Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1241 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Christian

Titel/Untertitel:

Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung. Studien zu den anthropologischen Implikationen der Eschatologie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 367 S. gr.8 = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 83. Kart. DM 118,-. ISBN 3-525-56290-X.

Rezensent:

Friedrich Beißer

Was seine Thesen und Einsichten betrifft, so halte ich dieses Buch für sehr bedenkenswert und gut. Sein Thema ist das Verständnis von "Seele", und zwar insbesondere im Blick darauf, was an ihr im Tode geschieht. Damit werden Grundfragen der Eschatologie, aber auch der Schöpfungslehre und der Christologie berührt. In der evangelischen Theologie ist dieses Thema seit langem, seit der Auseinandersetzung zwischen C. Stange und P. Althaus, geradezu vernachlässigt worden.

Die Hauptthese des Vf. s ist (zunächst negativ) die Überzeugung, die Wirklichkeit der Seele könne nicht sachgemäß erfaßt werden als eine in ihr selbst bestehende Gegebenheit, und (positiv) müsse sie vielmehr als von außen her, als von Gott gesetzte Realität verstanden werden. Das Handeln Gottes an der Seele ist dabei ein heilsgeschichtlich gegliedertes. "Der Mensch ist kraft seiner Geschöpflichkeit als solcher, nicht wegen bestimmter konstitutioneller Elemente und Fähigkeiten wie etwa Vernunft und Immaterialität, ein auf Gott bezogenes und zum Leben bestimmtes Wesen. In dieser seiner Wesensstruktur ist er unzerstörbar, weil das göttliche Gegenüber der Relation unsterblich ist." Der wirkliche Mensch hat allerdings Gottes Anspruch negativ beantwortet und unterliegt daher dem Tode als dem richtenden Urteil Gottes über den Sünder. So wird die Bestimmung zum Leben nun "nur noch" zum "tötenden, richtenden, zur Rechenschaft ziehenden Gesetz". Erst durch die Auferstehung Christi begründet Gott von außen her das Leben des Menschen neu. Daraufhin wird "durch das Geisteswirken ... die Spannung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt und zugleich überbrückt". Und endlich "kann der ... Christ ... eine zweifach begründete postmortale Existenz erwarten", einerseits, weil Gottes Schöpferhandeln relational den Menschen unzerstörbar als Person konstituiert, andererseits, weil ihm durch Christus eine positive Gottesbeziehung eröffnet ist (311 f.).

Die Rede vom Ganztod hat darin ihren Sinn, daß der Mensch als ganzer in den Tod geht, weil er als ganzer Gegenstand von Gottes richtendem und rettendem Handeln ist. Der Tod ist aber deswegen nicht "der Übertritt in ein Nichtsein, in das Nichts". Weil die Seele festgehalten ist durch Gottes schöpferische Beziehung zu ihr, besteht hier Diskontinuität und Kontinuität. "Die Auferstehung muß an den Toten erfolgen", doch gibt es die Unsterblichkeit nur durch Auferstehung (312).

Dargelegt ist all das an einer riesigen Fülle von Material. Als Grundlegung stellt der Vf. Biblisches bzw. Reformatorisches an die Spitze. Die exegetischen Ausführungen sollen zeigen, daß nicht vom Leib oder von der Seele als von Teilen des Menschen zu sprechen sei, vielmehr sei der Mensch als ganzer sowohl Leib wie Seele (31). Vor allem bestehe die Unsterblichkeit nicht in einer Gegebenheit, wie etwa der Geistigkeit der Seele, sondern durch die von Gott hergestellte Beziehung zum Menschen (28). Die Reformatoren, insbesondere Luther, haben dieses Verständnis präzisiert.

Von hier aus tritt der Vf. ein in eine Reihe von Auseinandersetzungen. Auch wenn er hierbei jeweils einzelne Vertreter heranholt und erörtert, so geht es ihm dabei doch vor allem um das Typische der Positionen. Zuerst behandelt er solche Auffassungen, nach denen die Unsterblichkeit beruhe auf einer dem Menschen in der Schöpfung verliehenen Konstitution. Diese Sicht sei kennzeichnend vor allem für den römischen Katholizismus. (Der Vf. geht ein u. a. auf Platon und Aristoteles, auf Augustin und Origenes, auf Thomas v. A., auf Pomponazzi und auf Neuere: Rahner, Greshake und Ratzinger. Entgegengestellt wird dem allen die in der Tat wenig beachtete und sehr bemerkenswerte Sicht Tertullians.)

