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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

989–992

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grünschloß, Andreas

Titel/Untertitel:

Der eigene und der fremde Glaube. Studien zur interreligiösen Fremdwahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1999. XII, 346 S. gr.8 = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 37. Lw. DM 158,-. ISBN 3-16-147165-2.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Eine Reihe von Diskussionsfäden haben von verschiedenen Seiten her mit der Frage zu tun, wie Religionen einander gegenseitig wahrnehmen: die Diskussion um eine "Theologie der Religionen", das Nachdenken über den interreligiösen Dialog, die religionswissenschaftliche Debatte über "Synkretismus", Diskurse über interkulturelle und interreligiöse Hermeneutik, aber auch speziellere Beschäftigungen mit der gegenseitigen Wahrnehmung zwischen bestimmten Religionen in einem konkreten Umfeld.

Die Mainzer Habilitationsschrift von Andreas Grünschloß führt diese Diskussionsfäden in einer Weise zusammen, die neue Maßstäbe setzt und eine Zäsur bedeuten sollte: nach ihr ist es nicht mehr sinnvoll, einen dieser Diskussionsfäden weiterzuführen, als gäbe es einen der anderen nicht und als sei dieses Buch nicht geschrieben worden.

Insbesondere für die teilweise verbissene Fixierung der religionstheologischen Diskussion auf die drei Begriffe "Exklusivismus", "Inklusivismus" und "Pluralismus" ist es äußerst heilsam, dass G. sie einschmilzt in die wesentlich reicher ausdifferenzierten Möglichkeiten zur Beschreibung von Verhältnissen zwischen Religionen, die im Rahmen der Debatte um den Synkretismusbegriff entstanden sind. Im 1. Kapitel (15-86) diskutiert er die religionstheologische Klassifikation von Perry Schmidt-Leukel, das Synkretismus-Modell von Ulrich Berner sowie meinen eigenen Vorschlag zu einer Theorie von Verhältnisbestimmungen zwischen Religionen. Als in dieser Weise Angesprochenem ist mir unklar geblieben, warum G. mit meiner Unterscheidung zwischen persönlicher Religiosität und gemeinschaftlicher Religion als unterschiedlichen Standorten interreligiöser Fremdwahrnehmung so wenig anfangen kann, aber das ist eine Debatte, die an anderer Stelle geführt werden muss.

In den nächsten drei Kapiteln untersucht G. als "Fallstudien" für interreligiöse Fremdwahrnehmung die Texte des Koran (87-134), der Bhagavadgita (135-188) und des frühbuddhistischen Pali-Kanons (189-225). Es ist äußerst erhellend und mit großem Gewinn zu lesen, wie G. jeweils die in diese Texte eingeflossenen Prozesse des Umgangs mit religiöser Fremdheit rekonstruiert, und auch Lesende, denen etwa im 1. Kapitel das Netz der dort entwickelten Terminologie zu dicht und undurchdringlich wird, sollten sich keinesfalls davon abschrecken lassen und es nicht missen, die sehr lebendigen und anschaulichen Schilderungen der Fallstudien zu lesen, die erfreulich sparsam auf die Terminologie des 1. Kapitels zurückgreifen und deshalb auch problemlos ohne dieses verständlich werden. Ein wirklicher Erkenntnisgewinn liegt darin, dass die heute geradezu zur Allgemeinbildung gehörende Einordnung der monotheistischen Religionen als "intolerant" und der östlichen Religionen Hinduismus und Buddhismus als "tolerant" sich bei diesem näheren Hinsehen weitgehend als ein Vorurteil entpuppt.

Aus der Beobachtung von Gemeinsamem, das durch die Fallstudien hindurch mehrfach wiederkehrt, entfaltet G. in einem 5. Kapitel (231-268) "typische Strukturen der Konzeptualisierung des religiös Fremden". Hier wird der Anschluss zu den theoretischen Überlegungen des 1. Kapitels wieder hergestellt, doch während es dort darum gegangen war, ein möglichst vollständiges Raster aller denkbaren Formen von gegenseitigen Bezugnahmen zwischen Religionen zu erstellen (vgl. 84), wertet das 5. Kapitel nun einen konkreten Textbestand aus, nimmt entsprechend Gewichtungen vor und stellt Zusammenhänge her.

Dabei bleibt es weitgehend dem eigenen Nachdenken der Lesenden überlassen, für sich zu ordnen, was eigentlich genau auf dem Weg vom 1. zum 5. Kapitel geschehen ist: worin methodisch der Unterschied zwischen den hier und dort ausgearbeiteten Modellen liegt, welche im ersten Kapitel noch denkbaren Möglichkeiten warum im bearbeiteten Textbestand nicht aktualisiert worden sind, und als die eigentlich spannendste Frage, welche Rolle es für das Ergebnis spielt, dass in den Fallstudien ausschließlich literarische Texte untersucht wurden, und zwar genau solche Texte, die religionsstiftend wirksam geworden sind, die also eine steuernde Funktion hatten in einem Prozess, wo auf dem Boden und im Umfeld vorhandener Religionen neue religiöse Gemeinschaft mit neuer Definition von Identität im Gegenüber zum Bisherigen entstanden ist.

In einem abschließenden 6. Kapitel wertet G. den Ertrag für eine Wahrnehmung des religiös Fremden durch die christliche Theologie aus. Insbesondere werden dabei die religionstheologische Position des Zweiten Vatikanischen Konzils, sogenannte "pluralistische" Religionstheologien und der Entwurf zu einer Hermeneutik des Fremden von Theo Sundermeier diskutiert.

Der Autor ist sorgsam darauf bedacht, sein Tun als Religionswissenschaftler und als Theologe voneinander zu trennen (V, vgl. auch 13). Angesichts dieser Selbstexplikation überrascht es dann doch, wie bruchlos das "theologische" 6. Kapitel methodisch an die "religionswissenschaftlichen" anschließt und lediglich das gleichbleibende Vorgehen zusätzlich theologisch begründet (288-295). Jemandem, der nicht an die Möglichkeit einer standortfreien Religionswissenschaft glaubt, sei die Rückfrage erlaubt, ob diese Begründung tatsächlich nur für das 6.Kapitel relevant ist, oder ob sie nicht auch den Ermöglichungsgrund angibt, warum der Autor in seinem religionswissenschaftlichen Tun auf so eindrucksvolle Weise fremde Religionen wahrnehmen kann.

Dies führt zu der Frage, wie es sich mit dem Thema "Der eigene und der fremde Glaube" im Tun des Religionswissenschaftlers verhält. Leider bezieht der Autor nicht seine eigene Tätigkeit in seinen Gegenstand mit ein, aber er gibt immerhin einen Hinweis darauf: S. 265 f. beschreibt er, wie Religionssysteme eine Beschäftigung mit religiös Fremdem, die für ihre eigene Struktur gefährlich werden könnte, an bestimmte Subsysteme oder Personenkreise abtreten und sie auf diese Weise auslagern. Als Beispiele werden eine Reihe von religiösen Institutionen oder Funktionen genannt. Hier könnte jedoch auch an die Religionswissenschaft gedacht werden: Ist die oft von ihr vorgetragene Behauptung, im Gegensatz zur Theologie ohne einen bestimmten religiösen Hintergrund sprechen zu können, vielleicht verstehbar als eine besonders weitreichende Form solcher Auslagerung?