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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

926–928

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Michael

Titel/Untertitel:

Zeichen und Wissen. Das Verhältnis der Zeichentheorie zur Theorie des Wissens und der Wissenschaften im dreizehnten Jahrhundert.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1999. III, 300 S. gr.8 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N. 51. Kart. DM 80,-. ISBN 3-402-04002-6.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

"Als politisches Wesen ist der Mensch ... auf Sprache angewiesen", die Einsetzung der konkreten Worte geschieht indes bei den Völkern unterschiedlich, folgt also dabei keiner Notwendigkeit, sondern ist das Ergebnis einer Festlegung oder Übereinkunft, sagt Thomas von Aquin; er liefert aber keine konkrete Theorie der Sprachgenese, meint der Vf. (161). Auch wenn seine Untersuchung der Semiotik, als Dissertation bei L. Honnefelder erarbeitet, nicht auf Thomas beschränkt ist, so ist ihr Ziel doch deren Darstellung beim Doctor communis. Der Vf. stellt fest, dass erstaunlicherweise das Thema im Hinblick auf ihn bisher nicht bearbeitet wurde. Nur dann aber könne man über das Thema bei Wilhelm von Ockham, dem heute das Interesse der Forschung gilt, sachgemäß urteilen, wenn seine Vorgeschichte ausreichend berücksichtigt würde (11).

Nach einer Einleitung, die über Problemstellung, Forschungsstand, Methodik und Relevanz des Themas berichtet, behandelt der Vf. zuerst die Grundlagen der mittelalterlichen Semiotik bei Aristoteles und Augustin (21-77), dann die Semiotikrezeption im 13. Jh. bei Bonaventura, Roger Bacon und Ps.-Robert Kilwardby (78-144), endlich Semiotik und Epistemologie bei Thomas von Aquin (145-238). Schließlich fasst er (239-252) die Ergebnisse seiner Arbeit zusammen. Es zeigt sich, dass die Arbeit nicht nur von mediävistischem Interesse geprägt ist. Fragestellungen heutiger Hermeneutik stehen im Hintergrund. Das wird schon aus der Einleitung erkennbar: "Nach dem alltäglichen Verständnis ist das Zeichen eine Entität, die für eine andere Entität steht und zu deren Erkenntnis führt ... Sowohl analytische Philosophie als auch Hermeneutik und Strukturalismus sehen in der Sprache das unhintergehbare Medium und den zentralen Gegenstand philosophischer Reflexion. In philosophiehistorischer Perspektive ist diese Hinwendung zur Sprache als Transformation der Philosophie gedeutet worden" (7). Der Vf. will also die Vorläufer moderner Semiotik exemplarisch darstellen.

Der Vf. setzt bei Aristoteles ein; seine Analytika und "Peri Hermeneias" bilden die Grundlage jeder Sprach- und Zeichentheorie, auch wenn der Vf. bei ihm genauer von "zeichentheoretischen Fragmenten" spricht, weil er beide Theoriestücke noch nicht aufeinander bezogen hat (21). Der Vf. stellt fest: "Die Rede vom sprachlichen Zeichen stellt nicht den Ausgangspunkt der Sprachbetrachtung dar".

Bei Augustin setzt der Vf. bei De magistro an (die zweisprachige und kommentierte Ausgabe von B. Mojsisch, 1998, hat er nicht mehr benutzt): Ziel allen Sprechens ist es, zu lehren und sich zu erinnern. Dazu seien die Worte notwendige Zeichen, die bestimmte Dinge bezeichnen. Die Erkenntnis der Sache, also das Wissen, das durch das Zeichen vermittelt wird, ist wichtiger als das Zeichen selbst; das Zeichen existiert nur um der Erkenntnis willen, es ist ihr Hilfsmittel (34 f.). Diese Zeichentheorie wendet der Kirchenvater in De doctrina christiana auf die Sakramententheologie an, wobei er Sakrament als heiliges Zeichen definiert und auf den Ähnlichkeitsbezug zwischen sakramentalem Zeichen und übernatürlicher Wirklichkeit (res sacramenti) hinweist (43). In De trinitate deutet er das Wort theologisch als "inneres Wort"; der Vater hat den Sohn durch den geformten Gedanken aus dem Gedächtnis gezeugt (48, 50). Der Vf. stellt fest, Augustins Semiotik stellt vor dem Hintergrund der hellenistischen Debatte, die er erst danach darstellt, eine erstaunliche Komposition heterogener Elemente dar (75).

