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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

939–941

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ward, Keith

Titel/Untertitel:

Religion and Human Nature.

Verlag:

Oxford: Clarendon Press 1998. VII, 333 S. 8. ISBN: 0-19-826961-7.

Rezensent:

Hubert Meisinger

In Fortführung einer Reihe von Veröffentlichungen, die seinem Ansatz einer "Komparativen Theologie" verpflichtet sind, beschäftigt sich Keith Ward, Professor of Divinity der Universität Oxford, in diesem informativen und durchdachten Buch differenziert mit religiösen Vorstellungen zur menschlichen Natur und ihrem Schicksal.

Vergleichend diskutiert er unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Traditionen, die exemplarisch für verschiedene Ansätze der Betrachtung der menschlichen Natur stehen und die auf unterschiedliche Weise die Beziehung Körper - Geist thematisieren, angefangen bei der nicht-dualistischen Vorstellung der Advaita Vedanta über die "Viele Selbst"-Tradition des Vaishnavismus und die Ablehnung eines Selbst im Buddhismus bis hin zu Vorstellungen semitischer religiöser Traditionen, bei denen das Selbst Körperlichkeit besitzt. Exemplarisch seien zwei Traditionen vorgestellt:

Die aus Indien stammende Advaita-Vedanta-Tradition erläutert W. in Auseinandersetzung mit deren Interpretation durch einen ihrer religiösen Führer, Swami Vivekananda (Ende 19. Jh.). Bei diesem spiele die Welt eine positive Rolle im Prozess einer zunehmenden Deifikation (Vergöttlichung). Jede Seele sei Teil Gottes, insofern auch identisch mit jeder anderen Seele und anbetungswürdig. Daraus ergebe sich die Gleichheit aller Menschen und die Notwendigkeit zu aktiver altruistischer Hingabe. Sünde oder das Böse spielten keine Rolle, da die Betonung nicht auf der Unvollkommenheit der gegenwärtigen Natur liege, sondern auf der Perfektion der potentiellen Natur. Der Gedanke der "Einheit" sei der grundlegende ethische Imperativ. W. entdeckt bei Vivekananda Hegelsche und Schleiermachersche Einflüsse in Bezug auf geschichtliches Entwicklungsdenken und die Rolle der Erfahrung.

Den Gegensatz zu solchen mentalistischen Trends sieht W. im evolutionären Naturalismus als dem einflussreichsten Kind der Aufklärung. Basierend auf Grundannahmen von Darwin werde darin ein Bild der Entstehung des Lebens auf der Erde entwickelt, bei dem die natürliche Selektion die wichtigste Rolle spiele. Doch könne damit, so W., die Entstehung von Bewusstsein nicht erklärt werden. Dazu bedürfe es einer theistischen Interpretation der Evolution, die W. entwickelt und bei der Gott alle natürlichen kausalen Prozesse kontinuierlich beeinflusse und in Richtung hin zu einer Personalisierung der Natur lenke. W. will damit vor allen Dingen auf die Grenzen naturwissenschaftlicher Erklärungen aufmerksam machen, nicht auf mögliche Lücken. Anders gesagt: Es geht ihm nicht darum, einen Lückenbüßer-Gott zu etablieren, sondern eine metawissenschaftliche, theistische Theorie zu entwickeln, die die Wissenschaft und ihre Ergebnisse ernst nimmt und gleichzeitig die Gottesvorstellung als konsistent mit ihr beschreiben kann. Teilweise berücksichtigt er in seinen Überlegungen die Unterscheidung Wissenschaft - Metawissenschaft nicht konsequent, und auch seine Darstellung der Evolutionstheorie überbetont den Faktor der natürlichen Selektion, doch wird sein Anliegen klar: eine theistische Interpretation mache die Entstehung von Bewusstsein und damit verbunden von Verantwortung und Liebe wahrscheinlicher als es eine evolutionäre Theorie alleine könne.

Auf dem Hintergrund wissenschaftlicher Theorien über kosmische und biologische Evolution bespricht er anschließend semitische und christliche Traditionen im Hinblick auf das ihnen inhärente Verständnis von Seele, Ursünde, Buße und Erlösung. Um das christliche Verständnis der menschlichen Natur wahrhaft schätzen zu können, befasst er sich schließlich mit der Frage nach dem Schicksal der Seele und damit mit der Frage nach einem Leben nach dem Tode. Während ein Leben nach dem Tode in jüdischen Schriften nur eine sehr untergeordnete Rolle spiele, nehme es im Islam eine zentrale Stellung ein. Vor allem die Vorstellung eines letzten Gerichts sei ein fundamentales Motiv der islamischen Religion, ohne dass jedoch eine messianische Figur eine Rolle spiele, wie dies im jüdischen und christlichen Glauben auf je unterschiedliche Weise der Fall sei. Damit rückt das Verhältnis zwischen der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit Gottes (bzw. einer forensischen und einer soteriologischen Gerechtigkeit) in den Blickpunkt von W.s Interesse. Während dieses im Islam letztlich unbestimmbar bleibe, werde es im christlichen Glauben durch die Erlösungstat Christi, des messianischen leidenden Knechtes, am Kreuz durch Gott selber zur Barmherzigkeit hin aufgelöst.

