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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

917–919

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Karin

Titel/Untertitel:

Christus - König und Priester. Das Amt Christi bei Luther im Verhältnis zur Vor- und Nachgeschichte.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. XX, 415 S. gr.8 = Beiträge zur historischen Theologie, 1096. Lw. DM 198,-. ISBN 3-16-146970-4.

Rezensent:

Peter F. Barton

Am Anfang wie am Ende der hier zu rezensierenden Arbeit steht die aktuelle Frage, welchen Stellenwert das Verständnis vom Amt Christi im innerprotestantischen (Barth) wie im ökumenischen (Vaticanum II) Dialog einnimmt und einnehmen konnte. Dabei ist der Rekurs auf Luthers Lehre unverzichtbar.

Einen neuen, kaum beachteten Aspekt in Luthers Theologie, zumal in seiner Christologie wie in seiner Amtslehre zu finden, ist schwer. Einen theologiegeschichtlich relevanten Aspekt vom 2. bis ins 20. Jh. gekonnt "durchzuziehen", ist schwierig. Beiden Aspekten gleichermaßen gerecht zu werden, ist meisterhaft - und eine meisterhafte Arbeit hat Karin Bornkamm hier vorgelegt.

Wer beruflich Examina auf universitärer wie landeskirchlicher Ebene anhört, weiß, wie häufig im systematischen oder kirchenhistorischen Kontext nach dem munus triplex gefragt wird. Es wird kaum betont, daß es sich hierbei um eine Aussage handelt, die nicht auf Luther zurückgeht. Sicher gibt es auch in der Frühreformation erste Ansätze für diese Anschauung. Aber erst seit und durch Calvin (305 ff.) wurde die Lehre vom dreifachen Amt Christi so populär, dass sie in der altprotestantischen Orthoxie nicht nur auf reformierter Seite, sondern auch - seit der modifizierten Übernahme durch Johann Gerhard (327 ff.)- im Luthertum dominierte und als fast selbstverständlich angesehen wurde. Bei Luther gibt es zwar Ansätze für eine Würdigung des prophetischen Lehramtes Christi, das aber in sein hohepriesterlich-königliches Amt eingebunden ist (264 ff. 275ff.). Kurz: Für Luther spielt das nachmals klassische trichotomische Schema vom Amt Christi - hohepriesterliches Amt, königliches Amt und prophetisches Amt - keine entscheidende Rolle, er vertritt - durchaus in altkirchlicher Tradition stehend- die Lehre vom munus duplex - das ist die überzeugend dargelegte Hauptthese der Vfn. Dem Kundigen ist die Herkunft der Ämterlehre nicht nur aus der frühchristlichen theologischen Tradition, sondern zumal aus dem Bereiche klar, den B. als "politische Theologie" wertet (5 ff. bzw. 28 ff.). Dabei wird auf die berühmte Aussage Gelasius I. in seinem Schreiben an Kaiser Anastasios mit der folgenschweren Differenzierung wie Zuordnung von bischöflicher auctoritas und der potestas des Herrschers Bezug genommen und auf die ganze Nachgeschichte der bewahrten Einheit wie der drohenden Auflösung der Einheit sacerdotium-regnum zumal im Kontext des Investiturstreites herausgestrichen. Die Überordnung der Sacerdotium-Vorstellung über die Regnum-Konzeption wird bis Innozenz IV. und Thomas v. Aquin verfolgt.

Martin Luther, dem verständlicherweise das Hauptinteresse des Buches gilt, wird zunächst nach seinen frühen Vorlesungen (der christozentrisch interpretierten Psalmenvorlesung 1513-1515 und der Hebräerbriefvorlesung 1517/18), sowie nach seinen zwischen den Ablassthesen und "De libertate" erschienenen Schriften als Verfechter der munus-duplex-Lehre gewürdigt. Aber diese karge Aussage - so sehr die Autorin auch immer am "roten Faden" festhält - wird der überreichen Fülle ihrer Detailerkenntnisse kaum gerecht. Es gelingt ihr, in einer Reihe von Unterkapiteln einen Gutteil der Gesamttheologie Luthers im Kontext mit seiner Lehre vom Amt Christi deutlich zu machen (Christus als Träger der Sünde und Vorbild wahren Priestertums 74 ff., Papstkritik 81 ff., Ausformung des Unio-Gedankens 99ff. usw.) Vielleicht den schönsten Teil des ganzen Bandes bildet die umfangreiche (135-212) Analyse von Luthers "Freiheitsschrift". Wer in etwa B.s Analysen folgt, kann auch Studenten, die sich heute mit dem ihnen so "fremden" Luther schwer tun, in einem Seminar Luthers Anliegen nahebringen. Auf die Weiterentwicklung in Luthers späteren Schriften und die Hauptaspekte seiner exegetischen Arbeit wird besonderes Augenmerk gelenkt: Wie wertvoll dabei kleine Exkurse sein können, zeigen zumal die schönen Ausführungen über den oberösterreichischen Märtyrer Leonhard Kaiser-Khäser "als Kaiser und wahrer Papst" (261 ff.).

Mit besonderer Spannung wird man dann die Ausführungen über "Christus als Prophet und Doktor, sein Lehramt als Vollzug seines Doppelamtes" (264 ff.) und Luthers sehr kritische Haltung gegenüber einem prophetischen Amt auch der Christen zur Kenntnis nehmen (290 ff.). Ehe die Autorin auf die aktuelle Debatte eingeht, würdigt sie - im Vergleich zum 20. Jh. vielleicht gleichzeitig zu umfangreich und zu selektiv - die "neuzeitliche" theologische Lehre vom Amt Christi, fast ausschließlich die von Ernesti, Schleiermacher (dessen Defizite 360ff. zu Recht betont werden) und Ritschl. Ob man dabei nicht auch einen nicht-deutschsprachigen Theologen hätte heranziehen sollen? Generell machen B.s Ausführungen eindrucksvoll klar, dass das Fehlen einer Auseinandersetzung mit Luthers originärer Zwei-Ämter-Lehre keineswegs zum Vorteil der späteren wie aktuellen Diskussion gereichte und mehr als nur einen marginalen Verlust bildet. Das schöne Werk der Autorin endet mit der Würdigung von Ebelings "Barth-kritischer" christologischer Konzeption und seiner Aussage, daß wir von Luther "noch viel lernen können und lernen müssen" (389). Dass sich ein solches Lernen lohnt, hat die Autorin mit der vorliegenden Arbeit exemplarisch bewiesen.