Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1239 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Marquard, Reiner

Titel/Untertitel:

Karl Barth und der Isenheimer Altar.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1997. 176 S. 8 = Arbeiten zur Theologie, 80. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7668-3322-7.

Rezensent:

Horst Schwebel

Nicht weniger als 51mal hat Karl Barth in seinen Schriften auf den Isenheimer Altar Bezug genommen. Die Kontexte dieser Bezugnahmen hat Reiner Marquard, Pfarrer und Dekan in Bensheim an der Bergstraße, in seiner Dissertation rekonstruiert und mit Barths bilderfeindlichen Voten konfrontiert.

Für einen Theologen, der sich in seinen dogmatischen Äußerungen dezidiert gegen das Christusbild ausgesprochen, es als "überflüssig" und "peinlich" angesehen hat, ist es um so erstaunlicher, daß ihm der Isenheimer Altar so viel bedeutete. Im Jahr 1968 äußerte Barth, "daß zur optischen Nachhilfe seit 50 Jahren das Grünewaldsche Passionsbild vor mir hängt" (23). Nach M. ist Barth 1918 auf die von Max J. Friedländer herausgegebene Ausgabe der 6 Farbtafeln von Grünewalds Isenheimer Altar gestoßen, die er noch im gleichen Jahr - und später noch öfter - im Konfirmandenunterricht behandelt hat. M. verweist darauf, daß Barth aufgrund der Beschäftigung mit Grünewald bei der Druckvorlage zur ersten Fassung seines Römerbriefs bei Römer 5,7 u. 8 die Begriffe "Distanz" und "Hinweis" neu eingeführt habe, die bei der Beschäftigung mit dem Isenheimer Altar für ihn eine so große Rolle spielten.

Die "zeigende Hand Johannes des Täufers", der "Fingerzeig Johannes des Täufers" wird für Barth zu einer Art Leitmotiv, das sich vor allem in seinem homiletischen Verständnis aktualisiert. Die Predigt tut das, was Johannes der Täufer tut: "Was sie tun kann und soll, ist das Zeigen seines ausgestreckten Fingers: Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt (Joh. 1,29)" (39). Die Hand zeigt auf den "unerbaulichen Gekreuzigten" und ist damit "Hinweis auf Gott selbst" (36), der sich im Kreuz Christi als Verborgener offenbart. Unter "Distanz" versteht Barth, daß es zwischen dem Glaubenden und dem Gekreuzigten nicht zu einer Verschmelzung kommt, sondern daß der Glaubende Abstand hält; er kann nicht mehr tun, als auf Christus hinzuweisen.

Noch in einem zweiten Punkt wird Grünewalds Altarbild für Barth wichtig. Klappt man den Altar auf, begegnet man als zweitem Hauptbild dem Bild "Engelskonzert und Menschwerdung". In KD I/2 (§ 15) wird die Maria des "Engelskonzertes" Sinnbild für die Kirche, die die Herrlichkeit Gottes nicht direkt sieht: "Die Kirche steht nicht selbst im Geheimnis, sie steht ihm gegenüber. ’Hier hat die Christologie ihren Ort’" (52). Die Deutung des Engelskonzerts als "Adventsbotschaft", "Adventsglaube" entnahm Barth einem Brief des Kunsthistorikers Josephs Bernhart, der hier von "Adventswelt" sprach. Die von Barth getroffene Zuordnung der Funktionen von Gott und Mensch im Offenbarungsgeschehen läuft parallel zu Bernharts "Die Symbolik im Menschwerdungsbild des Isenheimer Altars".

Aufgrund der von M. aufgewiesenen expliziten wie impliziten Verbindungen von Barths theologischem Denken und dem Isenheimer Altar ist es nur konsequent, wenn M. einem Video zu Barths Biographie Grünewalds Bildtafeln unterlegt. Ähnlich wie sich Walter Benjamin durch den "Angelus Novus" von Paul Klee in seinem Arbeitszimmer inspirieren ließ, ist es Karl Barth mit Grünewald gegangen. Und wenn M. Recht hat, war an wichtigen Punkten das Bild und nicht etwa der biblische Text für bestimmte Deutungen der Anreger.

Obgleich Barth in einer Predigt im Herbst 1943 den Gekreuzigten des Isenheimer Altars - ohne die Bildtafel zu benennen - detailgenau beschreibt, lehnt er bei der Frage nach dem Bild im kirchlichen Raum das Christusbild ab. Der Aussage von Barth zu Grünewald "Diese Kunst ist von Gott" (59) steht entgegen, daß dem Menschen nicht erlaubt sei, ein Christusbild zu schaffen. "Weil es Gott selbst ist, der sein Bild in der Welt aufgerichtet hat, liegt das Bild Gottes nicht im Bereich des menschlichen Vermögens, muß der Mensch sich Gottes Bild nicht selbst schaffen wollen" (82). Die Angst, Gott könne seine Souveränität verlieren, läßt Barth ein gemaltes Christusbild als unmöglich erscheinen. Hier argumentiert Barth mit dem alttestamentlichen Bilderverbot, dem Heidelberger Katechismus und mit dem bereits in frühchristlicher Zeit vorgebrachten Gedanken, daß das Christusbild die Gottheit und Menschheit Christi unmöglich gleichzeitig zum Ausdruck bringen könne. Ein weiteres Argument ist, daß ein gemaltes Bild aufgrund seiner "Fixierung" die geistige Bewegung von Gott zu Menschen nicht fassen könne (84). Letztlich aber ist es die Angst, durch eine Bejahung des Bildes könne der Wortcharakter, die Vorgängigkeit des Handels Gottes dem menschlichen Tun gegenüber gefährdet sein.

Innerhalb der Kultur zeigt sich die Kunst als "reines Spiel", die zum Platzhalter des Eschatons werden kann (92). Im kirchlichen Raum hingegen wird die Unbestimmtheit der Kunst durch die Bestimmtheit der Verkündigung des Wortes Gottes überboten. "Wie unbequem das Hören auf das Wort ist, hat Barth in Anschauung des Altars des Mathias Grünewald ein Leben lang studiert und ethisch (d. h. entsprechend der humanitas Christi) demonstriert!" (91). Die über das Grünewald-Bild gewonnene theologische (!) Erkenntnis von "Distanz und Hinweis" wird in der dogmatischen Reflexion von Barth schließlich gegen das gemalte Christusbild zur Anwendung gebracht. Somit entscheidet sich Barth - um mit M. zu reden - am Ende "mit Grünewald gegen Grünewald" (55).