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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

923–926

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Düringer, Hermann

Titel/Untertitel:

Universale Vernunft und partikularer Glaube. Eine theologische Auswertung des Werkes von Jürgen Habermas.

Verlag:

Leuven: Peeters 1999. XII, 366 S. gr.8 = Studies in philosophical Theology, 19. Kart. BEF 1400. ISBN 90-429-0727-4.

Rezensent:

Wolfgang Pfüller

Wozu nach den zahlreichen theologischen Rezeptionsbemühungen eine erneute "theologische Auswertung des Werkes von Jürgen Habermas"? Aus Anlass seines 70. Geburtstags? H. Düringer, offenbar Pfarrer in Frankfurt/M., gibt auf diese Fragen im "Vorwort" seines Buches (1-12) keine Antwort. Zwar erläutert er, seit Anfang seiner Studienzeit (1967) mit Adorno und Habermas (= H.) befasst, ziemlich ausführlich den biographischen Anlass seiner ca. 30-jährigen Beschäftigung mit H. Die sachliche Veranlassung seines Buches erläutert er hingegen nicht, dessen Aufbau kaum.

Das Buch hat drei Teile. Im weitaus umfangreichsten Teil I (13-224) erörtert D. die Bedeutung und Beurteilung von Religion und Theologie für bzw. durch H. Mehrfach konstatiert er dessen eigentümliche Distanz wie zugleich Nähe zu Religion und Theologie (19 ff.147 ff.197 ff.). Möchte H. sein "nachmetaphysisches Denken" einerseits keinesfalls mit religiösem (und metaphysischem) Denken vermischt sehen, so weist er andererseits geradezu regelmäßig auf den religiösen Hintergrund seiner theoretischen Arbeit in der protestantischen und jüdischen Mystik hin. D. analysiert sehr sorgfältig diese ambivalente Position. Dabei wird gut erkennbar, wie H. im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die eigenen theoretischen Ansprüche zunehmend reduziert und dementsprechend die Berechtigung von Religion zunehmend konzediert. War er zunächst der Meinung, eine kritische Gesellschaftstheorie könne die Religion ersetzen, so sah er sich später veranlasst, ihr zunehmend mehr und schließlich bleibende Bedeutung zuzugestehen (vgl. 85 ff.). Die Idee universaler Versöhnung, von Adorno negativ dialektisch besonders in der Kunst festgehalten, löst sich für H. mehr und mehr auf. Weder im Blick auf die Natur noch im Blick auf die Toten noch auch im Blick auf menschliche Kontingenzerfahrungen ist Versöhnung theoretisch aussagbar; eine universale Kommunikationsgemeinschaft ist nur als virtuelle, nicht als reale, zukünftige behauptbar; nicht einmal die Idee des "guten Lebens" im Sinne eines ethischen "höchsten Gutes" lässt sich noch stichhaltig begründen. Was behält daraufhin die kommunikative Vernunft des nachmetaphysischen Denkens vom emanzipatorischen Potential der Moderne über das wissenschaftlich-technische Potential der instrumentellen Vernunft hinaus überhaupt noch übrig (vgl. 59 ff.)? Kurz gesagt, "Versöhnung als gelingende Intersubjektivität". Und dies meint gelingende Verständigung in einer virtuell unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft in gegenseitiger Anerkennung. Der Gedanke intersubjektiver Verständigung, verwurzelt in der Struktur der Sprache, ist demgemäß der harte Kern des "unvollendeten Projekts der Moderne" wie einer "postkonventionellen Moral". Hier bewährt sich die Universalität der über die instrumentelle hinausgehenden kommunikativen Vernunft: "verständigungsorientiertes Handeln, solidarisches Handeln, und d. h. die Grundlagen einer gesellschaftlichen Moral müssen nicht dezisionistisch abgeleitet werden aus einem religiös-metaphysischen Wertehimmel, sie sind vielmehr ,immer schon' gegeben in der Sprache und in der in ihr wirksamen kommunikativen Rationalität" (61).

