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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

891–893

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bolyki, János

Titel/Untertitel:

Jesu Tischgemeinschaften.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. XI, 261 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 96. Kart. DM 98,-. ISBN 3-16-146809-0.

Rezensent:

Manuel Vogel

Mit diesem Buch legt der Vf., Neutestamentler an der Theologischen Fakultät der Reformierten Universität Károli Gáspár in Budapest, die überarbeitete deutschsprachige Fassung seines 1993 auf Ungarisch erschienenen Werkes Jézus astalközösségei (Jesu Tischgemeinschaften) vor. Hat die bisherige Forschung "ihre Aufmerksamkeit vor allem auf das Abendmahl (ge)richtet" und die Tischgemeinschaften des irdischen Jesus überwiegend aus dieser Perspektive in den Blick genommen (4), so will der Vf. die Tischgemeinschaften Jesu als eigenes Thema würdigen, das "für das Kennenlernen des historischen Jesus ... unverzichtbar ist" (1).

Er nähert sich seinem Gegenstand in einem methodischen Dreischritt, den er einleitend in aller Kürze (3) vorstellt: Die "synchrone Annäherungsweise" des ersten Teils (13-67) untersucht das einschlägige Material nach den Vorgaben der Textlinguistik. Die relevanten Texte werden auf die handelnden Personen und ihre Rollen hin befragt (13-20), sodann nach Motiven und Motivgruppen geordnet (20-63) und in einem dritten Unterabschnitt im Blick auf die "Kompositionsuntersuchung des Themas" - gemeint ist damit das Vorkommen des Themas "Tischgemeinschaft" in unterschiedlichen Gattungen - untersucht (62-67). Erst hier gewinnt der Leser einen Überblick über die Textbasis der Untersuchung (64-65). Diese umfasst nicht nur "biographische Erzählungen" sondern auch Gleichnisstoffe, in denen Mahlgemeinschaften eine Rolle spielen, sowie Mahlszenen im Zusammenhang der "Epiphanien des Auferstandenen". Ob und inwiefern auch diese Textgruppen Schlüsse auf die Mahlpraxis des irdischen Jesus zulassen, wäre nun eine so naheliegende wie spannende Frage, auf die der Vf. innerhalb des ersten Hauptteils jedoch nur eine sehr vage und allgemeine Antwort gibt: "Das Thema Tischgemeinschaft geht auf den gemeinsamen Traditionsstoff der verschiedenen Gattungen zurück, sein historischer Wert ist sehr hoch, es führt zu einer besseren Kenntnis des Lebens und Lebensweges Jesu" (65, Anm. 347). Am Ende des ersten Hauptteils vermisst man eine Formulierung des Ertrags und eine Überleitung zum zweiten Hauptteil (68-176), in welchem der Vf. die "diachrone, historische Annäherungsweise" (68) wählt. Hierbei werden Impulse der neueren Jesusforschung zwar vereinzelt aufgenommen, doch bewegt sich der Mittelteil weitestgehend auf den bekannten Pfaden älterer historisch-kritischer Evangelienexegese. Quellenkritik und Scheidung von Tradition und Redaktion sind das methodische Instrumentarium, um möglichst viele Stoffe dem geschichtlichen Umfeld der Mahlgemeinschaften des irdischen Jesus zuzuweisen.

Die Argumentation erschöpft sich jedoch häufig im Referat zustimmender Gelehrtenmeinungen, oder aber sie entbehrt an den entscheidenden Stellen der nötigen Klarheit und Präzision. So will der Vf. nicht entscheiden, ob das Q-Logion Mt 8,11 f.; Lk 13,2 f. von den aus den vier Himmelsrichtungen eintreffenden Gästen des Mahles im Gottesreich auf Jesus selbst zurückgeht oder nicht, verweist aber auf "eine Analogie im Leben Jesu: Der Gedanke von der Tischgemeinschaft der jüdischen Patriarchen und der heidnischen Pilger entspricht dem von der von Jesus als Messias praktizierten Tischgemeinschaft mit den sündigen, verlorenen Gliedern des Volkes" (70). Der Leser wird hier und an vielen anderen Stellen im Unklaren gelassen, auf welcher Ebene sich die Untersuchung gerade bewegt: Geht es um die Rückbindung der Aussage des Q-Logions an die Mahlpraxis des irdischen Jesus, der sich als Messias verstand, oder um analoge "Gedanken" im weiten Feld frühchristlicher Theologiegeschichte?