In einem zweiten Block werden die philosophischen Positionen im Umkreis der Aufklärung präsentiert. In ihnen geschieht eine Radikalisierung des zuerst verhandelten Ansatzes durch den Rückzug auf das Diesseits. Erörtert werden hier die Positionen von Descartes, Spinoza, Leibniz, Lessing und Kant. - In einem dritten Teil behandelt der Vf. die neuere evangelische Theologie. Der leitende Gesichtspunkt ist dabei die Alternative: Auferstehung als Gegensatz von Unsterblichkeit oder Unsterblichkeit durch Auferstehung. Nach Hinweisen zu Schleiermacher wird K. Barth geboten, dem dann kritisch R. Seeberg gegenübergestellt wird. Es folgen Jüngel, R. Leuenberger, Moltmann und A. v. Harnack. Schließlich werden verschiedene lutherische Theologen dargestellt, nämlich Elert, Künneth, Thielicke, Althaus und Grass, dem wiederum Kliefoth als Korrektiv entgegengesetzt ist. - Später folgt auch noch ein Teil über neuere Psychologen (Freud und C. G. Jung) bzw. über den Anthroposophen Steiner. - In einem weiteren Abschnitt weist der Vf. hin auf (vielfach problematische) Auswirkungen der neueren theologischen Konzeptionen auf die praktisch-theologischen Aufgaben, insbesondere der Bestattung oder der Begleitung Sterbender.

Jeder dieser Abschnitte bildet eigentlich eine kleine Monographie. Dies alles wirklich zu erarbeiten, ist freilich kaum zu leisten. So sind nach meinem Urteil diese Darlegungen unterschiedlich gut gelungen. Dazu kommt, daß der Vf., aus seinen systematischen Interessen heraus, sehr schnell vom Referat übergeht zur kritischen Erörterung und zur Darlegung der eigenen Gegenposition. Daß dies überhaupt geschieht, ist m. E. sinnvoll, aber dennoch sollten Darstellung und Beurteilung deutlicher auseinandergehalten werden.

Der biblische Teil enthält m. E. durchaus vertretbare Grundeinsichten. Leider kommen aber die Texte in ihrer historischen Differenziertheit zu wenig zur Geltung - ganz gut zu Luther. Platon wird wohl mißverstanden, wenn ihm die Lehre von einer "konstitutiven Partizipation (der Seele) an der Transzendenz" zugeschrieben wird. Die Unsterblichkeit der Seele ist bei ihm erforderlich, weil das sittlich Gute im Diesseits keine eindeutige Erfüllung findet. Sehr gut und erhellend sind die Ausführungen zu Pomponazzi bzw. zu Tertullian, ebenso die zur neueren Philosophie, insbesondere zu Lessing und Kant. Wenn die weitere Philosophiegeschichte nur mehr gelegentlich erwähnt wird, so mag dies damit zusammenhängen, daß der Vf. ja insbesondere auf Typen von Konzeptionen ausgeht, es bleibt aber ein Mangel.

Auch die Theologie des 19. Jh.s kommt zu kurz. Schleiermacher ist m. E. zu einseitig dargestellt. Recht plakativ aber auch K. Barth, dessen Frühphase besonderen Raum einnimmt und dem dann vorgeworfen wird, er löse den ersten Glaubensartikel in den zweiten auf (251). Es finden sich aber auch viele treffende Feststellungen und manche berechtigte Kritik. Jüngels Position ist vor allem von Barth aus zu verstehen.

Gelungen sind die Passagen zu den lutherischen Theologen (mit berechtigter Kritik an Elert, mit vertretbaren Einwänden gegen Althaus und zurecht kritisch auch gegenüber Grass). P. Brunner, der am Schluß erwähnt wird, hätte hier ausführlicher zu Wort kommen sollen, denn er ist derjenige Theologe, der bereits vieles vorausgedacht hat, was der Vf. anstrebt.

Das Buch ist ein Appell, die Realität der Seele ernstzunehmen, aber dies in der Weise, daß die Seele als von außen, von Gott her, in seinem heilsgeschichtlichen Handeln, gestiftete, festgehaltene und immer wieder neu konstituierte Größe wahrgenommen wird. Es erhebt Einspruch gegen jeden bloßen Immanentismus. Wenn uns heute so etwas wie Seele geradezu zerronnen scheint, so sollten wir uns nicht darauf abdrängen lassen, sie ganz preiszugeben. Wir haben umgekehrt um des Menschen willen festzuhalten, daß die Seele real ist. Aber dies kann nur gelingen, wenn wir die Transzendenz, Gottes Transzendenz, anerkennen.