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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

882–885

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

(1) Görg, Manfred (2) Currid, John D.

Titel/Untertitel:

(1) Die Beziehungen zwischen dem Alten Israel und Ägypten. Von den Anfängen bis zum Exil.
(2) Ancient Egypt and the Old Testament.

Verlag:

(1) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997. VI, 190 S. 8 = Erträge der Forschung, 290. Kart. DM 45,-. ISBN 3-534-08426-8.
(2) Grand Rapids: Baker Books 1997. 256 S. 8. Kart. DM 46.-. ISBN 0-8010-2137.

Rezensent:

Thomas Schneider

Die Erforschung der Beziehungen zwischen Altisrael und Altägypten besitzt eine lange und vielseitige, auf weite Strecken aber nicht unproblematische Tradition. Ägypten bildete als Land der Knechtschaft und Befreiung Israels einen Brennpunkt der Theologie Israels (vgl. Dtn 26, 5-9). Andererseits war Ägypten für Israel Gegenstand der Faszination (Josephsnovelle), Kulturgeber und rettendes Exil (Hadad von Edom, Jerobeam, Jeremia). Im 19. Jh. initiierte der Wunsch nach Erhellung der Lebensumstände des Volkes Israel auch die ägyptologische Forschung, insbesondere die archäologische Erforschung des Ostdeltas (vgl. É. Naville, The Store-City of Pithom and the Route of the Exodus, London 1885, 3: "The desire to come nearer if possible, to the solution of the Exodus problem, induced the society [den Egypt Exploration Fund] to choose Maskhutah from among the various localities ... And thus the great task of the exploration of the Eastern Delta was begun"). Je mehr die altägyptische Kultur durch die sich etablierende Ägyptologie an Profil gewann, desto mehr verschob sich aber diese Gewichtung. Nun wurde die mächtige Kulturlandschaft Altägyptens zum Hintergrund, der sich zum Verständnis der Kultur Israels und des Alten Testamentes anbot. Angesichts der von der Forschung zunehmend bevorzugten Verknüpfung Altisraels mit dem syrisch-mesopotamischen Kulturbereich beabsichtigen zwei Neuerscheinungen von 1997, diesen ägyptischen Hintergrund herauszustellen (vgl. Görg, 2 f.; Currid, 23 ff.).

Manfred Görg, Ordinarius für Alttestamentliche Theologie an der Universität München, legt mit seinem Band eine überaus souveräne Gesamtdarstellung hauptsächlich der historisch-politischen Beziehungen zwischen Israel und Ägypten bis zur Exilszeit vor. Sie gliedert sich in die Abschnitte I. Das "vorisraelitische" Palästina und Ägypten (5-38), II. Das vorstaatliche "Israel" und Ägypten (39-71), III. Das staatliche "Israel" und Ägypten (72-112), während der Vf. die Schilderungen der Bücher Genesis und Exodus in dieser Form als nicht im engeren Sinn geschichtliche, sondern heilsgeschichtliche Ausführungen versteht und erst als IV. "Israel" und "Ägypten" in biblischer Rückschau (113-164) abhandelt. Er steht damit im Einklang mit den meisten neueren Abrissen der Geschichte Israels, etwa von H. Donner, J. A. Soggin u. a. m. Der Band zeichnet sich durch einen sehr präzisen Blick für die methodischen, exegetischen und sachlichen Probleme aus, eine umfassende Kenntnis auch der ägyptologischen Sachverhalte und eine ausgewogene Abwägung der Erklärungsansätze. Besonders hervorzuheben ist außerdem die ca. 450 Titel nennende Auswahlbibliographie Israel-Ägypten (165-182; gefolgt von Indizes, 183-190), die über den eigentlichen Inhalt des Bandes hinaus auch die wichtigsten Arbeiten zu den sprachlich-literarischen, ikonographischen, weisheitlichen und religiös-kultischen Beziehungen bietet. Dies (und die Einführung) lassen vermuten, dass der Band ursprünglich vielleicht breiter angelegt war und auch das große und folgenreichere Feld der kulturellen Beziehungen umschließen sollte.

