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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

972–974

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Löwner, Gudrun

Titel/Untertitel:

Religion und Entwicklung in Sri Lanka. Die Entwicklungsarbeit der protestantischen Kirchen in Sri Lanka im Vergleich mit der Sarvodaya-Bewegung und dem Aufbruch buddhistischer Mönche in die Entwicklungsarbeit.

Verlag:

Erlangen: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene 1999. XIII, 491 S. gr.8 = Missionswissenschaftliche Forschungen, NF, 7. Kart. DM 98,-. ISBN 3-87214-337-9.

Rezensent:

Klaus Hock

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich am Beispiel Sri Lankas mit der komplexen Wechselwirkung von Religion und Entwicklung und fragt darüber hinaus nach den Implikationen religiös motivierter Entwicklungsarbeit im interreligiösen Kontext für den Dialog zwischen den Religionen. Die Vfn. wählt dabei ausdrücklich einen Ansatz, der nicht von theoretischen Erörterungen, sondern von der Entwicklungspraxis selbst ausgeht. Wie sie schreibt, entstand die Idee zu dieser Arbeit "in einer Atmosphäre, als der Dialog der Religionen eine Hinwendung von den rein akademischen Themen zu praktischen Bezügen und zu den Betroffenen deutlich werden ließ" (IX). Das liegt nun schon einige Zeit zurück, und die Anfänge des Projekts lassen sich bis Anfang der 80er Jahre zurückverfolgen, als die Vfn. nach einem Studienaufenthalt in Sri Lanka erstmals ein entsprechendes Forschungsvorhaben ins Auge fasste. Was lange währte, wurde gut: Als Ergebnis der langjährigen Beschäftigung liegt eine beachtenswerte Studie vor.

Der Aufbau der Arbeit ist sehr übersichtlich: Im ersten Kapitel beschreibt die Vfn. detailliert das methodische Prozedere. Einem Überblickskapitel mit allgemeinen Informationen über Sri Lanka folgt im Hauptteil die genaue Darstellung der christlichen und der buddhistischen Entwicklungsarbeit und ein abschließender Vergleich.

Die Vfn. hat ihre Untersuchung der christlichen Entwicklungsarbeit in Sri Lanka am Beispiel klar umrissener Zielgruppen durchgeführt: der Colombo City Mission, der Kandy City Mission, dem YMCA und der aus einem christlichen Ashram entstandenen Devarasana-Bewegung. Bei der Analyse der buddhistischen Entwicklungsarbeit konzentriert sich die Vfn. auf die Sarvodaya-Bewegung sowie auf einzelne Mönche außerhalb der Sarvodaya-Struktur. Im Zentrum ihres Interesses stehen dabei je die Leitungsfunktionen und die Bedeutung der Religion für die inhaltliche Arbeit.

Nach einer detaillierten Analyse gibt die Vfn. eine "Trendbeschreibung in protestantischer Entwicklungsarbeit" (175 ff.): Diese richtet sich in erster Linie nach außen, wird also vorwiegend als Handeln an und mit Nicht-Christen konkret und erhält dadurch eine explizit interreligiöse Dimension. Trotz ihrer Verankerung im örtlichen Kontext unterliegt die Entwicklungsarbeit der protestantischen Gruppierungen allerdings einem strukturellen Vorbehalt: der Abhängigkeit vom ausländischen Geld. "Lediglich den allereinfachsten diakonischen Typ der Notfall- und Katastrophenhilfe ... wird es auch in dem Fall geben, wenn die Entwicklungsgelder spärlicher tröpfeln ... Hilfe im Mikrobereich (wird es) immer geben, eine Hilfe, die Not lindert, aber keinerlei Veränderung bewirkt, denn diese Hilfe hilft nicht in erster Linie dem Empfänger, sondern dem Geber, der dadurch Verdienste erwirbt ...". Doch ideologischer Purismus sei hier fehl am Platz. "Denn gerade diese Einzelfallhilfe ... hat in ihrer modernisierten Form, in der sich die Verteilung von Gütern auf besondere Notlagen beschränkt, ihre Daseinsberechtigung, besonders durch die Kindergärten und Berufsbildungszentren ..." (176 f.).

