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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

828–830

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Obst, Gabriele

Titel/Untertitel:

Veni Creator Spiritus! Die Bitte um den Heiligen Geist als Einführung in die Theologie Karl Barths.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1998. 404 S. gr.8. Kart. DM 78,-. ISBN 3-579-02021-8.

Rezensent:

Ernstpeter Maurer

Die Arbeit nimmt die Bitte um den Heiligen Geist zum Ausgangspunkt einer "Einführung in die Theologie Karl Barths". "Geht es dabei auf der einen Seite primär um den charakteristischen Bedingungshorizont einer an ihrem Gegenstand orientierten Theologie, so rückt auf der anderen Seite die Menschlichkeit der Theologie besonders in den Blick" (15). Das Buch ist daher so aufgebaut, dass nach einem ersten Kapitel über Barths späte "Einführung" in vier weiteren Kapiteln jeweils ein Grundproblem der theologischen Prinzipienlehre mit einem charakteristischen Aspekt theologischer Existenz verklammert wird.

O. geht von der entscheidenden methodologischen Grundeinsicht aus, dass Barth jede theologische Selbstbegründungsstrategie ablehnt und gerade deshalb die Theologie als bescheidene, freie, kritische und fröhliche Wissenschaft konzipieren kann (vgl. 22 f.). Das Wirken des Gottesgeistes ist stets "axiomatisch" vorausgesetzt, allerdings nicht als verfügbarer Vordersatz. Die theologische Existenz ist daher eine angefochtene Existenz. Da sie sich freilich auf einen lebendigen Gegenstand einlässt, wird sie ihrerseits in Bewegung gesetzt, sie kann antworten im Gebet und treibt Theologie als offene Wissenschaft.

Konsequenterweise ist Barths Theologie dialogisch. Daher stellen die drei mittleren Kapitel jeweils eine wichtige Kontroverse in den Mittelpunkt. Das Kapitel "Pneumatische Theologie und die Bitte um den Heiligen Geist" orientiert sich an der Auseinandersetzung zwischen Barth und Harnack. Schon der frühe Barth hat zum Thema "Theologie als Wissenschaft" provokante und durchaus reflektierte Grundannahmen formuliert. Setzt die Theologie bei der Offenbarung ein, so kommt es notwendig zum Streit um den Wirklichkeitsbegriff, den die jeweilige Wissenschaft voraussetzt (vgl. 63). Theologie kann also eine aufgeklärte Wissenschaft sein, gerade indem sie sich nicht dem methodologischen Postulat einer (etwa experimentell) verfügbaren Wirklichkeit fügt. Werden Vernunft und Erfahrung ersetzt durch Schrift und Geist, so kommt eine nicht verfügbare, aber durchaus zu bezeichnende Objektivität ins Spiel. Das meint Barth mit seinem umstrittenen Verweis auf die "Sachlichkeit" der Theologie. Allerdings führt dieses Gegenüber das erkennende Subjekt mitsamt seiner Welt in die Krisis (vgl. 74). Diese eschatologische Kritik macht Theologie faktisch zu einem Fragezeichen im Wissenschaftsbetrieb - und so leistet sie "ihren spezifischen Beitrag als Wissenschaft innerhalb der Universität" (69).

Diese Grundeinsicht verfolgt die Untersuchung in den Kommentaren zum Römerbrief und den drei Fassungen der Prolegomena zur Dogmatik. Für die Dogmatik ist wichtig, dass der Gedanke der Analogia Fidei "mit der Einsicht in die Selbstbewegung Gottes aufs engste zusammenhängt" (98). Daher dürfen Analogie und Pneumatologie nicht getrennt werden. So kommt es zur genaueren Betrachtung der gottgegebenen Zeichen der objektiven Wirklichkeit der Offenbarung (107 ff.). Dieser Zeichenzusammenhang ist zugleich eine Bestreitung der vorfindlichen Realität, denn die ist stets von der Wahrheit unterschieden, während jener seine Wahrheit mit sich trägt, die uns ergreifen kann, ohne uns zur Verfügung zu stehen (vgl. den Exkurs 110 ff.). Aus alledem ergibt sich das Gebet als angemessene dogmatische Sprachform, denn Theologie hat keinen Gegenstand, sondern ein Gegenüber, das den Menschen als Subjekt theologischer Arbeit erst konstituiert (vgl. 162). Daraus ergibt sich die "Unabgeschlossenheit und Unabschließbarkeit allen theologischen Nachdenkens", die in der sprachlichen Gestalt der Barthschen Dogmatik ihren Reflex findet, in der "Relativität und Gebrochenheit aller theologischen Rede" (157).

Das Kapitel "Biblische Theologie ... und die angefochtene theologische Existenz" zeichnet die Kontroverse Barths mit Bultmann nach. Der Geist der Schrift kann nicht reduziert werden auf die existentielle Aneignung, vielmehr wirkt er bereits die Klarheit und Selbstevidenz der Schrift (vgl. 206). O. spitzt die Barthsche Hermeneutik treffend darauf zu, dass die Schrift das in sich abgeschlossene Subjekt befreit von starren "Denkschemata" (222). Daraus ergibt sich die Ablehnung des Systemzwangs zu Gunsten eines dialektischen Denkweges: Solch ein Denken "hält auch die Mitte der Theologie frei, die unfasslich und unanschaulich bleiben muß [,] und respektiert damit das biblische Bilderverbot" (230).