J. D. Currid, Associate professor of Old Testament am Reformed Theological Seminary in Jackson, Mississippi, legt seiner Darstellung die Abfolge des biblischen Kanons zugrunde und bietet ausgewählte Schlaglichter auf - u. a. auch kulturelle - Beziehungsfelder. Nach einer Einleitung (23-53, u. a. allgemein zu altorientalischen Kosmologien) folgt als umfangreichster Abschnitt des Buches Part 2: Egyptian Elements in the Pentateuch (53-155).

Während G. die Bereiche Patriarchen/Joseph/Exodus im Einklang mit der wohl überwiegenden Mehrheit der gegenwärtigen alttestamentlichen Forschung als Themen biblischer Rückschau bewertet, ist C. gegen den "current crop of historical revisionists" (141) von der "historicity and unity of the Joseph account ... which presumably occurred sometime during the second millennium B. C." (75, 79) überzeugt und verficht auch die "historical nature of the exodus as recorded in the Bible" (141). Bei diesem Unterfangen zeigt sich aber sein eklektizistischer Umgang mit der Überlieferung. Obwohl C. beispielsweise klar sieht, dass die ägyptischen Eigennamen der Josephsnovelle eindeutig auf das 1. Jahrtausend v. Chr. als Entstehungszeit weisen und bei einer Datierung in das 2. Jahrtausend eine Anomalie darstellen würden, zieht er daraus nicht den Schluss, dass die Josephsgeschichte eben spät zu datieren wäre, sondern mahnt, die Publikation weiteren ägyptischen Befundes abzuwarten, der dann doch eine Frühdatierung ermöglichen würde (77, 82). Weitaus brüchigere Argumente sollen dann aber die Historizität einer Exodus-Route durch den Süd-Sinai (und Numeri 33 als "a coherent, uniform early text that presents the route of the Hebrew exodus out of Egypt ..., a description of actual routes that were used in the second millennium B. C.", 141) beweisen, ohne dass die umfangreiche Diskussion zur literarischen Schichtung der Texte (vgl. Görg, 124-134) oder zur generellen Frage nach der Historizität der Exodus-Überlieferung überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Es scheint dem Rez. nicht vertretbar, dass die Ägyptologie als historische Wissenschaft zwar herangezogen wird, sofern sie vorgefasste Meinungen stützt, aber ihre Befunde als unzureichend beiseite geschoben werden, sofern sie nicht mit dem Glaubensgrundsatz einer notwendigerweise frühen Entstehung und unbedingten Historizität bestimmter Texte für diese frühe Zeit in Übereinstimmung zu bringen sind. Zur Diskussion vgl. noch die divergierenden Behandlungen der Problematik bei E. S. Frerichs/L. H. Lesko (Eds.), Exodus. The Egyptian Evidence, Winona Lake 1997, und J. K. Hoffmeier, Israel in Egypt. The Evidence for the Authenticity of the Exodus Tradition, New York/Oxford 1996.

Noch nicht ausreichend abgehandelt sind, wie C. zu Recht betont, die zahlreichen aus Ägypten entlehnten Motive und Topoi ägyptischer Kultur, die der Vf. exemplarisch an Hand der Schöpfungsdarstellung der Genesis, des Schlangen-Wettstreites (Ex 7), der zehn Plagen, der Anbetung der Kupferschlange (Num 21), der klassischen Fragestellung der Parallelen zwischen der Lehre des Amenemope und den Proverbien sowie der Themen Divination und "Nile curses" behandelt. Leider kann C. die einschlägigen Texte ägyptologisch nicht ausreichend ausschöpfen. Wenn der Missstand behoben werden soll, dass "we do not give the biblical writers enough credit for their knowledge of the ancient Near East and of Egypt in particular" (13), dann gehört dazu von Seiten des modernen Forschers eine entsprechende ägyptologische Sachkenntnis, die eine sowohl sachlich als auch chronologisch differenziertere Analyse erlauben würde. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Im Kapitel über die "serpent confrontation" ist die hauptsächliche ägyptologische Referenz E. A. W. Budge (Egyptian Magic, 1899; The Gods of the Egyptians, 1904; ders., From Fetish to God in Ancient Egypt; 1934), dessen Arbeiten heute aber fast nur noch von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse sind. Die seit den 1960er Jahren in moderner Edition (von E. Hornung) vorliegenden großen ägyptischen Jenseitsführer Pfortenbuch und Amduat werden nach Budge und A. Wiedemann (Religion of the Ancient Egyptians, 1897) referiert, wie auch weitere Texteditionen (z. B. hätte statt des Fehlzitates auf 90 n. 38 - gemeint ist C. Maystre - E. Hornung, Der ägyptische Mythos von der Himmelskuh, Fribourg/Göttingen 1982, erwähnt sein müssen) und Sekundärliteratur Vf. nicht bekannt zu sein scheinen. Da wichtige Beiträge zur konkreten Thematik (etwa L. Störk, Art. Schlangen, Lexikon der Ägyptologie 5, 1984, 644-652; S. Sauneron, Un traité égyptien d'ophiologie, Le Caire 1989; S. B. Johnson, The Cobra Goddess of Ancient Egypt, London/New York 1990; C. Leitz, Die Schlangensprüche in den Pyramidentexten, in: Or 65, 1996, 381-427 usw.) nicht verwendet wurden, bleiben C.s Ausführungen zur sehr vielschichtigen Bedeutung von Schlangen in Ägypten oberflächlich. Zur Deutung der konkreten Episode wären auch andere Möglichkeiten denkbar, wobei für den Wettstreit von Moses und Aaron mit den Magiern Pharaos etwa auf den Wettstreit des Siosire mit den äthiopischen Zauberern im demotischen Zyklus um Setna-Chemewese hinzuweisen wäre.