Im Blick auf die buddhistische Entwicklungsarbeit konstatiert die Vfn. bei Sarvodaya einen zunehmenden Widerspruch zwischen dem Ideal, mittels Bewusstseinsbildungsarbeit die buddhistische Botschaft zu verkündigen, und der zunehmenden Abhängigkeit vom "Diktat der Geldgeber": "Es ist eine moderne, nicht-profitorientierte Dienstleistungs- und Wohlfahrtsorganisation entstanden" (343). Mit anderen Worten: Es besteht eine gewisse Unklarheit über das Proprium der Bewegung. Das spiegelt sich auch in den äußerst vielfältigen, ja widersprüchlichen Trends, die zur Zeit innerhalb der Sarvodaya-Bewegung spürbar sind: die Tendenz einerseits zur Dezentralisierung, andererseits zur Globalisierung.

Das Engagement buddhistischer Mönche außerhalb der Sarvodaya-Bewegung ist zunächst auf dieselben Ziele ausgerichtet: "die Verbesserung der Lebensbedingungen der Laien, damit diese nach der Befriedigung ihrer materiellen Grundbedürfnisse die Möglichkeit haben, sich spirituellen Inhalten zu widmen, sowie die Erziehung der Menschen zur Genügsamkeit in ihrem ganzen Lebensstil, damit die Ressourcen dieser Erde verantwortlich gebraucht werden" (395). Der Unterschied ist nach Meinung der Vfn. vornehmlich darin zu sehen, dass die "Tempelprojekte" der unabhängigen Mönche vornehmlich Individuen und ihre "Entwicklungs"-Möglichkeiten im Blick haben, während Sarvodaya stärker auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Gemeinschaft ausgerichtet ist. Die zugleich damit verbundene "Komm-Struktur" der Tempelprojekte hat gerade in den Slums und in der Peripherie sowie unter Jugendlichen größeren Zuspruch gefunden als entsprechende Bemühungen Sarvodayas, die stärker in einer "Geh-Struktur" operieren.

Im letzten Kapitel zieht die Vfn. die Schlussfolgerungen aus ihren komplexen Untersuchungen. Wie sie feststellt, können in der konkreten Projektarbeit die Grenzen zwischen buddhistischer und christlicher Entwicklungsarbeit durchaus verschwinden. Die Vfn. stellt in diesem Zusammenhang die emanzipatorische Funktion der Religion heraus, ohne jedoch zu übersehen, dass es sich dabei um "selektive Interpretationen von Buddhismus und Christentum" handelt, die "eine große Sprengkraft (haben), weil sie Aktivitäten, die gegen den Mainstream gehen, durch ihre religiöse Aura nachträglich legitimieren" (411). Abgesehen von Analogien in den Entwicklungsprogrammen und in der Projektarbeit sieht die Vfn. auch Perspektiven für ein bewusstes Miteinander: von der finanziellen Zusammenarbeit über die konkrete interreligiöse Begegnung bis hin zur Verständigung über eine auf gemeinsames, weltveränderndes Handeln zielende Ethik.

Die Arbeit besticht durch Komplexität und Dichte der Beschreibung ihres Gegenstandsbereiches. Man merkt ihr an, dass sie nicht auf einer kurzen Feldforschung beruht, sondern in einem langen Prozess über beinahe zwei Jahrzehnte gewachsen ist. Das erklärt wohl auch, dass die empirischen Erhebungen weder aufgesetzt noch abgehoben wirken, sondern in vielfach verschränkter Weise auf die Lebenswirklichkeit bezogen sind und substantielle Informationen zu Tage fördern.

Eine Arbeit, die im Rahmen qualitativer Methoden auf der Evaluierung von 134 (!) ausführlichen Interviews (ganz abgesehen von zahlreichen weiteren Gesprächen) beruht, die sich im Rahmen quantitativer Methoden bei ihrer Fragebogenauswertung auf eine Rücklaufquote zwischen 70 und 100 Prozent stützen kann und deren Analysen durch extensive Literaturrecherche und teilnehmende Beobachtung ergänzt werden, muss sich zwangsläufig auf gesichertem Terrain bewegen. Eine solche Arbeit hätte die Verbeugung vor Küngs "Weltethos" nicht nötig gehabt, wie sie im letzten Abschnitt des abschließenden Kapitels vorgenommen wird; vielmehr zeigt die Vfn. mit ihrer detaillierten Analyse der Situation vor Ort, dass der vom "Weltethos" geforderte "Grundkonsens bezüglich verbindlicher Werte, unverrückbarer Maßstäbe und moralischer Grundhaltungen" (440) sich im jeweils gegebenen Kontext durchaus äußerst komplex und widersprüchlich darstellen kann. Besteht nicht auch ein Zusammenhang zwischen Sarvodayas "Wendung zum Globalen" und einer gewissen Stagnation in der konkreten Programm- und Projektarbeit vor Ort?