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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

966–969

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Westerhoff, Matthias

Titel/Untertitel:

Auferstehung und Jenseits im koptischen "Buch der Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn".

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 1999. XVI, 396 S. m. 1 Abb. gr.8 = Orientalia Biblica et Christiana, 11. Lw. DM 104,-. ISBN 3-447-04090-4.

Rezensent:

Uwe-Karsten Plisch

Die hier zu besprechende Arbeit, die 1997 von der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation angenommen wurde, beinhaltet im Wesentlichen zweierlei: zum einen die Edition des koptischen (sahidischen) Textes des in der Forschung unter dem etwas irreführenden Titel laufenden Liber Bartholomaei (LB), zum anderen eine mehrfach gegliederte Studie über Auferstehungs- und Jenseitsvorstellungen in eben diesem koptischen Buch, der die ganze Arbeit letztlich ihren Titel verdankt. Das Herzstück des Buches, auf dem alles Übrige basiert und das, alles im weiteren Sinne Dazugehörige mitgerechnet, auch den größten Raum innerhalb des Bandes beansprucht, ist die Edition des koptischen Textes vom "Buch der Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn" - so der eigentliche Titel des Textes, der zumindest nicht ausdrücklich beansprucht, ein wie auch immer geartetes Bartholomäus-Apokryphon zu sein (s. a. das Unterkapitel 3.2., das sich ausführlich mit der Rolle des Bartholomäus im LB befasst).

Der Hauptvorzug der Textausgabe (und somit das Hauptverdienst des Vf.s) ist es, dass hier zum ersten Mal alle drei großen Handschriften, die den LB bezeugen, kritisch ausgewertet wurden und jetzt - wo nötig und sinnvoll synoptisch- dargeboten werden. Wie notwendig und begrüßenswert dieses Unternehmen ist, lehrte etwa ein kurzer Blick auf den bisherigen Forschungsstand (vgl. z. B. Schneemelcher, NTApo5 I, 437-440). Welchen Arbeitsaufwand es gerade im Rahmen eines Dissertationsprojektes bedeutet haben muss, zeigt schon der Umfang des edierten koptischen Textes. Der eigentlichen Textedition vorangestellt ist eine Einleitung (Kap. 1, 1-47), in der u. a. die drei Manuskripte (von W. mit C, A und B bezeichnet) vorgestellt, die Sprache des LB analysiert sowie Syntax und Stil des Textes beschrieben werden. Während Manuskript C dem von Budge 1913 (Coptic Apocrypha in the Dialect of Upper Egypt) edierten Londoner Text des LB entspricht, ordnet W. Manuskript A 11 Pariser Blätter, zwei Wiener und ein Berliner Blatt zu sowie Manuskript B 7 Pariser und zwei Londoner Blätter, ein Kairoer und ein Wiener Blatt (S. 7 f.). Für W. ist Manuskript C nicht nur - schon wegen seiner Länge - der wichtigste Textzeuge, sondern auch (gegen Kaestli/Cherix) der, der der Urfassung des LB am nächsten kommt. Abgeschlossen wird die Einleitung durch eine außerordentlich hilfreiche Gliederung der Schrift, die nicht nur einen ersten Überblick über den manchmal etwas konfus wirkenden Text gibt, sondern den einzelnen Abschnitten auch die jeweiligen Textzeugen zuordnet, die den Text tatsächlich bieten, was letztlich auch den Zusammenhang und die Verwandtschaft der drei Manuskripte veranschaulicht und plausibel macht. Die Begründung für die inhaltliche Zusammengehörigkeit der Manuskripte A, B und C findet sich im einzelnen auf S. 5, Anm. 25 (nach der von W. vorgenommenen Anordnung der Manuskripte beginnt und endet der von ihm rekonstruierte LB nun interessanter Weise mit einer Mahlszene: einem möglichen letzten Abendmahl in A- in das die Auferweckung eines geschlachteten Hahnes, einem Sinnbild für Johannes den Täufer, eingearbeitet ist - und einer Eucharistiefeier unter Vorsitz des Petrus in C; allerdings ist die Zugehörigkeit des Mahles in A zum LB unsicher und es ist unklar was in A davor berichtet wurde und was davon zum LB gehört haben könnte).

