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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

893 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Burchard, Christoph

Titel/Untertitel:

Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments. Hrsg. von D. Sänger.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. VIII, 442. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 107. Lw. DM 178,-. ISBN 3-16-146997-6.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Der vorliegende Sammelband enthält 21 Aufsätze des emeritierten Heidelberger Neutestamentlers, die zwischen 1963 und 1997 erschienen sind. An einer einzigen Stelle findet sich ein kurzer Nachtrag zur Erstveröffentlichung. Ansonsten beschränkt sich die Neuausgabe auf typographische Veränderungen, Druckfehlerkorrekturen und Vereinheitlichung der Schreib- und Zitierweise. Ein Band mit gesammelten Aufsätzen Burchards zu Joseph und Asenat erschien schon 1996 (vgl. dazu ThLZ 123, 1998, 48 f.). Aufsätze zum Jakobusbrief wurden (bis auf zwei Ausnahmen) aus der neuen Sammlung ausgeklammert. Der Rez. hofft, dass sie wenigstens nach dem im Vorwort des Herausgebers angekündigten Jakobus-Kommentar (HNT) noch gesammelt folgen werden. Die Zuordnung der Aufsätze zu fünf Rubriken kann kaum überdecken, dass es sich um eine thematisch wenig kohärente Auswahl von Arbeiten B.s handelt, die weder dem Band zu JosAs, noch seiner Arbeit am Jak zuzuordnen waren. Dieser "Rest" freilich hat Gewicht!

Unter der Rubrik "Synoptiker" - "Apostelgeschichte" finden sich solch disparate Arbeiten wie die exegetisch und theologisch weitreichenden Analysen zum Doppelgebot der Liebe (1. Das doppelte Liebesgebot in der frühen christlichen Überlieferung, 3-26) und zur Bergpredigt (2. Versuch, das Thema der Bergpredigt zu finden, 27-50), eine knappe Skizze der Verkündigung Jesu (3. Jesus für die Welt. Über das Verhältnis von Reich Gottes und Mission, 51-64 [leider fehlt der umfassendere Beitrag Jesus von Nazareth, in: Die Anfänge des Christentums. Alte Welt und neue Hoffnung, Stuttgart u. a. 1987, 12-58]), einige Einzelstudien zur synoptischen Überlieferung (4. Zu Matthäus 8,5-13, 65-76; 5. Senfkorn, Sauerteig, Schatz und Perle in Matthäus 13, 77-107; 6. Markus 15,34, 108-118; 7. Zu Lukas 16,16, 119-125) und schließlich ein Forschungsbericht (8. Paulus in der Apostelgeschichte, 126-147).

Enger zusammenhängend sind die Beiträge zur Rubrik "Paulus", die sich meist mit dem paulinischen Gesetzesverständnis beschäftigen, wenn auch von durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln aus und mit verschiedenen Methoden (9. Die Summe der Gebote [Röm 13,7-10], das ganze Gesetz [Gal 5,13-15] und das Christusgesetz [Gal 6,2; Röm 15,1-6; 1Kor 9,21], 151-183; 10. Noch ein Versuch zu Galater 3,19 und 20, 184-202; 13. Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus - seit wann?, 230-240; 14. Glaubensgerechtigkeit als Weisung der Tora bei Paulus, 241-262). Zentrale Bestimmungen paulinischer Anthropologie und Soteriologie erarbeitet der Aufsatz zu 1Kor 15 (11. 1Kor 15,39-41, 203-228). Zwischendrin findet sich eine Miszelle zur Zitierweise der Schrift (12. Rö 9,25 âÓ Ùá^ 'øÛË, 229).

