geltendem Maßstab der Zuwendung JHWHs zu Israel relativiert" (284). Das Motiv der eidlichen Landverheißung an die Patriarchen sei erst bei der Ausgrenzung des Pentateuch als Tora entstanden (290 ff.). Die Landverheißung sei nun von der Landnahme in Jos getrennt und würde als Verheißung bekräftigt. Das bedeute "eine Reprophetisierung des Pentateuch", der aber auch theokratisch geprägt sei. "Der Pentateuch als Tora ist ein Kompromisswerk, das sowohl in priesterlicher als auch in deuteronomistisch-,eschatologischer' Perspektive gestaltet und lesbar ist" (300).

In "D. Nachwirkungen" (302-357) zeigt S., dass das Geschichtsbild von Gen-2Kön innerhalb des Alten Testaments, in Schriften der zwischentestamentlichen Zeit und in Act 7 unterschiedlich rezipiert wurde. Dabei könne "die ursprüngliche Verschiedenheit der Gen und Ex immer noch verwertet werden". Man sehe somit, dass Erzväter und Exodus "für zwei unterschiedliche theologische Sichtweisen, wie Israel seine Bindung an seinen Gott interpretiert hat", stehen (357).

In "E. Schluß" (358-379) ordnet S. seine Position forschungsgeschichtlich ein. Er nennt u. a. als offene Fragen, wie der Entstehungsprozess der Erzväter- und Mose-Exodus-Geschichte literarhistorisch im Einzelnen zu beschreiben ist, und ob sich aus der weiteren Diskussion um ,P' Korrekturen für das Verhältnis von priesterlicher und nichtpriesterlicher Überlieferung ergeben (374 f.). Für das theologische Problem der Geschichtsbezogenheit des Glaubens schließt S. aus seiner Untersuchung: Das Kontinuum der alttestamentlichen Glaubensgeschichte sei "der Vorgang der fortwährenden Neuinterpretation der Schriften Israels ... Es ist eben nicht die Geschichte selbst, sondern ihre beständige Auslegung auf je gegenwärtige Bedeutung hin, die sie überhaupt im Horizont Gottes wahrnehmbar sein läßt" (379). Es folgen Literaturverzeichnis (381-433) und Stellenregister (in Auswahl) (435-449).

Die breit angelegte Untersuchung von S. konnte nur in Grundzügen referiert werden. Sie dürfte künftig in der Forschung eine erhebliche Rolle spielen. Freilich enthält sie m. E. zahlreiche problematische Entscheidungen, die nicht nur Einzelheiten, sondern die Grundthese in Frage stellen.

Das kann hier nur an einigen Beispielen gezeigt werden. Am Ende der Josephsgeschichte sind - auch abgesehen von Gen 50,22-26 - Joseph und die Brüder in Ägypten. Nur dort kann z. B. Joseph den Brüdern zusagen, dass er sie und ihre Kinder versorgen wird (Gen 50,21). Wie kann eine selbständige Erzvätergeschichte, die die Existenz Israels in seinem Land begründet, damit enden, dass Joseph und die Brüder in Ägypten sind? S. betont zwar mit Recht, dass die Josephsgeschichte nicht als Brücke zwischen Erzvätern und Exodus verfasst wurde (59). Aber als Schlussteil der Vätergeschichte bildet sie diese Brücke. Eine literarisch selbständige Mose-Exodus-Geschichte kann gegen S. nicht mit Ex 2 begonnen haben. Seine oben genannte Begründung für die Aussetzung des Mose ist schwerlich überzeugend. Zudem wird in Ex 2,11 und bei der Verschärfung der Arbeit in Ex 5,3 ff. der Frondienst der Israeliten als bekannt vorausgesetzt. Er muss deshalb vor Ex 2 eingeführt worden sein. Eine literarische Trennung von Erzväter- und Mose-Exodus-Geschichte stößt somit auf erhebliche Schwierigkeiten.

Die zahlreichen Indizien, die S. (78 ff.) dafür anführt, können hier leider nicht kritisch kommentiert werden. Seine nordisraelitische Großerzählung von *Ex-1Kön 12 (*ff.?) wäre zwar ein starkes Argument gegen ein Deuteronomistisches Geschichtswerk. Dann dürfte S. aber nicht darauf verzichten, ihren Ablauf auch nur in groben Zügen zu rekonstruieren. Die Verbindung zwischen Mose und der kriegerischen Landnahme unter Josua (Dtn 1-3*; 31*; 34*; Jos 1) ist z. B. eindeutig deuteronomistisch. Es gibt m. E. keine Anhaltspunkte dafür, dass bereits vor der Deuteronomistik der Geschichtsverlauf vom Ende des Mose bis zur Reichstrennung in einem Werk dargestellt wurde.

S. betont zwar mit Recht, dass Erzväter- und Exodusüberlieferung unterschiedlich aufgenommen wurden. Aber er hat m. E. nicht wahrscheinlich machen können, dass beide Überlieferungen bis in die frühnachexilische Zeit hinein literarisch selbständig waren und dass es kein Deuteronomistisches Geschichtswerk gab.