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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

942 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Aach, Jürgen

Titel/Untertitel:

Brustkrebs: die Not einer Krankheit als Herausforderung an Glaube und Krankenhausseelsorge. Eine empirische Untersuchung auf der Grundlage einer Patientinnenbefragung während der stationären Primärtherapie.

Verlag:

Würzburg: Echter 1999. 337 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral, 14. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-02113-8.

Rezensent:

Sabine Bobert-Stützel

Jürgen Aach stellt sich in seiner Untersuchung zwei wichtigen Aufgaben. Zum einen will er exemplarisch prüfen, inwieweit die humanwissenschaftlich geschulte Krankenhausseelsorge tatsächlich den Patientinnenerwartungen entspricht. Zum anderen will er Kenntnisse über eine extremen Belastungen ausgesetzte Patientengruppe vermitteln: an Brustkrebs erkrankten Frauen.

Der Vf. bringt gute Voraussetzungen für dieses Unterfangen mit, insofern er selbst über mehrere Jahre hin als Krankenhausseelsorger in der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe an den Städtischen Kliniken Frankfurt/M.-Höchst arbeitete, wo er auch das Forschungsprojekt durchführte.

Das Buch gliedert sich nach einem einführenden Kapitel in eine Darstellung des "Selbstverständnisses heutiger Krankenhausseelsorge" (Teil II, 13-57), Informationen über "Das Mammakarzinom" (Teil III, 59-87), den eigentlichen Hauptteil: die "Empirische Untersuchung" (Teil IV, 89-272), in ein Schlusswort (V.) und einen ausführlichen Anhangsteil mit Daten zur empirischen Untersuchung (VI., 277-328).

Im theologischen Standpunkt (Teil II) folgt der Vf. den Positionen von J. Mayer-Scheu und Chr. Zimmermann-Wolf, der Mayer-Scheus Position aufgenommen und mit Bonhoeffers Theologie verbunden hat. Mayer-Scheu kritisierte eine doppelte Fluchtbewegung in der Krankenhauswelt: die der Mediziner in die Apparatewelt, die der Theologen in ihre Berufswerkzeuge, um sich vor der Gefühlswelt der Kranken zu schützen. Während der Vf. es bei Referaten zu beiden Seelsorgetheoretikern belässt, wirkt seine Zusammenstellung von empirischen Untersuchungen zur Situation der Krankenhausseelsorge schon informativer (41 ff.).

Im Informationsteil zum Krankheitsbild (Teil III) stellt der Vf. Daten zur Verbreitung, zum klinischen Bild, psychoonkologische Aspekte und pastoralpsychologisch-seelsorgerliche Aspekte vor. Im Abschnitt über "psychoonkologische Aspekte" (68 ff.) informiert der Vf. über "Ätiologieforschung" (die nach spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen der "Krebspersönlichkeit" suchte - zu denen sie auch Religiosität zählte), "Verlaufsforschung" (die z. B. eine Psychotherapie gegen Krebs zu entwickeln sucht) und der "Bewältigungsforschung", die nach effizienten coping- (d. h. Bewältigungs-) Stilen sucht, um psychosoziale Begleitung angemessener gestalten zu können. Als Manko hält der Vf. fest, dass die Faktoren ,Religiosität' und ,Seelsorge' bislang im Zusammenhang der Krebserkrankung kaum zum Gegenstand wissenschaftlichen Interesses geworden seien.

Der Vf. selbst konzentriert sich in seiner Untersuchung gleichfalls auf Belastungsfaktoren. Methodisch legt er selbst entwickelte, von 30 Brustkrebspatientinnen ausgefüllte Fragebögen zu Grunde, die eine operative Primärtherapie (einschließlich Lymphonodektomie) hinter sich haben (Alter: 28-69 Jahre, mit primär christlicher Sozialisation als ein Auswahlkriterium). Die Fragebögen in der Form halbstandardisierter Interviews (vgl. 96-103) werden mit dem Programm SPSS/PC+ ausgewertet, die Daten werden ausführlich dokumentiert.

Leitfragen für die Auswertung zielten auf: 1. Belastungsfaktoren (120 ff.), 2. Erwartungen an die Krankenhausseelsorge (171 ff.), 3. die Rolle der religiösen Orientierung bei der Bewältigung der Krankheit (234 ff.). - Zu 1: Der Vf. gelangt zu dem Ergebnis, dass die Diagnose von den Patientinnen hochprozentig mit Tod und Sterben assoziiert wird. Er falsifiziert seine Annahme, dass die Infragestellung weiblicher Identität ein großer Belastungsfaktor sei - die Diagnose Brustkrebs sei nachhaltiger. - Zu 2: Nur wenige Patientinnen würden von sich aus einen Seelsorger rufen, die Hälfte von ihnen begrüßt jedoch einen Besuch. Die Seelsorger und Seelsorgerinnen müssen sich auf ein breit gefächertes Erwartungsspektrum einstellen, wobei religiöse Erwartungen (auch bei der befragten, religiös sozialisierten Gruppe!) eher als gering eingestuft werden. Die Befragten stuften auch das Geschlecht der Seelsorger als nachgeordnet ein. Als wichtiger werden Einfühlsamkeit, Alter, Glaubwürdigkeit betont (vgl. 199). - Zu 3: Nur ein Drittel der befragten 30 Frauen brachte die Krankheit in Zusammenhang mit religiösen Fragen. Hierbei dominierte der Themenkomplex "Gott und das Leid, Gott im Leiden".

Bei der Lektüre bereitete mir der Stil des Vf.s zwei Probleme. Zum einen nötigen substantivierte Verben und verschachtelter Satzbau zu wiederholter Lektüre. Zum anderen hindert mich die ausschließliche Perspektive des Statistikers daran, mich mit dem "mitgehenden Gott" auf den Weg zu machen (Aach mit Mayer-Scheu). Der Vf. verharrt auf der deskriptiven Ebene, entwickelt (außer den Eingangsreferaten zu Mayer-Scheu und Zimmermann-Wolf) keinen eigenen theologischen Standpunkt, deutet keine praktischen Konsequenzen für die Krankenhausseelsorge an. Wem dieser distanzierte Zugang nicht reicht, die oder der wird nach wie vor durch Erfahrungsberichte von Seelsorgenden und Betroffenen besser informiert sein.

Ferner erscheint mir nach Abschluss dieser Lektüre umso dringlicher, endlich das Tabu entsprechender Krankheitslagen bei Männern aufzuarbeiten. Gerade durch dieses Tabu mag hier die Hilflosigkeit bei Seelsorgenden und Betroffenen - schon durch das Informationsdefizit - umso größer sein. Hierauf verweist der Vf. im Schlusswort auch selbst.