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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

908–910

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte. Hrsg. von W. Brandmüller.
I: Von den Anfängen bis zur Schwelle der Neuzeit. 1: Kirche, Staat und Gesellschaft. 2: Das kirchliche Leben.
II: Von der Glaubensspaltung bis zur Säkularisation.
III: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

Verlag:

I: LX, 1367 S. 1998. ISBN 3-88096-671-0.
II: LXIV, 1191 S. 1992. ISBN 3-88096-672-9.
III: LXIV, 1037 S. 1991. St. Ottilien: EOS Verlag. gr.8. Geb. je DM 198,-. ISBN 3-88096-673-7.

Rezensent:

Friedrich Wilhelm Kantzenbach

Bei der Anzeige dieses umfänglichen Werkes können nur Grundlagen und Grundlegendes herausgestellt werden, während auf die Diskussion von Details naturgemäß verzichtet werden muss. Der Herausgeber konnte ein stattliches Team um sich versammeln, das als Leitfaden die Entwicklung römisch-katholischen Christen- bzw. Kirchentums streng im Auge behielt.

Darin folgt dieses bescheiden "Handbuch" genannte Werk - in einer gewissen Analogie zu Max Spindlers Handbuch der bayerischen Geschichte stehend - dem Wurf von R. Bauerreiss, dessen 7. Band 1970 erschien. Matthias Simon "Evangelische Kirchengeschichte Bayerns" (vor allem deren 1. Band, 1942, Verlag Paul Müller München) wird als Pionierleistung auf dem Gebiet der bayerischen kirchlichen Landesgeschichte programmatisch nicht erwähnt, was deshalb bedauerlich ist, weil M. Simon auf seine Weise die Kirchengeschichte des Mittelalters in die Gesamtkirchengeschichte Bayerns zu integrieren suchte.

Der Herausgeber W. Brandmüller reflektiert (III, 15) die Frage, warum nicht ebenso die Geschichte der aus der Reformation des 16. Jh.s hervorgegangenen "kirchlichen Gemeinschaften" (Anführungszeichen vom Rez.) berücksichtigt wurde. Für diesen Beitrag ist ein evangelischer Fachkollege für einen prospektiven IV. Band des Handbuchs gesucht worden. Es steht aber zu erwarten, dass mittlerweile ein Gesamtwerk von evangelischer Seite aus vorgelegt wird, so dass dieser Verlust eher zu verkraften sein dürfte. Es versteht sich von selbst, dass ein so voluminös veranlagtes Handbuch in insgesamt vier Bänden an Literatur- und Quellenverarbeitung so Imponierendes bietet, dass dadurch auf jeden Fall neue Gesichtspunkte für die gesamtbayerische Landesforschung, Kirchengeschichtsschreibung sowie besonders für die Mittelalterforschung aufgeworfen sind, sollte die Umfangsbeschränkung der angeforderten Textbeiträge auch zuweilen erheblich überschritten worden sein. Für ein "Handbuch" ist dies eine nicht unbedenkliche Tatsache.

Der I. Band behandelt die Zusammenhänge von Kirche, Staat und Gesellschaft, also die Anfänge des Christentums im römerzeitlichen Bayern, die Organisation der Kirche bis zur Entstehung von Bistümern im Jahr 843 sowie die kirchlichen Aktivitäten auf Reichsebene. Dabei wird zwischen der Entwicklung in den einzelnen Bistümern Bayerns unterschieden, aber auch die Salzburger Kirchenprovinz als Teil der Reichskirche berücksichtigt. Es versteht sich, dass das Klosterleben bei der Eigenart des kirchlichen Lebens in Bayern überhaupt einen breiten Raum in der Schilderung einnimmt, möglicherweise zu ausführlich, wenn man bedenkt, dass das geistige Leben mit Theologie und "Häresien" auf wenig mehr als 100 Seiten Platz finden muss. Die Frage stellt sich also, ob nicht der Stoff über das monastische Leben zuweilen stärker der Spezialliteratur hätte überlassen werden sollen, damit beispielsweise (weniger für die breit behandelte Theologiegeschichte, in der der 47,c [663ff.] über Otto von Freising hervorgehoben werden muss) für 52 (Waldenser und Hussiten, auf die jetzt ganze viereinhalb Seiten entfallen) Raum gewonnen worden wäre. - Ebenfalls gilt das für die viel zu kurz behandelte "Mystik" (jetzt K. Ruh!), während sich lateinische Literatur des Mittelalters sowie Bibliotheksgeschichte m. E. in der Berücksichtigung hätten straffen lassen. - Es folgen nachvollziehbare Paragraphen über Bildung, Erziehung, Liturgie, Volksfrömmigkeit und Caritas sowie über Kirchenbau und Kirchenausstattung, über die instruktiv oder wenigstens pauschal orientierend berichtet wird.

