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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

845 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Miotk, Andrzej

Titel/Untertitel:

Das Missionsverständnis im historischen Wandel am Beispiel der Enzyklika "Maximum Illud".

Verlag:

Nettetal: Steyler 1999. 265 S. 8 gr.8 = Veröffentlichungen des Missionspriesterseminars St. Augustin, 51. Kart. DM 48,-. ISBN 3-8050-0435-4.

Rezensent:

Hermann Brandt

Es handelt sich bei der hier anzuzeigenden Arbeit um eine missionswissenschaftliche Dissertation, die von Karl Josef Rivinius, St. Augustin, betreut wurde. Ihr Thema ist das Apostolische Rundschreiben von Papst Benedikt XV. (1914-1922) vom 30. November 1919. "Maximum Illud" ist "jenes große und heilige Amt, welches unser Herr Jesus Christus ganz kurz vor seiner Rückkehr zum Vater den Jüngern übertragen hat" (Übersetzung von Josef Glazik); die offizielle lateinische Version des Dokuments: AAS 11 (1919), vgl. als knappe Einführung: K. J. Rivinius SVD, Achtzig Jahre Maximum Illud, in: verbum svd 40/1999, 351-357. - A. Miotk SVD will in seiner Arbeit zeigen, dass die eigentliche Bedeutsamkeit der genannten Enzyklika nicht so sehr in ihren einzelnen theologischen Elementen, sondern vielmehr in der dezidierten Berücksichtigung der konkreten geschichtlichen Situation liegt (13). Die Kontextualität wird damit zum Schlüssel des Verständnisses der Enzyklika, obgleich der Vf. die Begriffe Kontext, kontextuell vermeidet und statt dessen davon spricht, daß in "Maximum Illud" das Prinzip der "Geschichtlichkeit" angewendet worden sei; im "Gespür für das Reale und für die Zeitumstände" liege der "paradigmatische Wert" der Enzyklika (223).

Im ersten Kapitel wird "Der Erste Weltkrieg als Hintergrund für die Genese von ,Maximum Illud'" skizziert. Bekanntlich hat der "Umbruch" zu Beginn des 20. Jh.s einschneidende Folgen (nicht nur) für die katholischen Missionen gehabt. Vf. erwähnt u.a. die Konsequenzen der Ausweisungen von Missionaren und den "Krieg als Auslöser für ein neues Bewußtsein bei den Einheimischen". Besonders instruktiv ist der Abschnitt "Die Missionsfrage in den Verhandlungen von Versailles", da der Vf. hier und auch sonst unveröffentlichte Quellen aus dem Archivio Segreto Vaticano, dem Archivio di Propaganda Fide, dem politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv heranzieht.

Kapitel 2 behandelt die Entstehungsgeschichte von "Maximum Illud" (dass sich darin nicht realisierte Ideen aus dem Dokument Memoria der Propaganda-Kongregation von 1805 spiegeln - vgl. 206, Anm. 836 - hätte schon hier erwähnt werden müssen). Im Vergleich zur üblichen Praxis ist der persönliche Anteil des Papstes am Text der Enzyklika eher hoch einzuschätzen. Zwar war vor allem der Einfluss von Kardinal van Rossum bei der Abfassung entscheidend. Die Genese der Enzyklika ist also "plurikausal" (71). Aber Benedikt XV. hat - vgl. die Aufstellung 87-90 - in seinem neunjährigen Pontifikat immerhin 37 Dokumente zum Missions-Thema veröffentlicht. Die aus ihnen erhebbaren "Grundlinien der päpstlichen Missionsstrategie" (87-98) begegnen denn auch in der Enzyklika. Der Vf. kennzeichnet sie als Programme der Reorganisierung und Zentralisierung der Mission, der Entpolitisierung und Indigenisierung der Missionen und der Universalisierung des Missionswesens.

Erst Kapitel 3 befasst sich mit der Enzyklika selbst, in der der Vf. eine Magna Charta des Missionswesens sieht. Eine Aufstellung der bedeutsamsten Missionsdokumente des Hl. Stuhls von Honorius III. (1221) bis zu "Redemptoris Missio" (1990) zeigt die Konzentration auf das Missionsthema im 19. und 20. Jh.: vom 13.-18. Jh. sechs Dokumente, im 19. Jh.: acht und im 20. Jh. elf Dokumente.

