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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1243 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

McGrath, Alister E.

Titel/Untertitel:

The Genesis of Doctrine. A Study in the Foundations of Doctrinal Criticism.

Verlag:

Grand Rapids: Eerdmans 1997. X, 266 S. 8. Kart. £ 25.-.

Rezensent:

Michael Plathow

1. Um dieses Werk A. E. McGraths treffend zu verstehen und angemessen zu würdigen, sei auf einige vorangegangene Veröffentlichungen des Principals of Wycliffe Hall, Oxford und Professors für Systematische Theologie am Regent College, Vancouver, hingewiesen: "Luther’s Theology of the Cross", 1985; "Iustitia Dei. A History of the Christian Doctrine of Justification", 1986; "The Intellectual Origins of the European Reformation", 1987; "Evangelicanism and the Future of Christianity", 1994; "The Christian Theology Reader", 1995; "An Introduction to Christianity", 1997 ("Der Weg der christlichen Theologie. Eine Einführung", München 1997 - ThLZ 123, 9, 886). Innerhalb dieses uvres hat die vorliegende Arbeit eine exponierte Stellung als theologische Grundlegung und systematischen Ertrag inne.

2. Der christlichen Theologie - "eines der faszinierendsten Fächer" - schreibt der Autor eine Schlüsselrolle zu in der modernen intellektuellen Kultur für die Zukunft, wenn Menschen immer neu eingeladen werden, sich der kirchlichen Erzähltradition von Jesus von Nazareth zu öffnen und in ihr lebendige Erfahrungen zu machen als Glaubensgemeinschaft durch Gebet, gottesdienstliche Liturgie, Spiritualität, pastorale Praxis und theologisches Nachdenken (197). Lehre erweist sich dabei als der Versuch der kirchlichen Gemeinschaft, eine öffentliche Beschreibung ihrer Identität vermittelnden Glaubensinhalte zu geben, also eine reflektierte Selbstdarstellung der lebendigen Erzähltradition, die ihre anamnetische Solidarität mit Jesus von Nazareth erkennt und anerkennt (196 f.). Jesus von Nazareth ist und bleibt das "explicandum" (17; 179), christliche Lehre je neue Gabe und Aufgabe: das Erbe der Vergangenheit in der Gegenwart für die Zukunft verantworten, kritisch zwischen bloßer Repetition des Überkommenen einerseits und jeglicher Ablehnung autoritativer Lehraussagen andererseits. Damit betont McG. die Bedeutung der Geschichte und der ererbten Lehraussagen für eine kritische Lehrverantwortung; er integriert theologie- und dogmengeschichtliche Forschungen in das systematisch-theologische Bedenken und das unter missionarischer Perspektive.

3. In "The Genesis of Doctrine" unterzieht McG. nach der phänomenologischen Beschreibung von Lehre und Dogma, Lehre und Theologie George A. Lindbecks ("The Nature of Doctrine. Religion and Theology in a Postliberal Age", 1984) Typisierung von Religion und christlicher Lehre einer kritischen Analyse: a. "kognitiv-propositionalistischer" Typ, b. "erfahrungs- und ausdrucksorientierter" Typ, c) G. A. Lindbecks "kulturell-sprachliche" Alternative einer postliberalen Regeltheorie (14-34).

Von McG.s eigenem, von M. Luther geprägten Traditionshintergrund konzentriert sich die Kritik auf folgende Fragenbereiche: nach dem historischen Ursprung kulturell-sprachlicher Tradition, die von den regulativen Prinzipien der Lehre geprägt ist; nach dem Entstehen der regulativen Sprache des christlichen "Idioms" (28 f.) - dabei wird Lindbecks regeltheoretische Interpretation des Nizänums kritisiert und in Parallele zu R. Bultmanns historisch zu befragende Kerygma-Christologie gerückt-; schließlich nach Lindbecks Verständnis von "Lehre" (34). McG. stellt fest, "that Lindbeck’s proposals require revision" (34); dies läuft darauf hinaus, der historischen Dimension von Lehre Bedeutung und Tiefenschärfe zu verleihen.

4. Vier Leitlinien stellt McG. auf für eine zukünftige Theorie der "Nature of Christian Doctrine" (35 ff.): a) Lehre als gemeinschaftliche Demarkation; b) Lehre als Interpretationsgeschichte; c) Lehre als Interpretation von Erfahrung; d) Lehre als Wahrheitsanspruch. In diesem Referenzrahmen erörtert der Autor folgende Themenbereiche einer "Discipline of Doctrinal Criticism": die historische Bedingtheit von Wahrheitsansprüchen; der kulturelle Relativismus; Theologie und Wissenssoziologie (81-102). Das Kapitel 5: "The Authority of the Past in Modern Christian Thought"(103-171) weist die Wahrnehmung für den historisch verankerten Charakter des Wissens nach am Beispiel der Renaissance und - damit verbunden - der Reformation. Die Aufklärung will demgegenüber die universale Vernunftwahrheit von der relativen und korrigierbaren historischen Wahrheit dogmenkritisch abgrenzen (137 ff.); ideologische Einflüsse werden dabei dominant (152 ff.) und sozialpsychologische motivierend (163 f.). McG. selbst nun zeigt mit Walter Benjamins "Thesen zum Konzept von Geschichte" (166 f.) die Relevanz gegenwärtiger Wiederaneignung überkommener Lehre und reflektierter Verantwortung des Ursprungereignisses des christlichen Glaubens auf (172 ff.). Die Geschichte Jesu von Nazareth, auf die die christliche Lehre die Antwort der Gemeinde darstellt (179 ff.), hat als gemeinsame Tradition des christlichen Glaubens Identität stiftende Bedeutung in der Gegenwart für die Zukunft einer das Evangelium verkündigenden Kirche (198 ff.).

5. McG. kritisiert und ergänzt mit seinem Insistieren auf der Bedeutung des Historischen für die christliche Lehre G. A. Lindbecks weitbekanntes Verständnis von "Lehre" nach der postliberalen Regeltheorie im "kulturell-sprachlichen" Zusammenhang. Nicht nur im Kontext der Diskussion über G. A. Lindbecks "The Nature of Doctrine" stellt A. E. McGraths "The Genesis of Doctrine" eine eigenständige, inhaltlich bestimmte Position dar; als eigener Entwurf sollte er für die Bedeutung christlichen Glaubens und christlicher Lehre in einer säkularisierten Gesellschaft in Zukunft großen Widerhall erfahren.

McG.s Konzept vom verantwortlichen "Erinnern in die Zukunft" in einer Zeit drohender Geschichtsvergessenheit auch in Kirche und Theologie hat in seinem Buch "The Genesis of Doctrine" seine theologische Fundamentierung und in seinem Buch "Der Weg der christlichen Theologie", München 1997, ein nachhaltig wirkendes Beispiel gefunden.