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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

906–908

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Handbuch Deutsche Landeskirchengeschichte. Im Auftrag des Arbeitskreises Deutsche Landeskirchengeschichte hrsg. von Dietrich Blaufuß.

Verlag:

Neustadt an der Aisch: Degner 1999. XXIV, 262 S. 8. Pp. DM 48,-. ISBN 3-7686-3066-8.

Rezensent:

Karlheinz Blaschke

Während die Arbeit an der deutschen Landesgeschichte durchweg schon im 19. Jh. ihr organisatorisches Gefüge in Gestalt von landesbezogenen Geschichts- und Altertumsvereinen und Historischen Kommissionen erhielt, kam es auf kirchlicher Seite vor der Jahrhundertwende nur zögerlich zu entsprechenden Vereinsgründungen. Sie gingen nicht von den Kirchenleitungen aus, sondern entstanden von unten her aus der Pfarrerschaft. In größerem Maße geschah das erst nach dem 1. Weltkrieg, so dass schließlich in Deutschland ein flächendeckendes Netz von landeskirchengeschichtlichen Vereinigungen entstand, das sich an die Organisationsformen der evangelischen Landeskirchen anpasste. Das "Handbuch" gibt erstmals einen umfassenden Überblick über die Vereine nach einem vorgefertigten Berichtsschema, das über alle anstehenden Fragen Auskunft gibt, allerdings nur von einigen Berichterstattern in seiner Vollständigkeit beantwortet worden ist. Interessenlage und Kenntnisstand der einzelnen Bearbeiter haben eine bedauerliche Ungleichgewichtigkeit der Information verursacht, so dass der Umfang der rund 20 Länderartikel zwischen 4 und 24 Seiten schwankt. Die Angaben erstrecken sich auf Gründung und Entwicklung, Ziele, Aufgaben, Publikationen und Organisation der Vereine und teilen Biogramme maßgeblicher Persönlichkeiten mit.

Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde auf einem Symposion einschlägiger Vereine 1992 in Schweinfurt die Veröffentlichung eines "Handbuch[s] Deutsche Landeskirchengeschichte" ins Auge gefasst; ein im gleichen Jahr entstandener Arbeitskreis Deutsche Landeskirchengeschichte und die Vertreterversammlung deutscher kirchengeschichtlicher Vereine 1995 und 1997 trieben das Unternehmen voran. Es darf für sich in Anspruch nehmen, auf dem Gebiet der Landesgeschichte "das nur scheinbar so klare Verhältnis von Kirchengeschichte und Profangeschichte" angesprochen zu haben. Dass es dabei auch um "tiefe Fragen des Selbstverständnisses und der Identität" der Landeskirchengeschichte geht, wird in der Einleitung angedeutet, ohne dass bei der Zwecksetzung des "Handbuchs" auf solche theoretische und konzeptionelle Fragen eingegangen werden konnte. Immerhin ist der Anstoß wichtig, der eine Beschäftigung mit der Einordnung der Landeskirchengeschichte in das System der historischen Wissenschaften anmahnt, zum einen in Richtung auf die Landesgeschichte, zum anderen auf die allgemeine Kirchengeschichte, die sich offenbar noch scheut, die stark auf die Gemeinde-, Orts- und Heimatebene bezogene Arbeit der Vereine als ernstzunehmende Beiträge mit wissenschaftlichem Gehalt anzuerkennen. Hier erlebt die Landeskirchengeschichte eine Phase ihrer Entwicklung, die von der profanen Landesgeschichte bereits seit dem Beginn des 20. Jh.s durchgestanden wurde und schließlich zur Gründung vieler landesgeschichtlicher Lehrstühle an den deutschen Universitäten geführt hat. So kann das "Handbuch" auch als eine Standortbestimmung auf dem Wege zu einer weiteren Qualitätssteigerung der landeskirchengeschichtlichen Arbeit dienen, die ihrer Zielsetzung entsprechend auf der einen Seite den Bezug zur Gemeindeebene nicht verlieren darf, andererseits aber zur vollen Anerkennung als universitäre Wissenschaftsdisziplin eine stärkere theoretische Durchdringung braucht. Die mit Recht beklagte Reserve der Historischen Theologie gegenüber der Landeskirchengeschichte kann nur durch überzeugende Leistungen überwunden werden. Dass Landeskirchengeschichte auch eine völlig einsichtige Beziehung zur Praktischen Theologie hat, indem sie "bei Pfarrern eine Kenntnis der Herkunftsbedingungen einer Kirche und Gemeinde anmahnt", kann nur unterstrichen werden, wobei auch an die Bedeutung der Kirchenarchive zu erinnern ist. Landeskirchengeschichte wird auch in Zukunft die Anbindung an eine Landeskirche nicht entbehren können und somit schon per definitionem eben "Landeskirchen-Geschichte" sein und bleiben.

Der im "Handbuch" daneben auftretende Begriff der Territorialkirchengeschichte ist dagegen blass und unangemessen, weil er eine doppelte Verengung in geographischer und inhaltlicher Hinsicht ausdrückt: zum einen auf eine nach Fläche und Grenze festgelegte administrative Einheit, die vom Wort her keine Beziehung zum Sprengel einer Landeskirche erkennen lässt, zum anderen auf die wesentlichen Merkmale eines Territoriums, die sich in politischen Tatsachen erschöpfen. Das "Land" ist dagegen eine geographisch nicht festgelegte Lebens- und Handlungseinheit im Sinne von "Land und Leuten", wo sich gesellschaftliche Prozesse ereignen, landschaftliche und landsmannschaftliche Grundlegungen geschichtlich wirksam werden und das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft als ein Grundton moderner Kirchengeschichte unüberhörbar in Erscheinung tritt. Der Begriff der Territorialkirchengeschichte trägt etwas vom positivistischen Geschichtsverständnis des 19.Jh.s an sich, die Landeskirchengeschichte ist analog zur Landesgeschichte moderner Prägung offen für jede sozial- und kulturgeschichtliche Weite.

Das "Handbuch" ist ein nützliches Nachschlagewerk; ein aufmerksames Studium seines Inhalts regt aber auch zu wesentlichen Fragen der Kirchengeschichte an.