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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

928–931

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

(1) Valverde, Carlos (2) Leder, Matthias

Titel/Untertitel:

(1) Der Mensch als Person. Philosophische Anthropologie. Aus dem Span. von M. Lauble.
(2) Was heißt es, eine Person zu sein?

Verlag:

(1) Paderborn: Bonifatius 1999. 394 S. gr.8 = Amateca, 16. Geb. DM 78,-. ISBN 3-89710-053-3.
(2) Paderborn: mentis 1999. 430 S. gr.8 = Geist-Erkenntnis-Kommunikation. ISBN 3-89785-047-8.

Rezensent:

Andreas Großmann

Die Frage nach einer zureichenden Bestimmung des Personbegriffs hat in den Debatten der vergangenen Jahre vor allem im Blick auf die mit der Bioethik sich verbindenden Schwierigkeiten an Relevanz und Brisanz gewonnen. Verdienen etwa geistig Schwerbehinderte, Demente oder Menschen im Koma Personen genannt zu werden? Die in der Bioethik verbreitete Auffassung, die Person definiere sich über ihre Eigenschaften, namentlich das Bewusstsein, geht folgerichtig mit einer Negierung dieser Frage einher. Menschen im Koma, Demente oder auch Föten, heißt es, sind auf Grund fehlenden Bewusstseins keine Personen - und daher nicht-menschlichem Leben vergleichbar, also auch medizinisch-technischer, z. B. gentechnischer, Manipulation verfügbar. Die Problematik eines derart gefassten, in seinen Konsequenzen überaus bedenklichen, weil normativ entleerten Personbegriffs könnte dazu herausfordern, erneut und grundsätzlich zu bedenken, was es heißt, eine Person zu sein. Von solcher Beunruhigung lassen die Arbeiten von C. Valverde und M. Leder freilich nichts erkennen.

Herausgefordert zu seinem Entwurf einer philosophischen Anthropologie sieht sich C. Valverde vielmehr durch die in der westlichen Welt beobachtete "Sinnwüste", das in ihr herrschende "moralische Chaos" (58). Angesichts dessen macht sich der Vf. auf den "Weg der Erforschung der Wesenswirklichkeit des Menschen" (11), der ihn als Person konstituierenden "ontologisch-fundamentale[n] Textur" (10). Dieser Weg führt nicht nur durch die Geschichte der Philosophie. Berührt werden verschiedenste Themenfelder: Evolutionstheorie, Phänomenologie menschlichen Verhaltens, Erkenntnis, Wille, Leib-Seele, Leid und Tod, menschliche Sozialität. Die Fülle der verhandelten Fragestellungen kommt sicher dem Leistungssinn eines Lehrbuches entgegen, als welches das Buch konzipiert ist. So ist zu verstehen, dass es eher (und zum Teil äußerst knappe) Überblicke bietet, auf detaillierte Analysen hingegen verzichtet. Nicht verborgen bleibt dem Leser darüber hinaus, dass es sich bei dieser Arbeit um ein dezidiert katholisches Lehrbuch handelt (der Vf. lehrt als Jesuit Metaphysik und Geschichte der Philosophie am Theologischen Institut "San Dámaso" in Madrid).

Das Gesamt "letzter Wahrheiten" (58, vgl. 19), das die Untersuchung auszubreiten beansprucht, hat insofern ein unverwechselbares Gepräge, die demonstrierte Offenheit für Themen und Autoren klar umrissene Grenzen. Die "pessimistische" Anthropologie Luthers etwa erkennt der Vf. als verantwortlich für einen missliebigen "Subjektivismus", die Infragestellung der päpstlichen Autorität durch den Reformator soll andererseits einem "politischen Absolutismus" den Boden bereitet haben (72). In anderem Zusammenhang ist gar einfach summarisch von "der" protestantischen Theologie die Rede, die in ihrer Weise, die Gottesbeziehung des Menschen zu denken, den Menschen auf ein "Ding" Gottes reduziere (384). Überhaupt glaubt der Vf., die Existenz Gottes "als ausgemacht" voraussetzen zu können (372, 377) - eine für eine philosophische Anthropologie verwunderliche, sich gewiss nicht ohne weiteres verstehende Aussage. Doch Gott sei nun einmal "der Schlüssel für das menschliche Rätsel" (378), der Mensch unausweichlich an Gott gebunden (379). Und so wird suggeriert, als bräuchten wir in unserer moralisch verkommenen westlichen Kultur nur erneut die - vielleicht durch den Heiligen Thomas und Karol Woityla vermittelte - Besinnung auf traditionelle Werte und vermeintliche anthropologische Konstanten, damit die Dinge wieder zurechtgerückt werden: auf dass der wahre Wert der Frau in ihrer "mütterlichen und familiären Funktion als Seele der Familie" wieder "ganz klar erkannt" werde (358), Homosexualität nicht minder deutlich als das in den Blick komme, was sie sei - schlechthin "anormal" (354). Selbst für das gravierendste sozialpolitische Problem heutiger Industriegesellschaften, die Arbeitslosigkeit, weiß der Autor eine unausdenkbar simple Lösung: Besinnen wir uns auf den Wert der Solidarität, und die Arbeitslosigkeit verschwindet (367)!