An anderer Stelle sieht der Vf. in der Speisung der Fünftausend (Mk 6,30-44), der Viertausend (Mk 8,1-10) und dem letzten Abendmahl Jesu (Mk 14,22-25) eine Sequenz von "drei Abschiedsbankette(n)": Jesus habe sich mit diesen Mahlzeiten von seinen "Anhängern aus Galiläa", von "seinen Verehrern aus der ethnisch gemischten Bevölkerung der Dekapolis" und schließlich von seinen Jüngern verabschiedet (93). Im Anschluss an diese Deutung meint der Vf., "daß sich auch von einem kritischen Standpunkt aus die Geschichtlichkeit der einmaligen und zweimaligen Speisung der Menge akzeptieren läßt" (ebd.). Später äußert er dagegen, dass die Zusammenschau dieser drei Texte "natürlich nicht auf Grund der historisch-kritischen Untersuchung der gemeinsamen Tradition, sondern nur auf Grund der redaktionskritischen Untersuchung des Markus" möglich ist (155). Abgesehen davon, dass Redaktionskritik selbst ein historisch-kritischer Methodenschritt ist, die in diesem Satz vorgenommene Unterscheidung also nicht einleuchtet, ist man abermals im Ungewissen, um welches Stadium der frühchristlichen Theologiegeschichte es nun gehen soll.

Der dritte Teil der Studie (177-227) fragt religionsgeschichtlich nach der "Funktion der Tischgemeinschaften in den Religionen und bei Jesus". Man kann darüber streiten, ob der Unterabschnitt "Tischgemeinschaft und kultische Mahlzeit im antiken Israel" (188-204, darunter sonderbarerweise auch der Abschnitt "Mysterienkulte und prägnostische Gemeinschaften", 201-204) im dritten Hauptteil gut aufgehoben ist, hat doch die neuere Jesusforschung die Einbindung Jesu in das Judentum seiner Zeit mit Recht wieder betont. Jedenfalls ist es zu pauschal, wenn nicht unzutreffend, dass das an seinen Tischgemeinschaften ablesbare Verhalten Jesu "in direktem Gegensatz zur ... Absonderung" stand, "die zur Zeit Jesu so typisch für die jüdische Gesellschaft war" (204). Ein observanter galiläischer Jude des 1. Jh.s, der, in Sepphoris lebend, abends das Theater dieser Stadt besuchte, bewies damit eine Aufgeschlossenheit für die nichtjüdische hellenistische Kultur, die dem Wanderprediger aus Nazareth zweifellos fehlte.

Das religionsgeschichtlich Einzigartige sieht der Vf. in dem offenen und gemeinschaftsfördernden Charakter, der Jesu Mahlpraxis eigen war. Hier schlägt gewiss auch das theologische Herz der Untersuchung, kommt es dem Vf. doch darauf an, nicht nur die "Funktion der Tischgemeinschaften Jesu" herauszuarbeiten, sondern auch "ihre heutigen Folgen" (228) für Kirche und Diakonie. Nichts geringeres ist dabei im Blick als "ein heilsam-hoffnungsvolles gesellschaftliches Programm einer auf das Wort hörenden Kirche" (232). So wird man der Studie wohl am ehesten gerecht, wenn man sie als engagierten Versuch liest, mit exegetischen Mitteln auf das praktisch-theologische Potential des Phänomens jesuanischer und frühchristlicher Mahlgemeinschaften aufmerksam zu machen.

Zwar haften auch der deutschen Fassung noch Spuren der im Vorwort namhaft gemachten "geschichtlich und kulturell bedingten Isolation der ungarischen Theologie" an, doch ist die deutsche Übersetzung zugleich ein Dokument der Überwindung dieser Isolation. Als solches hat das Buch einen Platz in der Reihe, in der es erschienen ist, verdient.