Obwohl die Philosophie bei Bonaventura einen hohen Stellenwert einnimmt, will er ihr bzw. der natürlichen Vernunft keinen Eigenwert zuerkennen. Er behauptet einen "indexikalischen und einen ikonischen Bezug zwischen ... Gott und den einzelnen wahrnehmbaren Entitäten", gegründet in der Kausalbeziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf. Die Geschöpfe sind Hilfsmittel der Gotteserkenntnis. Alle sinnenfälligen Dinge sind ihm Zeichen für den Schöpfer und die Heilige Schrift "nichts anderes als der Kommentar zum Buch der Schöpfung" (83 f.). Das Zeichen ist bezogen auf das, was es bezeichnet, und auf den, für den es bezeichnet (92). Die aristotelischen Elemente seiner Erkenntnistheorie deutet er zeichentheoretisch (96).

Nur Roger Bacon hat im 13. Jh. einen Traktat über das Zeichen verfasst. Obwohl er die Struktur seiner Definition von Augustin übernimmt, nennt er nur Aristoteles. Liegt das nicht daran, dass zu dieser Zeit der "Philosoph" als moderner galt als der Kirchenvater? Als "semiotische Grundeinheit" fasst er das Wort erst in seiner konkreten Bezeichnungssituation auf (121). Wenn der Vf. behauptet, Bacon verstünde den "intellectus agens" als "Gott" (198), so findet der Rez. im Zitat (126) dafür keinen Anhalt, vielmehr erleuchtet der intellectus agens als göttliche Weisheit die Seele, damit sie die philosophische Wahrheit erfassen kann.

Für Ps.-Robert Kilwardby ist jede Sprachwissenschaft rationale Wissenschaft, weil das Prinzip der Sprache die ratio sei. Er unterscheidet Zeichen, die nur zum Bezeichnen eingesetzt sind, von denen, die zum Bezeichnen und zur Heiligung eingesetzt sind, also von den Sakramenten (128 f., 131). Auch er geht von Aristoteles aus und kritisiert Augustin: Nicht alle Zeichen prägen dem Sinnesvermögen ihr Bild auf, aber mit Bacon hält er an der zentralen Stellung des Sprachzeichens innerhalb der Semiotik fest, während für Bonaventura die Sprache diese Stellung nicht hat.

Zu Thomas stellt der Vf. fest, er habe sich bemüht, "die aus dem profanen Denken stammende philosophische Einsicht in die Gesamtreflexion auf ein durch den christlichen Glauben bestimmtes Weltverständnis einzuordnen" (145). (Trifft das für Bonaventura nicht auch zu?) Er geht davon aus, dass die passiones animae bei Aristoteles identisch seien mit den verba mentis bei Augustin (153). Er nennt unter den Sprechakten nicht nur die Aussage, sondern auch die performative Rede und das Gebet. Damit will er dem göttlichen Sprechen (Schöpfung durch das Wort) gerecht werden. Zur performativen Sprache rechnet er die sakramentalen Sprechakte (163). Auf sie kommt der Vf. mehrfach zu sprechen (167 ff.228 ff.). Thomas gibt der Sakramentstheologie "einen konsequent zeichentheoretischen Zuschnitt". Trotz verschiedener Entitäten könne beim Sakrament als von etwas Einheitlichem gesprochen werden. In der Bezeichnungsfunktion (ratio significandi) kommen die Elemente und das Wort zusammen (168, 171). Ausführlich behandelt der Vf. das, was Thomas über die Sprache der Engel schreibt. Hinsichtlich des Erkennens der Natur durch Zeichen geht es ihm um "den schrittweisen erkennenden Nachvollzug realer Kausalstrukturen", wobei er zwischen dem Wirkungsbereich der Erst- und der Zweitursache unterscheidet. "Die theologische Betrachtung Gottes als Exemplarursache ... bleibt von dieser Neuorientierung der Naturphilosophie an Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen ... unberührt" (212).

Deutlich ist im 13. Jh. ein vertieftes Interesse am Begriff des Zeichens zu erkennen. Das hängt zweifellos mit der Aristotelesrezeption zusammen. Für Thomas liegt die Einheit des Zeichenbegriffes im Bezug des Zeichens auf ein zu erlangendes Wissen. Im Unterschied zu Aristoteles ist für ihn der Zeichenbegriff nicht nur auf einen defizienten Modus des Wissens und Wissenserwerbs anwendbar; er will vor allem das Voranschreiten der Vernunft vom Bekannten zum Noch-nicht-Bekannten zum Ausdruck bringen (244), es geht ihm um den Erkenntnisprozess. So bringt also die Semiotik bei Ockham keine gänzlich neue Sichtweise hervor. Bei Nikolaus von Kues wird man nicht einfach - mit dem Vf. - sagen können, er habe die augustinische Bestimmung des Zeichens wiederholt (250), vielmehr spricht er - wie Aristoteles - davon, dass sie "die Dinge entweder von Natur aus oder auf Grund menschlicher Setzung" bezeichnen (Comp. c. 2, n. 5).

Insgesamt bietet der Vf. einen interessanten Beitrag zur Vorgeschichte heutiger Semiotik bzw. Hermeneutik. Ohne ihre mittelalterlichen Wurzeln kann sie kaum sachgemäß verstanden werden.