Solche Romantizismen - die Arbeit "veredle" den Menschen, sie sei nachgerade "einer der unstreitigsten Adelstitel" (363) - verbinden sich auf der anderen Seite mit einem merkwürdigen, gegenüber den allenthalben präsenten ökologischen Problemen denkbar unsensiblen Fortschrittsglauben. Wie aber kann man das "Wachstum der Naturbeherrschung durch Technik und Rationalität" (366) vorbehaltlos feiern, für die (etwa von Heidegger und Adorno schon vor Jahrzehnten scharf diagnostizierte) Ambivalenz technischer Rationalität blind sein? Der Vf. insinuiert eine "seriöse, tiefgehende Fundierung der Sozialstruktur, der Politik und der Moral des Menschen" (375). Was er konzeptionell bietet und als Therapeutikum offeriert (vgl. 12), dürfte jedoch einen bereits nur einigermaßen wachen Zeitgenossen ziemlich verstören.

In andere Gefilde führt die Untersuchung von M. Leder. Der Titelfrage seiner Arbeit, einer Berliner Dissertation aus dem Jahre 1996, sucht sich der Vf. im Anschluss und in der Auseinandersetzung mit der jüngeren analytischen Philosophie (u. a. Strawson, Nagel, Frankfurt, Dennett) zu nähern. Nach einem kleineren einführenden Teil über Perspektiven des Begriffs der Person (21 ff.), widmet sich der Vf. in den folgenden Kapiteln verschiedenen in der "philosophy of mind" diskutierten Aspekten: Rationales Handeln (55 ff.), Freiheit und Verantwortung (198 ff.), Selbst (328 ff.). Dabei überrascht, von der Situierung der Arbeit im analytischen Umfeld her gesehen, die Ausklammerung von Themen wie Bewusstsein oder Selbstbewusstsein. Der Vf. setzt die Akzente bewusst anders, wenn er das Kapitel über Freiheit und Verantwortung als das eigentliche Zentrum seiner Untersuchungen markiert (vgl. 19). Indes, was er nach aufwendiger Begriffsakrobatik anlässlich der zwischen Strawson, Nagel und Frankfurt geführten Debatte um Determinismus und Willensfreiheit an Einsicht letztlich zutage fördert, scheint in seiner Substanz relativ dürftig. So lesen wir: "Eine Person zu sein und selbstkritisch um die eigene Freiheit bemüht zu sein, ist nahezu dasselbe" (291), oder an anderer Stelle: "daß es für eine Person wesentlich ist, daran interessiert zu sein, nicht nur, was sie ist, sondern auch, wie sie ist" (306), um schließlich die nicht eben originelle Erkenntnis eröffnet zu bekommen, dass wir "durch und durch soziale Wesen" sind (327). Eine These, die der letzte Teil des Buches explizit in Erörterungen von Funktionen des Erzählens und des Verhältnisses von Selbst und Anderen aufgreift.

Bestätigung dafür, dass das Selbst von "durch und durch soziale[r] Beschaffenheit" sei (387), findet der Vf. in verhaltenspsychologischen Studien, immer wieder auch im vergleichenden Blick auf die Tierwelt. So erfahren wir nebenbei manches über weidende Graugänse, die Schlupfwespe Sphex und vor allem über Schimpansen.

Die philosophische Erörterung der Thematik hätte aber vermutlich gewonnen, hätte der Vf. die allzu engen Grenzen der analytischen "philosophy of mind" verlassen und mindestens zur Kenntnis genommen, was Hermeneutik und Phänomenologie in die Debatte eingebracht haben. Denn dass das Selbst eingebettet ist "in einen kulturell-historischen Kontext", die Anderen "im Selbst sozusagen mit drin" stehen (390, vgl. 342), Leiblichkeit als ein zentraler Aspekt zur Sprache zu bringen ist (387), Personalität "etwas wesentlich Historisches, Gewordenes und Werdendes" sei (408) - das sind Einsichten, die von Heidegger, Merleau-Ponty oder Ricoeur in eingehenden Analysen zur Geltung gebracht worden sind.

Der Vf. sucht dieses Gespräch jedoch leider nicht. Seine Darlegungen bewegen sich philosophisch vielmehr ausschließlich im Umfeld der analytischen Philosophie. Namentlich Dennett, bekennt der Vf., habe sein "Nachdenken über das Selbst am intensivsten beeinflußt" (392). Damit aber wird letztlich doch wieder in problematischer Weise an ein naturalistisches Konzept des Selbst angeknüpft: dem auf einem "kognitiven System" basierenden, sich durch "mentale" Fähigkeiten und Eigenschaften ausweisenden Selbst als "Kondensationskern der eigenen Biographie" (404, 405). So weiß der Vf. exakt zu sortieren, "was zu uns gehört und wasnicht" (405), "zur Bekämpfung der Inflation" ein "existentielles Selbst" (das "im Alter von ca. 18 Monaten entstehe) genau von einem "narrativen Selbst" (dessen Anfänge "im Alter von ca. 3,5 bis 4 Jahren auszumachen" seien) zu unterscheiden; im Beginn der Pubertät liege sodann "ein weiterer Meilenstein der Entwicklung", wenn nämlich "der Jugendliche den Begriff der Möglichkeit erwirbt" (406).

Dass wir, wie der Vf. am Ende seines Buches sagt, "mit dem Fragen nie an ein Ende" kommen, "das Wesen des Menschen" womöglich "in der Frage nach ihm" bestehe (411), zeugt immerhin von respektabler Selbst-Bescheidung. Was es heißt, eine Person zu sein, bleibt, ungeachtet der vorgetragenen Bestimmtheiten, so doch wohl eine offene, sich letzter Bestimmtheit entziehende Frage.