Die Nachzeichnung des Inhalts von "Maximum Illud" durch den Vf. (121-145) ist mit 24 Seiten mehr als doppelt so umfangreich als der Originaltext selbst, der in der deutschen Übersetzung von Glazik ganze elf Seiten umfasst! (Es wäre sinnvoll gewesen, den knappen Originaltext komplett zu dokumentieren, da er nicht leicht greifbar ist.) Folgende Schwerpunkte werden herausgearbeitet: der bleibende Missionsauftrag (nach Mk 16,15), die Verpflichtung der Missionsoberen zu intensiverer Missionstätigkeit, zur Zusammenarbeit und zur Ausbildung eines einheimischen Klerus, einschließlich der Forderung seiner Gleichberechtigung. Besonders wird die Überwindung des Nationalismus und des Eurozentrismus als missionarische Pflicht hervorgehoben: Unter Verweis auf das "himmlische Vaterland" hat die Enzyklika den Nationalismus als "pestis deterrima apostolatus", als abscheuliche Pest für die apostolische Arbeit, verurteilt. Dem entspricht positiv das Programm einer soliden missionswissenschaftlichen Ausbildung, auch in nichttheologischen Disziplinen und in einheimischen Sprachen. - Die theologischen und bis heute wegweisenden Neuansätze sieht der Vf. in der Hervorhebung der Katholizität der Mission, in der "komplementären Zielauffassung": (Erst-)Verkündigung und Kirchengründung, in der Gründung neuer "Partikularkirchen" und in der Verwurzelung des Missionsproblems innerhalb der Ekklesiologie, also in der Propagierung eines "römisch-universalkirchlichen Konzepts der Mission". - Bei der unmittelbaren Resonanz auf die Enzyklika (in Frankreich, China, Deutschland und Italien) zeigen sich, besonders in Frankreich und China, erhebliche Widerstände des französischen Klerus bzw. der europäischen Chinamissionare.

Der Wirkungsgeschichte der Enzyklika spürt der Vf. im vierten Kapitel nach, wiederum unter der dreifachen Perspektive Absage an den Nationalismus, an den Eurozentrismus und unter Bezug auf die Forderung missionarischer Ausbildung, einschließlich ihrer "Indigenisation". Besonders die Umsetzung des Programms der Enzyklika in Asien (Indien, China, Indochina, Japan) und in Afrika wird herausgearbeitet. Freilich reicht die Darstellung der wirkungsgeschichtlichen Relevanz nur bis in die dreißiger Jahre des 20. Jh.s. Insofern wird die Spannung zwischen dieser zeitlichen Begrenzung und der Behauptung, "Maximum Illud" sei eine Magna Charta, deren Neuheit sich bis hin zum 2. Vaticanum zeige (vgl. 221), nicht aufgelöst.

Zusammenfassend läßt sich sagen: Das "Beispiel" im Titel der Arbeit bezeichnet ihren wissenschaftlichen Ertrag, aber auch ihre Grenze. Vor- und Nachgeschichte der Enzyklika werden detailliert herausgearbeitet, ihr Text eingehend interpretiert. Überraschende Details kommen hierbei zu Tage (nur ein Beispiel unter vielen: der Widerstand in den entstehenden asiatischen Partikularkirchen gegen die von der Enzyklika geforderte Einsetzung einheimischer Bischöfe). Die theologischen (dogmatischen!) Implikationen der "historischen" Betrachtung einer Enzyklika werden angedeutet ("kirchliche Dokumente" bestehen nicht aus "einem geschlossenen und unwandelbaren System von Wahrheiten, Normen und Gesetzen", sondern sind "aus ihrer geschichtlich zeitbedingten Dynamik zu verstehen" (219).

Aber welche "zukünftige Entwicklung" die "prophetische" (vgl. 153-155) Enzyklika vorweggenommen habe, wird dann nicht mehr im Einzelnen dargelegt, auch nicht, worin angesichts des 2. Vaticanum (und der neueren Missionsdokumente) die "historischen Grenzen" (222) der Enzyklika von 1919 bestehen. - Auffällig und symptomatisch für die konfessionelle Zweigleisigkeit ist im Übrigen die fast völlige Ausblendung der gleichzeitigen "protestantischen" (so der Vf. passim) Mission, die nur gelegentlich als missliebige oder auch ernstzunehmende Konkurrenz in den Blick kommt (vgl. 40, 108, 133, 202-209). Bedenkenswert ist aber die doppelte Provokation der Arbeit: 1. Es war das missionarische Engagement, das zur Überwindung eines kolonialistischen und eurozentristischen Katholizismus führte, und 2. sind die "innovatorischen Initiativen" von der Hierarchie durchgesetzt worden (vgl. 174!).