In seinem Bemühen, den sprachlichen Eigentümlichkeiten der Manuskripte ganz genau auf den Grund zu gehen, ist W. gelegentlich etwas übers Ziel hinaus geschossen: ounte-tn ist kein Achmimismus, sondern ganz normal sahidisch (24); auch meeue "denken" ist korrektes Sahidisch und unterscheidet sich semantisch von rpmeeue (24); S. 27: die Schreibung von ai für e (etwa aitei für öÙÈ) ist kein Spezifikum des Schreibers, sondern auch sonst belegt (vgl. z. B. CSCO 268); nncij besteht - ganz regulär - aus n-obj. + art.pl. + nomen, die phonologische Analyse ist damit hinfällig (29); S. 34 f.: Der Gebrauch des Terminus "absoluter Konjunktiv" ist zumindest unglücklich (auch der als Zeuge bemühte Till benutzt ihn so nicht), im ersten Beispiel setzt der Konjunktiv im Übrigen das Futur des vorausgehenden Relativsatzes fort. W.s Analyse des Konjunktivs ist überhaupt problematisch, wie auch aus dem Index ersichtlich ist.

Für die Textausgabe konnte W. die Londoner Handschrift (Manuskript C) und das Berliner Blatt (zu Manuskript A) persönlich einsehen, während für die Manuskripte A und B die Ausgaben Lacaus und Wesselys an Hand von Fotografien kollationiert wurden. Obwohl W. ein akzeptabler koptischer Zeichensatz zur Verfügung stand, hat er sich der Mühe unterzogen, den koptischen Text handschriftlich zu präsentieren; die dafür gefundene Begründung ("Ein Text ist etwas Lebendiges. Deshalb wurde die Edition handschriftlich, in Anlehnung an die Hand des Schreibers von Ms. C, mit Stenofeder und Tusche erstellt.", 48) vermag freilich nicht recht zu überzeugen. Insbesondere die Anmerkungen des Apparates haben durch die fotomechanische Wiedergabe an Lesbarkeit eingebüßt. Die Textausgabe ist jedoch insgesamt sorgfältig erstellt und verlässlich, die jeweils rechtsseitig gegebene deutsche Übersetzung sehr um Genauigkeit bemüht, in ihrer Anlehnung an den koptischen Wortlaut gelegentlich bis an die Grenzen der Zielsprache. Diese erste deutsche Gesamtübersetzung des LB unter Berücksichtigung sämtlicher Textzeugen stellt eine hervorhebenswerte eigene wissenschaftliche Leistung dar.

Da der Wert der Textausgabe (wie auch der der Übersetzung) mit ihrer Exaktheit steht und fällt, seien hier einige ernsthaftere Versehen angemerkt: S. 61, Z. 23: ergänze zu Der Tod kam aber herauf; S. 64a, Z. 14: tilge mpsou; S. 65a, Z. 16: ergänze zu dem lachenden Erlöser; S. 68a, Z. 3: die Ergänzung ehra[i ea]men[te entspricht nicht der (sachlich korrekten) Textauffassung der Übersetzung, ergänze ehra[i hn -]; S. 76a, Z. 4 f.: ergänze wiederum ehrai hn a]||mente, dieses amente fehlt im Register; S. 80, App.: die Erklärung der Schreibung hn ouoi ist falsch, es handelt sich um eine auch sonst anzutreffende Einfachschreibung von ou im Anlaut (ou für ouou); S. 81a, 5. Z. v. u.: Lebendigen gehört in die rechte Spalte; S. 134, App.: die Begründung für die - an sich notwendige - Emendation von nssoop ist falsch, ebenso die vorgenommene Konjektur (nasoop ist genauso unzulässig wie nssoop); S. 146, App.: die Lückenergänzung [ntep]noute ist unzulässig, auch wenn die Lücke für die gebotene Ergänzung [mp]noute zu lang ist (grammatisch geboten ist hier ein n-ident., kein Genitiv); S. 161c, 3. Z. v. u.: l. das Kreuz meines Sohnes; S. 163a, 1. Zeile: die Übersetzung mit dir gehen setzt ein nicht vorhandenes efmoose voraus, übersetze bei dir bleiben o. ä.; S. 164a, erste Zeile: der Text iako-bos palphaios erfordert die Emendation palphaios (entsprechend dem Paralleltext), die Übersetzungen beider Stellen sind falsch (übersetze: der des Alphaios); S. 164, App.: die (richtige) Konjektur eparan ist in der Übersetzung nicht berücksichtigt; S. 165a: Keinem gehört in die rechte Spalte; S. 180, App.: das beanstandete peuho ist durchaus sinnvoll, die Übersetzung von W.s Konjektur (ehoun hm) paho müsste zumindest lauten: in meinem Antlitz (denkbar auch: ehoun hm pefho auf seiner - des Thrones - Oberfläche); S. 182, App.: nci expliziert niemals (!) das Objekt, sondern stets das Subjekt, so auch hier. Die Übersetzung muss daher lauten: Er belehrte sie, so wie sein Vater (zuvor) mit ihm geredet hatte ...; S. 185, 5. Z. v. u.: die Übersetzung Ich fand passt nicht zum kopt. Text (auhe = sie fanden/man fand); S. 193, 1. Z.: ergänze Wenn ich ihn nicht sehe (und) er ist auferstanden ...; S. 196, App. erste Zeile: Konjektur in der Übersetzung nicht berücksichtigt.