Die Rubrik "Frühes Christentum und seine Umwelt" bietet lediglich zwei Beiträge, einen mit präzisen Analysen zu zentralen neutestamentlichen Begriffen (15. Formen der Vermittlung christlichen Glaubens im Neuen Testament. Beobachtungen an Hand von ÎÚÁÌ, ÌÚÙÚ und verwandten Wörtern, 265-292) und einen zweiten, eher im Vortragsstil gehaltenen, zur urchristlichen Missionsgeschichte im paulinischen Bereich (16. Erfahrungen multikulturellen Zusammenlebens im Neuen Testament, 293-311). Ganz bunt wird es schließlich unter "Sprachliches und Textgeschichtliches" (17. Fußnoten zum neutestamentlichen Griechisch, 315-329; 18. Fußnoten zum neutestamentlichen Griechisch II, 330-344; 19. A Further Glimpse at the Armenian Version of the Epistle of James, 345-357; 20. Zur altarmenischen Übersetzung des Jakobusbriefes, 358-386) sowie "Extra ordinem" (21. Beobachtungen zum Loccumer Predigtstil. Hospizpredigten von 1900 bis 1950, 389-413).

Während die beiden großen Aufsätze zum Liebesgebot und zur Bergpredigt (Nr. 1 und 2) inzwischen zu Standarduntersuchungen geworden sind, werden die Arbeiten zum paulinischen Gesetzes- und Rechtfertigungsverständnis (Nr. 9, 10, 13, 14) auf Grund ihrer Bündelung in diesem Sammelband hoffentlich bald die ihnen zukommende Beachtung erlangen. B.s Exegesen und Interpretationen sind wohltuend frei von Fixierungen auf festgefahrene Debatten und dogmatische Fronten und gerade darin theologisch hilfreich. Präzise wird der Platz der paulinischen Aussagen zu Gesetz und Geboten im Rahmen frühjüdischen Toraverständnisses und im Gegenüber zu ihm ebenso wie im urchristlichen Überlieferungszusammenhang und im Gesamtzusammen- hang paulinischer Theologie bestimmt. Philologische Akribie und die Suche nach eigenen, bisweilen ungewöhnlichen, aber oft weiterführenden Problemlösungen stehen deutlich im Vordergrund gegenüber erschöpfender Diskussion der Sekundärliteratur. Der Stil ist, wie immer bei B., knapp und gewitzt, gelegentlich bis hin zur Unverständlichkeit. Am Ende stehen der Nachweis der Erstveröffentlichungen sowie ausführliche Register zu Stellen, Autoren und Sachen. Sehr wenige Druckfehler!

Zwiespältige Gefühle bleiben allerdings hinsichtlich der Auswahl. Wer Standardzeitschriften wie ZNW (Nr. 4, 6, 11, 12, 17, 18), EvTh (Nr. 15) oder ThLZ (Nr. 8) zur Verfügung hat, kann auf die unveränderten Wiederabdrucke verzichten. Wer aber nicht zu diesem Kreis gehört, wird sich den in Ausstattung wie Preis gewohnt eindrucksvollen Sammelband wohl kaum kaufen, um etwa die Fußnoten zum neutestamentlichen Griechisch (Nr. 17 und 18) oder die "Ansichtskarte" zu Röm 9,25 (Nr. 12) nachzulesen. Wer die Festschrift von 1963 zum 800-jährigen Loccumer Klosterjubiläum nicht sein eigen nennt, dürfte kaum die - freilich sehr schöne- Analyse von Seminaristenpredigten (Nr. 21) in einem WUNT-Band suchen. Und die Armenisch- oder Jakobus-Spezialisten werden auch nicht gerade begeistert sein, für den Zugriff auf die beiden nun wirklich entlegen publizierten (übrigens zu erheblichen Teilen sich überschneidenden) Aufsätze B.s (Nr. 19 und 20) gleich den Preis für einen ganzen Aufsatzband hinlegen zu sollen. Bleiben also als Käufer wieder einmal nur die Fachbibliotheken. Aber die haben neben ZNW, ThLZ, EvTh auch die wichtigsten Festschriften (daraus Nr. 1, 2, 3, 13, 14). Über die verbleibenden Aufsätze (bes. Nr. 7, 9, 10) werden sich immerhin besonders diejenigen freuen, die keinen Zugang zu privaten Heidelberger Festschriften haben und sich deshalb über Literaturhinweise auf B.s Beiträge zu ihnen bisher eher geärgert hatten, unter ihnen nicht zuletzt der Rezensent!