Ausführlich stellt W. seine hoch spekulative Theorie dar, nach der die Seelen eines jeden Individuums entsprechend ihrer Nähe oder Ferne zu Gott im Tode in ebenso unterschiedlicher Nähe oder Ferne zu Gott zwischen Hölle und Paradies einen Platz einnähmen, ohne räumliche, wohl aber mit einer zeitlichen Beziehung zu ihrem Erdenleben. Von diesem Ort in einer Art Zwischenwelt aus begeben sie sich auf den Weg zu einer weiteren, kontinuierlichen spirituellen Entwicklung hin zur Parusie Gottes und ihrer letztgültigen Verkörperung in der Auferstehungswelt. In Auseinandersetzung mit dem kosmischen Optimismus in Teilhard de Chardins Denken und dem aus seiner Sicht eher pessimistischen Blick eines Jürgen Moltmann auf die Zukunft der Schöpfung entwickelt W. selbst ein sehr optimistisches Zukunftsszenario für die christliche Religion, die als "body of Christ" weiter existieren werde, wie modifiziert sie auch immer sei. Die Erscheinungen Jesu nach seinem Tode, denen er physische Realität einräumt, versteht er als Bestätigung: Sie zeigten, dass die Kraft göttlicher Liebe stärker sei als der Tod. Und sie seien ein Versprechen, dass das letztliche Ziel der Menschheit in einer ewigen Einheit mit der Herrlichkeit Gottes bestehe - in einer neuen Schöpfung, die nicht in räumlicher, aber in zeitlicher Kontinuität mit der alten Schöpfung stehe, so dass die "story" eines jeden Lebens und die Geschichte dieser Welt nicht verloren gehe, sondern in der Beziehung zu Gott erfüllt werde. Er setzt sich von Tillich ab, dessen Vorstellung einer Zeitlosigkeit Gottes er nicht teilt. Die christliche Hoffnung erfordert nach W. eine zeitliche Zukunft nach der Auferstehung der Toten im Sinne einer Zeitlichkeit, die an der Zeitlichkeit Gottes teilhat und in der die Geschichte der Welt ausgearbeitet werde. Jeder Augenblick der Vergangenheit müsse dazu bewusst in Beziehung zu Gottes unendlicher Liebe, Barmherzigkeit und Seligkeit neu gelebt werden. Nicht Gerechtigkeit habe dann das letzte Wort, sondern Gottes universal versöhnende Barmherzigkeit - auch wenn W. eine letztliche Ablehnung durch Gott für möglich hält. W. schließt seine Überlegungen, indem er gemeinsame Merkmale der religiösen Vorstellungen darlegt, diese aber auf einer sehr generellen Ebene verortet. Je stärker man jedoch in die Tiefe oder in Einzelheiten gehe, desto deutlicher träten Unterschiede zu Tage, auf die er hinweist. Seine Überzeugung, dass die Wahrheit aber nur eine sein könne, erfordert jedoch eine kohärente und plausible Sicht der menschlichen Natur. Dieser ein Stück näher zu kommen, darin sieht er das Ziel seiner komparativen Theologie und seiner hier vorgestellten Überlegungen.

Es liegt ein lesenswertes Buch eines kreativen systematischen Theologen vor, der bei aller Inanspruchnahme moderner Einsichten vielen traditionellen Überlegungen verhaftet bleibt und diese in modernem Gewand reformuliert anstatt sie in die hermeneutische black box des heute Unverständlichen zu stecken. Damit öffnet er diese Überlegungen und seine Interpretationen dem theologischen und naturwissenschaftlichen Diskurs der Gegenwart, handelt sich aber auch die Kritik hoher Spekulativität bzw. einer zu real verstandenen Mythologie ein. Komparative Theologie, so wird deutlich, heißt nicht Patchwork-Theologie und auch nicht "anything goes", sondern ist der Versuch, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen - wobei das Verständnis von Wahrheit zumindest in diesem Buch nicht genau dargelegt wird: zum Teil scheint W. ein absolutes Verständnis von Wahrheit zu Grunde zu legen, an anderen Stellen klingt es eher nach einer Kohärenz-Wahrheit. Dass seine, die christliche Tradition dabei eine entscheidende Rolle spielt, verwundert nicht, denn von ihr her schreibt und diskutiert er.