Das Kapitel "Selbst(kritische) Theologie und die theologische Zeugenschaft" stellt die Anthropologie in den Mittelpunkt. Theologie ist stets Religionskritik und daher kritisch auf die höchsten menschlichen Möglichkeiten gerichtet. Konsequenterweise referiert O. in diesem Zusammenhang die tragische Geschichte der missglückten Kommunikation zwischen Barth und Emil Brunner (274 ff.). Brunners Anthropologie bleibt schillernd: "Der Mensch ist für Brunner weder freies, selbstbewußtes Humanum, denn seine eigentliche Erfüllung findet Menschsein erst im Glauben, noch ist er wirklich Sünder, denn seine formale Ansprechbarkeit qualifiziert ihn in besonderer Weise für das Wort Gottes" (289). Für Barth hingegen eröffnet erst der Verzicht auf Apologetik "die Möglichkeit zu einem offenen Gespräch sowohl mit anderen Religionen und dem Atheismus wie auch mit den anderen Wissenschaften" (313).

Der fünfte Teil behandelt die "Theologische Zeitgenossenschaft im Machtbereich des Geistes". Hier wird erstmals der Geist als trinitarische Person dargestellt. Weil die dramatische Denkform der Versöhnungslehre gerade in der Verklammerung von Pneumatologie und Christologie beruht (vgl. 332), wendet sich die Untersuchung den "Übergangsüberlegungen" in KD IV zu. "Zeitgenossenschaft" spitzt sich darin zu, daß im Machtbereich des Gottesgeistes die Zeitgeister angemessen geprüft, geschieden und überwunden werden können. "Zeitgenossenschaft bedeutet die Existenz in der Verheißung der Gegenwart des auferstandenen Jesus Christus" (352). Eine Zuschauerrolle ist dabei ausgeschlossen - wir partizipieren am Christusgeschehen ebenso wie an unserer Zeit. In sehr differenzierter Weise wird dies exemplifiziert am Beispiel der komplexen Verhältnisbestimmung von Mann und Frau bei Barth (362 ff.).

Die Untersuchung zeigt auf, dass der Verweis auf den Heiligen Geist die Theologie Barths von Anfang an durchzieht. Darauf beschränkt sich leider der Beitrag zur Barth-Forschung, denn ansonsten fällt das Buch hinter den Forschungsstand zurück. Nirgends nämlich wird die Formel geklärt, inwiefern denn dem Heilige Geist "axiomatische" Bedeutung zukomme - zumal das Wirken des Geistes eben kein verfügbarer Vordersatz (vgl. 23) sein kann. Die Bedeutung der Zeichen bei Barth wird nur in einem Exkurs (110 ff.) genauer analysiert, andererseits bleibt das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem eine bloße Problemanzeige (vgl. 125). Solche Grundprobleme einer dogmatischen Prinzipienlehre sind von Bedeutung sowohl für die theologische Hermeneutik als auch für eine Klärung der "analogia fidei". Dass Barths Sprache wegen der immer neuen Relativierungen ausufert und darin eigentümlich offen bleibt - das ist keine originelle Einsicht! Mit der Sprache der Theologie hängt die Frage nach der wahren Wirklichkeit zusammen. Die ontologische Relativität, die sich in Barths dialektischen Denkbewegungen abzeichnet, wird aber nicht weiter präzisiert. Es fehlt jede Auseinandersetzung mit der neueren Diskussion sprach- und wissenschaftsphilosophischer Aspekte in Barths Theologie [zu nennen ist etwa die Arbeit von Gregor Taxacher: Trinität und Sprache. Dogmatische Erkenntnislehre als Theologie der Sprache, Würzburg 1994]. Die Pneumatologie Barths bleibt daher eigentümlich formal - zuweilen erscheint sie in O.s Darstellung lediglich als letzter Vorbehalt. Theologie hat ein Gegenüber, das den Menschen als Subjekt theologischer Arbeit erst konstituiert (vgl. 162).

Im Streit mit Emil Brunner weigert sich Barth allerdings strikt, diese Neuschöpfung des Subjekts wenigstens zu umreißen. Es leuchtet ein, dass die Erschütterung des Vernunftaxioms (vgl. 297) für Barth stets nur ein Nebenprodukt theologischer Arbeit sein kann. Wie verhält sich das aber zu Barths Kritik an der verfügbaren Wirklichkeit? "Wirkliche Sündenerkenntnis vollzieht sich nicht in der Tiefe der Selbstreflexion, sondern in der Begegnung mit Gottes Offenbarung" (298). Sollte es sich hier um eine exklusive Alternative handeln? Und gerät Barth - wenigstens in der vorliegenden Untersuchung - nicht in die fatale Nähe einer theologia negativa? Kann er mehr tun als das Dabeisein der menschlichen Person immer nur zu behaupten und sich im letzten Augenblick immer noch zu weigern, dieser Behauptung Farbe zu geben? In solcher Formalität kann jedenfalls die behauptete Verklammerung zwischen theologischer Prinzipienlehre und theologischer Existenz nicht plausibel werden.