Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2000

Spalte:

950–952

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Sammet, Kornelia

Titel/Untertitel:

Beruf: Pfarrerin. Eine empirische Untersuchung zu Berufsbild und Berufspraxis von Pfarrerinnen in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Unter Mitarb. von A. Wilkes.

Verlag:

Berlin: Berlin Verlag 1998. 235 S. 8 = Berlin-Forschung, 31. Kart. DM 36,-. ISBN 3-87061-931-7.

Rezensent:

Brigitte Enzner-Probst

Die Berliner Soziologin Kornelia Sammet legt im Abschlussbericht ihres Forschungsprojekts zum Thema "Ist das Pfarramt ein Frauenberuf? Pfarrerinnen in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg", die Ziele, Methoden und Ergebnisse ihrer Untersuchung zu Selbst- und Berufsbild von Frauen im "Pfarramt" vor. Diese Untersuchung wurde von 1992 bis 1995 unter Betreuung des Berliner Instituts für Soziologie der Erziehung (Monika Wohlrab-Sahr) durchgeführt. Sie will damit die Diskussion um die Arbeit von Frauen in traditionellen Männerberufen anregen, das Verhältnis von Profession und Geschlecht grundsätzlich diskutieren und nicht zuletzt die Frage nach der Zukunft des (herkömmlichen) Pfarramtes stellen.

Ein kurzer geschichtlicher Rückblick auf die Berufsgeschichte der Theologinnen macht deutlich, wie sehr der theologisch begründete Ausschluss von Frauen und die Komplementarität der geschlechtsspezifischen Aufteilung von Pfarramt und Pfarrfrauen-Dienst die Aneignung dieses Berufs durch Frauen auch heute noch behindert. Frauen in diesem Beruf müssen in der Spannung "zwischen der Tradition des männlichen Pfarramts und der Tradition des protestantischen Frauenbildes ..." (13) ihren Weg finden. Die Untersuchung selbst basiert auf 14 qualitativen Interviews, die durch standardisierte Fragebögen zur gegenwärtigen Situation von Pfarrerinnen in der Berlin-Brandenburgischen Kirche vorbereitet wurden. Drei "Fälle" werden ausführlich dargestellt und mit zwei weiteren summarisch kontrastiert, um die Situation von Pfarrerinnen in Ost- und West-Berlin vergleichen zu können. Den Interpretationsrahmen bilden theoretische Ansätze zur Professionalisierung des Pfarrerberufs, zur sozialen Konstruktion des Geschlechts, sowie Überlegungen zur Leitbild-Diskussion.

Die Auswertung der Interviews erfolgt nach dem Ansatz der "Objektiven Hermeneutik", wie sie von Ulrich Oevermann konzipiert wurde. Die transskribierten "Fälle" werden dabei sequenzanalytisch auf mögliche Lesarten hin ausgewertet, deren Plausibilität durch den Fortgang des Interviews erhärtet wird.

Den Schluss des Forschungsberichts bilden Erwägungen zur Möglichkeit einer Veränderung des Pfarramtes durch Frauen. Die Vfn. bejaht dies im Sinn einer Balance von "Dekonstruktion" und "Konstruktion" des traditionellen Pfarramts, so dass Frauen als "Avantgarde" neuer Lösungsmöglichkeiten in der Ausübung dieses Berufs verstanden werden können. Ihre Impulse kommen auch männlichen Kollegen zugute.

Spannend für die pastoraltheologische Lektüre ist die Perspektive einer Soziologin, die mit den Mitteln der strukturalen Interpretation biographischer Erzählungen die individuellen Bewältigungsstrategien von Frauen im Spannungsfeld von Geschlecht und Beruf pointiert und plausibel herausarbeitet. Allerdings bleiben bei einem solchen Ansatz überindividuelle gesellschaftliche und gesamtkirchliche Faktoren eher beiläufig, die für eine sachgerechte Einschätzung möglicher Veränderungen des traditionellen Pfarramts jedoch in Betracht gezogen werden müssten. Die gegenwärtig zunehmende Gefahr einer geschlechtsspezifischen Dissoziation des pastoralen Berufsfeldes etwa auf Grund der kirchlichen Finanzsituation wird zwar erwähnt, kann aber nicht theoretisch einsichtig gemacht werden. Hier hätte eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Theorie des "geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktes", über die Diskussion des Begriffs des "weiblichen Arbeitsvermögens" hinaus vor Engführungen bewahren können.

Die Differenz individueller Strategien von Frauen im Spannungsfeld zwischen pastoraler und familialer Rolle zeigt außerdem, dass sich die von der Vfn. als Professionalisierungstendenz favorisierte "Trennung von Berufs- und Privatleben" gerade für Frauen so allgemein nicht durchführen läßt. Die These, dass Frauen (und Männer) in spezialisierten pastoralen Teilrollen (z.B. Krankenhauspfarrer und -pfarrerinnen) die Avantgarde der Veränderung des Gemeindepfarramts bilden, sieht von der strukturellen Inkompatibilität beider Berufsbilder in der Praxis ab, die eher zur Verfestigung geschlechtsspezifischer Klischees beitragen dürfte, was die Vfn. zwar erwähnt, aber nicht theoretisch aufnimmt. Eine etwas kritischere Einschätzung der "Objektivität" der gewählten hermeneutischen Methode (vgl. Becker-Schmidt 1984) hätte der Prägnanz der Interpretationsergebnisse keinen Abbruch getan, sondern sie innerhalb der grundsätzlichen Grenzen interpretativer Verfahren deutlicher werden lassen.

In jedem Fall jedoch bietet die Lektüre dieses profilierten Forschungsberichts genügend Impulse, das pastorale Berufsfeld aus der Perspektive von Frauen in diesem Beruf zu reflektieren. Die Ergebnisse wie vor allem die daraus gewonnenen Folgerungen fordern heraus zu fragen, wie im Hinblick auf die Differenz gelebter pastoraler Leitbilder und Bewältigungsstrategien im Spannungsfeld von Geschlechtskonstruktion, Frauenbild und pastoralem Beruf gemeinsame Strategien der Verständigung und Veränderung ermöglicht werden können, reizen zum anderen aber auch, sich mit diesem Themenbereich wieder eingehender pastoraltheologisch zu beschäftigen.