Erschlossen wird die Textausgabe durch die Indices zum koptischen Text, die sich am Ende des Bandes, vor den Stellenindices, finden. Geboten werden die griechischen Wörter, die koptischen Wörter, die Eigennamen und die Nomina barbara, dann folgt ein Grammatikindex, der die koptischen Konjugationen, unterteilt nach dreiteiligem und zweiteiligem Schema, darstellt und also dem neuesten Stand der koptischen Linguistik verpflichtet ist.

Die Nomenklatur ist nicht ganz einheitlich. So wird der kausative Konjunktiv zwar unter den kausativen Konjugationen aufgelistet, aber noch Finalis genannt. Neben kleineren Versehen, Tippfehlern etc. gibt es auch einige gröbere Schnitzer: S. 375: die Form enta- gehört nicht unter Perf. II, sondern unter Perf. rel.; etemere- ist Aor. neg. rel., nicht circumst.; S. 377: ns in A89,35 ist neg. Präsens, nicht Konjunktiv; unter Konjunktiv neg. fehlt ntntm B112,17; S. 378: eine Konversion "Konjunktiv Futur" gibt es nicht, drei der vier Einträge sind gewöhnliches neg. Futur (n- ... an), bei der ersten angegebenen Stelle handelt es sich wohl um ein erklärbares Versehen des Schreibers; S. 324: amnte ist subst. m.; S. 325: eine Negation des Konjunktivs mit n- ... an gibt es nicht, die Einträge gehören zu verschiedenen anderen Konjugationen; S. 328 oben: l. eroou; S. 338 Mitte: l. mmo-tn; S. 361: die Form haro-ou gehört unter harn-/haro-=, nicht unter ha-/haro=; S. 367: l. ejo-ou.

Der aus seinen Quellen etwas lose (und nicht immer logisch) gestrickte LB enthält gleichwohl einige inhaltlich und theologisch bemerkenswerte Momente, so den vor der Perikope um den ungläubigen Thomas etwas unglücklich platzierten Erzählkreis um den Apostel Thomas (mit Auferweckung seines Sohnes Siophanes und Missionsreise), die nach dem Muster von Joh 20 gebildeten Osterberichte um Maria, die Mutter (!) Jesu und die Einsetzung der erlösten Eva über alle Frauen ( 55, vgl. auch S. 280). Bemerkenswert sind auch die zahlreichen in den Text des LB eingewobenen Hymnen, denen W. andernorts einen eigenen Aufsatz gewidmet hat (HBO 26/1998, 97-117). Die Endfassung des LB, entstanden im südlichen Oberägypten (so W.), hält W. für eine späte Frucht der koptischen Literatur, seine Datierung ins 8. oder 9. Jh. besetzt den Gegenpol zur Frühdatierung (5. oder 6. Jh.) bei Kaestli/Cherix (227). (Die Frage nach vorkoptischen Quellen, abgesehen vom NT, ist damit natürlich noch nicht entschieden: der Text enthält z. B. einige Spuren, die nach Syrien weisen.) Die Benutzer und Tradenten des LB sieht W. am Rande der Großkirche, seine vorsichtige Erwägung, diese mit den Meletianern zu identifizieren (223), wird von ihm allerdings selbst in Frage gestellt (223 f.). In der schon erwähnten Studie über Auferstehungs- und Jenseitsvorstellungen im LB (des näheren die Kapitel 4-7, 228-312) befasst sich W. u. a. ausführlich mit den Engelordnungen im LB, der Hadesfahrt des Erlösers sowie der Rolle des (personifizierten) Todes dabei und mit dem interessanter Weise im Ich-Stil gegebenen Bericht über die Jenseitsreise des Siophanes, des Sohnes des Apostels Thomas. Besonders gefallen hat dem Rez. W.s Versuch, in seiner Studie auch ikonographisches Material in die Deutung einzelner Motive einzubeziehen und so eine allzu strenge Textfixierung zu überwinden. Der Studie angefügt ist ein vor allem für französischsprachige Benutzer hilfreicher sommaire (313 f.).