Eine solche Moral aber liefert nicht mehr als den formalen, prozeduralen Rahmen intersubjektiver Kommunikation bzw. des intersubjektiven Diskurses. Mehr kann sie, "nachmetaphysisch", angesichts neuzeitlicher Rationalitätsstandards nicht leisten (vgl. 109 ff. und bes. 171 ff.). Damit ist der entscheidende Grund für H.s Reduktion seiner theoretischen Ansprüche genannt. Er will Philosophie nicht von den Geltungskriterien neuzeitlicher Wissenschaft und d. h. vor allem der Naturwissenschaften abkoppeln. "Gültigkeit hat, was sich begründen lässt. Begründet ist eine Aussage dann, wenn sie von anderen allein auf Grund des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments übernommen werden kann ... Gute Gründe und der Fallibilismus ... sind somit methodologische Grundpfeiler nachmetaphysischen Denkens." (183) Metaphysik ist obsolet, weil sie "das Ganze" mit Anspruch auf universale Gültigkeit zu denken versucht; Religion und Theologie sind obsolet, sofern sie dies versuchen. Gegenwärtige Philosophie qua nachmetaphysisches Denken kann wegen ihres Anspruchs auf universale Gültigkeit im Blick auf "partikulare Lebensformen, Weltanschauungen, Religionen in einer pluralistischen Gesellschaft und multireligiösen und -kulturellen Welt" (192) nicht mehr leisten, als als "unparteiliches Kommunikationsmedium" zwischen ihnen zu vermitteln und so ihren Beitrag "zu interkultureller Verständigung und gelingender Pluralität" zu erbringen (193).

Im Teil II seiner Untersuchung (225-304) analysiert und diskutiert D. ohne Anspruch auf Vollständigkeit theologische Rezeptionen des H.schen Werkes. Dabei geht es ihm um Rezeptionen, "die mit pointierten Interpretationsvorschlägen aufwarten oder für einen bestimmten Interpretationstypus repräsentativ sind" (225). Insgesamt werden neun christliche Theologen (H. Peukert, E. Arens, R. J. Siebert, K. Bauer, W. Pauly, W. Pannenberg, T. Rendtorff, H. Luther, J. Glebe-Möller) sowie ein jüdischer Nichttheologe (M. Brumlik) mit ihren theologischen Überlegungen zu H. präsentiert. Jedoch bleiben diese Darlegungen m. E. weithin unbefriedigend. So wird kaum ersichtlich, worin die pointierten Interpretationsvorschläge oder die bestimmten Interpretationstypen bestehen sollen. Zudem werden sechs der zehn Autoren nur sehr kurz dargestellt, was kaum ergiebig ist.

Auch bezieht sich die dargelegte Kritik Peukerts, Pannenbergs und Rendtorffs an H. auf Positionen, die dieser selbst mittlerweile nicht mehr einnimmt. Schließlich wird bei Rendtorff, Luther und Glebe-Möller weniger deren H.-Rezeption analysiert als vielmehr ihre theologische Position kritisiert. Hilfreich wäre darüber hinaus sicher eine Systematisierung der theologischen H.-Rezeptionen gewesen, etwa wie sie E. Arens seinerzeit in dem von ihm zum 60. Geburtstag H.' herausgegebenen Band "Habermas und die Theologie" vorgenommen hat (s. ThLZ 115, 1990, 222). Bedenkenswert sind freilich die Vorbehalte, die D. einem apologetischen Umgang mit H. entgegenbringt. Dieser sucht nämlich wie alle apologetischen Diskussionen "nach den Schwachstellen des Gesprächspartners anstatt mit den Stärken produktiv zu arbeiten" (225). Die produktivsten Herausforderungen für die Theologie liegen D. zufolge jedoch dort, wo H.' "nachmetaphysische Theorie am stärksten ist" (226).

Genau diese Herausforderungen nimmt D. im letzten Teil seines Buches (305-48) auf, das durch ein Literaturverzeichnis (349-66) abgeschlossen wird. Dabei lässt er sich von zwei Fragen leiten: 1. Welche Bedeutung hat die H.sche Philosophie "in Hinblick auf ein rationalitätstheoretisches Selbstverständnis von Kirche und Theologie"? 2. Welche Bedeutung hat sie "für ein kirchliches und theologisches Selbstverständnis in einer pluralistischen und multireligiösen (Welt-)gesellschaft"? (305)