In Part 3: Contacts between Israel and Egypt in the Historical Books (159-202), ist vor allem C.s ausführliche Darbietung des Feldzuges Scheschonqs I. nach Palästina und der Ortsnamen des Bubastidentores in Karnak hervorzuheben (172-202), während Part 4: Egyptian Wisdom Literature and the Poetical Books (205-216) als einziges Beispiel den klassischen Vergleich von Prov 22,17-24,22 anspricht - erstaunlicherweise fehlen in C.s "basic bibliography" p. 205 f., n. 9 D. Römheld, Wege der Weisheit. Die Lehren Amenemopes und Proverbien 22,17-24,22 (BZAW 184), Berlin/New York 1989, und H. C. Washington, Wealth and Poverty in the Instruction of Amenemope and the Hebrew Proverbs (SBL Dissertation Series 142), Atlanta 1994. Auf Part 5: Egyptian and Israelite Prophecy (219-246; Themen sind Divination und Verfluchungen der Nilflut) folgt auf den Seiten 247-252 eine Bibliographie für die Jahre 1973-95, die aber als dem Thema nicht adäquat bezeichnet werden muss. Insgesamt fällt auf, dass nicht nur Standardwerke ägyptologischer Literatur, sondern auch weite Bereiche alttestamentlicher Forschung, die zur Durchführung des Themas unabdingbar sind, bei C. ausgeblendet sind, etwa - um nur drei Beispiele zu nennen - die Ikonographie Palästinas (O. Keel u. a.), die neuere Pentateuch-Exegese oder die Diskussion um die Frühgeschichte Israels.

C.s Darstellung ist das Bestreben zugutezuhalten, besonders die kulturellen Einflüsse Ägyptens auf das Alte Testament hervorzuheben und dabei eigene Vorschläge einzubringen. Insgesamt betrachtet wird aber so viel aus der neueren alttestamentlichen und ägyptologischen Diskussion übergangen, dass sich nur ein sehr verzerrtes Bild der Beziehungen ergeben kann. In dieser Hinsicht ist - auf das engere Gebiet der historisch-politischen Kontakte beschränkt - die Darstellung von G. vorbildlich. Da sich der Münchner Alttestamentler in Fachbeiträgen und Publikationen für ein größeres Publikum (Mythos, Glaube und Geschichte. Die Bilder des christlichen Credo und ihre Wurzeln im alten Ägypten, Düsseldorf 1992, 31998; Nilgans und Heiliger Geist. Bilder der Schöpfung in Israel und Ägypten, Düsseldorf 1997; Ein Haus im Totenreich. Jenseitsvorstellungen in Israel und Ägypten, Düsseldorf 1998) auch mit den über das Politische hinausgehenden Einflüssen auf Israel umfassend beschäftigt hat, wäre zu wünschen, dass aus seiner Feder ein zweiter Band folgt, der den literarischen, kulturellen und geistesgeschichtlichen Beziehungen gewidmet wäre.