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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

933–935

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ebenbauer, Peter

Titel/Untertitel:

Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen. Darstellung - Diskussion - Kritik.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 1998. 282 S. gr.8 = Innsbrucker theologische Studien, 52. Kart. öS 360,-. ISBN 3-7022-2180-8.

Rezensent:

Edmund Arens

Der "erstphilosophische" traditio-theologische Ansatz von H. Verweyen hat in den letzten Jahren beträchtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mit Ebenbauers Grazer Dissertation liegt die erste monographische Präsentation und Positionierung von Verweyens Fundamentaltheologie vor, an die sich der Versuch einer kritisch-konstruktiven Weiterführung "auf der Basis des systemtragenden traditio-Gedankens" (28) anschließt.

Nach einer knappen Skizze zum Entwicklungsgang fundamentaltheologischer Modelle legt E. Verweyens Konzeption ausgehend von der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Offenbarung dar, welche im Rahmen einer erstphilosophischen Sinn- und Geltungsreflexion anzugehen sei, der dann eine hermeneutische Sinnerfassung sowie eine kritisch-hermeneutische Verantwortung der Gehalte der Offenbarung und des Glaubens folgen.

Mit Verweyen expliziert E. den traditio-Gedanken als die theologische Mitte des christlichen Glaubens. Traditio im vierfachen Sinn mache das Substrat neutestamentlicher Christologie, Soteriologie sowie Ekklesiologie aus, sei zugleich Sinngestalt letztgültiger Selbstoffenbarung Gottes und gewinne von daher "axiomatischen Rang für die Fundamentaltheologie" (65). E. zeichnet umsichtig Verweyens transzendentalphilosophische Reflexion in Auseinandersetzung mit der Maréchalschule sowie K.-O. Apels Transzendentalpragmatik nach und macht deutlich, dass Verweyen bei der Frage nach dem Begriff letztgültigen Sinns im Anschluss an Anselm von Canterburys und Fichtes Bildgedanken zur Möglichkeit des Denkens unbedingten Seins und Sollens gelangt. Vom Begriff letztgültigen Sinns aus geht E. mit Verweyen zur kritischen Hermeneutik von Offenbarung über, worin er im Rekurs auf B. Weltes Theorie des zeugnisvermittelten interpersonalen Erkennens und H. U. v. Balthasars Theorie der objektiven Evidenz der Offenbarungsgestalt traditio als "Grundaxiom fundamentaltheologischer Hermeneutik" (106) aufzeigt.

Mittels dieser Hermeneutik ergibt sich für Verweyen ein Verständnis des Osterglaubens, das auf die s. E. in die Irre führende Metapher der Auferstehung verzichtet; zugleich wird damit die Frage nach der Präsenz von Gottes letztem Wort in der Kirche Jesu Christi beleuchtet. Verweyens Ansatz wird von E. sodann in den Kontext zeitgenössischer Konzeptionen von Fundamentaltheologie gestellt. Dabei kommen einerseits die im Umkreis postmoderner Hermeneutik angesiedelten Positionen D. Tracys, F. Schüssler-Fiorenzas und der Pluralistischen Religionstheologie zur Sprache und werden von Verweyen her einer differenzierten Kritik unterzogen. Andererseits wird Verweyens Verhältnis zur praktisch-politischen Fundamentaltheologie im Blick auf J. B. Metz, H. Peukert sowie E. Arens markiert, wobei E. neben Verweyens Kritik an deren Begründungsdefizit "unaufgebbare, ja unhintergehbare Einsichten der praktischen Fundamentaltheologie ... als hermeneutisches Regulativ" (177) festhalten will.

Schließlich wird Verweyens Ansatz mit drei konkurrierenden Versionen transzendentalen Denkens konfrontiert: mit K. Rahners Programm einer transzendental-existentialen Daseinsanalytik, R. Schaefflers transzendentaler Logik der Erfahrung sowie T. Pröppers theologischer Rezeption des transzendentalen Freiheitsdenkens. Kritisch fragt E. an, ob Verweyen transzendentalphilosophisch nicht zu weit geht und der vernünftigen Einholung des Offenbarungsgedankens zu viel zutraut. Zudem gibt er zu bedenken, ob Verweyen für seine erstphilosophische Erschließung des Begriffs letztgültigen Sinns "nicht ein sacrificium libertatis und damit verbunden ein sacrificium des Subjekts selbst zu bringen entschlossen ist" (229 f.). Darum will E. von Pröppers Freiheitsdenken und K. Müllers subjekttheoretischer Reflexion Verweyens Konzeption korrigierend so weiter entwickeln, dass der traditio-Gedanke und das traditio-Geschehen philosophisch offener und umfassender ausgelotet, theologisch differenziert und hermeneutisch expliziert werden, nämlich als "geschichtserschließende Hermeneutik aus dem geöffneten Blick der Freiheits-traditio" (253) einerseits und "präsenzerschließende Hermeneutik aus der Praxis der Freiheits-traditio" (257) andererseits. Laut E. wird traditio im umfassenden Sinne der traditio Dei damit zum Sinnhorizont freiheitsbegabter Vernunft und zugleich zum Angelpunkt des Glaubens und der Theologie.

E. hat eine beachtliche Arbeit vorgelegt, die zuverlässig über die Entwicklung von Verweyens Konzeption informiert, sie sorgfältig darstellt, ihre Stärken herausarbeitet und sich von deren Defiziten zu Korrekturen bewegen lässt. Überzeugend wird Verweyens Ansatz mit Positionen gegenwärtiger katholischer Fundamentaltheologie konfrontiert.

Freilich fällt auf, dass reformatorische Ansätze, mit denen sich Verweyen selbst allerdings auch wenig beschäftigt, außer Acht bleiben. Dabei hätte bei E.s Anliegen, im Gegenüber zu Verweyen das Hermeneutische stärker zu gewichten, die Diskussion mit postliberalen Konzeptionen (z. B. Lindbeck, Milbank), von denen her sich markante Zugänge zur traditio ergeben, nahe gelegen.

Die Anfragen, die von Seiten der praktischen Fundamentaltheologie an Verweyen zu stellen sind, werden zwar referiert, aber m. E. nur unzureichend beantwortet. Die eschatologische Dimension des Glaubens bleibt auch bei E. unterbelichtet. Zu Recht stellt er Verweyens fundamentale wie hermeneutisch fruchtbare Reflexionen zur traditio ins Zentrum seiner eigenen Überlegungen. Gerade der Sinn, die Gehalte sowie die Gestalten von traditio und Zeugnis lassen sich im intersubjektiv-kommunikationstheoretischen Rahmen m. E. aber aussichtsreicher begründen und entfalten als in jener erstphilosophisch angestrebten Letztbegründung.