Der II. Band behandelt, ohne dass der vorgesehenen Bearbeitung der Reformation durch einen evangelischen Historiker vorgegriffen werden sollte, im kurzen Überblick von nur ca. 60 Seiten Reformation und Gegenreformation in "Altbayern" - sicherlich eine Thematik, die vielfache Ergänzungen verdiente, besonders für die Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Reichstag in Augsburg (1530 bzw. 1555). Was danach noch zur reformatorischen Entwicklung gesagt wird, ruft ebenso sehr den Wunsch nach einer eingehenderen Nachberücksichtigung hervor.

Der II. Band steht sodann unter dem Aspekt des innerkirchlichen Lebens in Humanismus, Barock und Aufklärung, ferner der prägenden Wirkung durch Orden, Klöster, Volksfrömmigkeit und religiöse Literatur. So eindrucksvoll die Abschnitte jeweils behandelt werden (durch hervorragende Spezialkenner wie A. Zumkeller für die Augustiner oder H. Pörnbacher für die religiöse Literatur), so fragt sich der leicht ermüdete Leser doch, ob der Text nicht hätte gestrafft werden können, auch unter Aufopferung zahlreicher Anmerkungen, die ihren Platz in erreichbaren Monografien haben.

Im III. Band des Gesamtwerkes stellt sich vermehrt die Frage nach dem methodischen Verhältnis der Eigenart einer kirchlichen Landesgeschichte und was diese von der profanen Landesgeschichte profitieren könnte.

Den theologischen Ansatzpunkt für kirchliche Landesgeschichte findet der Hg. Brandmüller in Lumen Gentium (Art. 9 des 2. Vatikanischen Konzils). Unbillig wäre es zwar zu verlangen - das methodische Vorgehen von Matthias Simon hätte seinerseits die Reaktion auslösen müssen -, dass für die frühe Neuzeit und anschließende Entwicklungen eine Integration des Stoffes der gesamtbayerischen Kirchengeschichte hätte versucht werden müssen. Den Voraussetzungen und der Vorgeschichte der Säkularisation und ihren Folgen sind aber organisatorische und gesetzgeberische Aspekte mindestens bis zur Situation der Kirche unter Ludwig I. derart zugeordnet, dass der institutionenscheue Leser die etwas blutvolleren Passagen zu Romantik und Vormärz in ihren Beziehungen und Folgen für die Gesellschaft und Kirche aufatmend zur Kenntnis nimmt. Literatur fließt bei dem gut durchackerten 19. Jh. so reichlich, dass Fehlanzeigen hingenommen werden müssen. Die Vorgänge um den Kulturkampf werden heute kaum noch das Interesse finden, das von dem Handbuch, dazu von Nichtkatholiken, erwartet wird.

Hier zeigt es sich auch wieder deutlich, dass der quantitative und auch der wertende Akzent bei der Beurteilung dieser einschneidenden Entwicklungen, wie auch sonst, nicht selten abweichend ausfiel. Gerade weil die Darstellung möglichst Vollständigkeitscharakter anstrebt, müssen entscheidende Entwicklungen (z. B. von Sailer bis zu Möhler) im Profil auffällig zurücktreten. Immerhin ist der Beitrag von L. Scheffzyck positiv herauszuheben.

In den Literaturangaben finden sich Lücken, wurden nicht wenige Titel besonders favorisiert oder verdrängt. Das liegt auch an der vom Hg. offen ausgesprochenen Problematik. Das Werk behandelt die Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit relativ knapp, ohne auf die "Solidarität" der Christen einzugehen (z. B.Wilhelm von Pechmann). Gerade der Vf. des betr. Abschnittes, Hürten, hat sich neuerdings auch dazu, zunächst mündlich, geäußert. Bei der Würdigung des Geisteslebens kommt es über der Aufzählung von Namen und Vorgängen kaum zu einer tieferen Würdigung. Die Schwerpunktsetzung fehlt völlig für das 2. Vatikanische Konzil, dem zwei knappe, nicht viel aussagende Seiten ( 36) gewidmet werden (vgl. auch 672 mit der im Übrigen noch durch einen Druckfehler leicht entstellten Passage aus J. Ratzinger), während Schwerpunkte für die Theologie im 19./20. Jh. schon eher erkennbar werden (einseitig für J. M. Sailer; befriedigender für Baader oder Döllinger).

Dass bei dem Aufzählungscharakter von Überblicksdarstellungen Konzentration geboten erscheint, ist dem Rez. an diesem Standardwerk eher traditioneller Gesamtausrichtung deutlich geworden. Einzelheiten dürfen jedoch nicht strapaziert werden. Eine Methodendiskussion ist hier nicht am Platz. Zwischen Max Weber und der unmittelbaren Gegenwart hat sich freilich Unübersehbares ereignet!