1. Dieser Frage widmet sich D. ungleich ausführlicher (305-42) als der anderen (343-48). Es geht hierbei um das alte Problem des Verhältnisses von Glaube und Vernunft. D. akzeptiert im Wesentlichen die H.schen Vorgaben. Glaube mit seinen Deutungen der Welt und des Menschen kann keinen Allgemeingütligkeitsanspruch aufrecht erhalten und ist in diesem Sinne ungeachtet seines universalen Horizontes partikular. Demgegenüber muss die Vernunft auf ihrem Anspruch auf universale Gültigkeit bestehen, kann aber deshalb die Fragen des Glaubens nicht beantworten, wird folglich "unvermischt" und "ungetrennt" (vgl. 310) mit diesem koexistieren. Der Glaube seinerseits widerspricht keineswegs der Vernunft, auch wenn er, "gemessen am Vermögen der menschlichen Vernunft, absurde, d. h. nichtrationale Anteile hat" (319). Betrachtet man auf Grund dieses Verhältnisses von Glaube und Vernunft "Weltdeutungen und Religionen ideologiekritisch", so kann dies nicht heißen, "sie abzuschaffen, sondern ihren scheinrationalen oder durch Herrschaft gestützten allgemeinen Geltungsanspruch zu brechen und ihre interne Rationalität reflexiv zu mobilisieren. Sie treten dann hervor als notwendige partikulare Lebensformen. Ihnen anzugehören wird dann nicht mehr konstituiert durch geronnene oder offene Herrschaft, auch nicht durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments, sondern durch eine freie Entscheidung." (338 f.)

2. Die Position der Kirche in einer säkularisierten, pluralistischen Gesellschaft ergibt sich ohne Weiteres aus den beiden zuletzt zitierten Sätzen. Kirche hat sich zu verstehen als eine "partikulare Größe mit universaler Ausrichtung" (347). Universal sind die von ihr vertretenen Deutungen, partikular deren Gültigkeit, da die Zustimmung zu ihnen letztlich nicht auf den besseren Argumenten beruhen kann, vielmehr "an einen Akt vertrauender Anerkennung" gebunden ist (347 f.). Die Kirchen müssen diese Partikularität akzeptieren und sich vom "Modell vormoderner Gesellschaften" verabschieden, "in denen Religion mit der sozialen und politischen Verfaßtheit der Gesellschaft eine nicht selten zwangsweise konstituierte Einheit bildete" (345).

Die Stärke des Buches von D. liegt m. E. vor allem in zwei Bereichen. Zum einen liefert es eine überaus kundige Darstellung der H.schen Überlegungen zu Religion und Theologie, nicht zuletzt in ihrer Entwicklung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Zum anderen zieht es respektable rationalitäts- und kirchentheoretische Schlussfolgerungen, indem es die Herausforderungen durch die Stärken der H.schen Theorie aufnimmt. Denn ein apologetischer Nachweis der Schwächen dieser Theorie mit dem Ziel, Religion und Theologie eine Berechtigung zu sichern, dürfte sich mittlerweile erledigt haben, hat doch H. diese Berechtigung selbst anerkannt und seinen Theorieanspruch dementsprechend reduziert. (Was D. freilich, 330-32, generell zur Problematik einer an Grenzfragen und Aporien anderer Theorien anknüpfenden Theologie sagt, ist selbst höchst problematisch.) Eine Stärke der H.schen Theorie allerdings wertet D. nicht aus. Es ist dies der Stellenwert seiner Diskursethik für eine theologische Ethik. Demzufolge problematisiert er andererseits auch nicht H.' Begründung der ethischen Basisnorm "in der Symmetriestruktur sprachlicher Kommunikation"; ein einschlägiger Einwand Brumliks wird kurzerhand abgetan (302). Hier hätte etwa unter Einbeziehung der Überlegungen K.-O. Apels sowie der Einwände von Seiten des kritischen Rationalismus H. Alberts die Tragfähigkeit des H.schen Konzeptes kommunikativer Rationalität einer kritischen Überprüfung unterzogen werden müssen.

Aber vielleicht würde D. dies ja nicht zu einer "theologischen Auswertung des Werkes von Jürgen Habermas" zählen. Um daraufhin die eingangs gestellte Frage wieder aufzugreifen: Überzeugt das Buch D.s selbst von der sachlichen Berechtigung seiner Auswertung? Im Großen und Ganzen möchte ich diese Frage bejahen. Denn zum einen zeigt es, wie H. sich gerade auf Grund seiner strengen Rationalitätsstandards genötigt sieht, Religion und Theologie ihre bleibende Bedeutung zuzuerkennen. Zum anderen sind zwar die von D. gezogenen rationalitäts- und kirchentheoretischen Schlussfolgerungen weder neu noch umwälzend. Sie sind aber insofern wichtig genug, als sie im Anschluss an die prominente Theorie H.' gewonnen worden sind.