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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

825–827

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Houtepen, Anton W. J.

Titel/Untertitel:

Gott - eine offene Frage. Gott denken in einer Zeit der Gottvergessenheit. Aus dem Niederländischen übers. von K. Blömer.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1999. 350 S. gr.8. Kart. DM 58,-. ISBN 3-579-00411-5.

Rezensent:

Horst Georg Pöhlmann

Ob das Buch auch im deutschsprachigen Bereich "ein großer Erfolg" sein wird wie "in den Niederlanden" - wie der Werbetext es anpreist - bleibt abzuwarten. Die fragwürdige Übersetzung ist nicht dazu angetan, in der leider vieles von der Sprachkraft des Originals verloren geht. Vieles bleibt auch in dem Werk unklar, verwirrend und deutungsbedürftig. Imponierend ist die breite internationale und interkonfessionelle Literaturbasis, die freilich zu weitschweifig den Markt von Angeboten ausbreitet, statt zügig die gestellte Aufgabe einzulösen, "einen Denkweg zu Gott hin zu erproben" (9) und ihn, der eine marginale Existenz in der Gefühlsnische fristet, "in den Bereich des Denkens zurückzubringen" sowie hier "windows" zu öffnen (44, 276). Etwas ungeduldig wartet man bei der Lektüre, wann endlich diese "windows" zu Gott geöffnet werden und der Versuch unternommen wird, ihn für jedermann evident zu machen. Mitunter erinnert die Überfülle der Literatur an einen Nachmittagsstau am Freitag, bei dem man nicht in Fahrt kommt.

Dabei geht es nicht - wie bei so mancher Buchveröffentlichung - um eine Umverteilung im Rucksack der Bestände, sondern um etwas Neues. In dem m. E. stärksten Kapitel 4 (108ff.) skizziert der Vf. dieses neue beachtenswerte Konzept, wenn er "Spuren von Gott" in den "menschlichen Emotionen" (108) aufweist und durch sie Gott wieder plausibel zu machen versucht in unserer säkularen Gesellschaft. Gemeint ist "das nicht-instrumentelle", uninstrumentalisierte und uninstrumentalisierbare "Verhalten", "das, was einen überkommt" und was man nicht selber herbeiführt und kalkuliert (116), das "nicht Vorbedachte", "Ungewollte, Unverursachte" (117), Unverzweckte und Unerwartete, wie das befreiende "Lachen und Weinen, Wut und Lust, Abscheu und Seufzen", das "Zittern" und "Prickeln", Emotionen, die "nicht beherrschbar" sind (116). Diese Emotionen sind nichts anderes als das "Wehen", "Rauschen", "Schnauben" und "Brüten des Geistes Gottes, Pneuma und Ruach, der uns überkommt". "Eine Christliche Kultur der menschlichen Emotionen" ist "in diesem berechnenden, kybernetischen Jahrhundert zu entwickeln".

Solche emotionalen Denkwege zu Gott, die ihn evident machen, sind vor allem "die Wege des Verlangens, des Vertrauens, des Widerstandes und der Vergebung" (118). So ist die "Lebensform des Verlangens" (120), vor allem das "letztendliche Verlangen" im Gebet, "ein Platz, an dem Gott zu finden ist", (121), der, "der absolut ... verlangenswürdig" ist (122). "Wer ,Gott' sagt, sagt stammelnd, fluchend vielleicht und seufzend, gläubig und ungläubig zugleich, dass er nach dem Guten verlangt". Für den "Zyniker" und "Skeptiker" gibt es nur das Berechenbare, alles andere ist "Halluzination" und "Illusion". Er kennt keine höhere Macht, der es ihn zu danken drängt oder zu der er seine Not sich von der Seele schreit, kein "ultimate concern" (P. Tillich), kein unbedingtes Ergriffensein, nichts Unbedingtes, nur das Bedingte. Er kennt keinen Gott, "sein Bauch ist sein Gott" (121). Unerklärlich wie das unbedingte Verlangen des Menschen im Gefängnis seiner Bedingtheiten ist auch sein immer neues "Vertrauen" in einer "Kultur des Argwohns" und des Misstrauens. Man kann dieses durch nichts tot zu kriegende Vertrauen nicht aus dem Menschen ableiten, es muss woanders her kommen. Wir kämen in unserer Welt keine Stunde zurecht ohne diesen Vorauskredit des Vertrauens, den man sich im Strassenverkehr, Beruf oder sonst schenkt. Dieser Energiestrom des Vertrauens, der nicht aus dem Menschen zu erklären ist, kommt aus Gott (123 ff.). Eine weitere Emotion, in der Gott jedem begegnet, ist der "Widerstand" des Menschen, wenn wir "instinktiv" "gegen das Böse, das Menschen zustößt", im "Namen der Gerechtigkeit" "protestieren", obschon wir von Natur feige sind. Auch er kommt nicht aus uns, sondern er kommt über uns wie das unbedingte Verlangen und das unbedingte Vertrauen. "Wer anders als der, der die letzte Gerechtigkeit ist", setzt diesen "Widerstand" in mir in Gang "gegen alle Anpassung an das, was ... der Fall ist?" (126) Auch in der vierten "Lebensform der Vergebung", die sich in unserer Welt wie ein Wunder immer neu ereignet, begegnet Gott, der sie schenkt. "Kein einziges Gesetz der Physik oder der biologischen Evolution, keine einzige Psychologie der Selbstentfaltung oder des gebremsten Aggressionsdranges bildet eine Grundlage für diese" unerklärliche "Vergebungsgesinnung" in unserer Welt, die sich querstellt zu allem üblichen (127 f.). Gott ist kein überflüssiger Umweg zur Humanität, die man auch ohne ihn erreicht, wie J. Habermas annimmt, sondern er ist der einzige Weg, durch den sie zu uns kommt.

Man kann von einem Umbruch in der Theologie reden, wenn der Vf. Religion nicht, wie üblich, als "Kontingenzbewältigung", sondern als "Kontingenzbejahung" versteht, "Kontingenz" ist "Gratuität", das unerwartete Beschenktsein im Widerfahrnis der Gnade (208). Ist das nicht der Gott der Bibel, der "die Wolken und den Wind" als "seine Boten" gebraucht und "schreiende Esel und rufende Narren" als "seine Stimmen" benützt (210), also gerade dort begegnet, wo wir es nicht erwarten? "Natur und Geschichte" sind so mehr als "abgestoßene Stufen einer ausgebrannten Rakete" (169), in ihnen begegnet Gott auf Schritt und Tritt, und sei es in den bizarren Biographien der Propheten und des Paulus (173). Die Kontingenztheologie des Vf.s ist eine Art Paradigmenwechsel: "Gott ist nicht so sehr auf der Linie der Erwartungen" und "in der Sphäre des Ursächlichen ..., Notwendigen beheimatet", sondern er begegnet im "Unerwarteten, Ungedachten, Zukünftigen" - das übrigens nicht mit dem "Utopischen" zu verwechseln ist (279). Gott ist so "die Grenze des Ego" (280), nicht etwa, wie heute so oft, der Animateur seiner Selbstentfaltung.

Es ist das Verdienst des Vf.s, durch diesen Perspektivenwechsel aufgewiesen zu haben, dass es "Bedeutungsfelder des Seins" gibt, die "ohne Gott" nicht "urbar" gemacht werden können (20), dass Gott also notwendig ist und nicht überflüssig, wie unser moderner "Agnosmus" - oder praktischer Atheismus - annimmt (11 f.). Der Vf. macht mit seinem positiven Kontingenzverständnis zu Recht Front gegen eine pessimistische "religion de la peur", die den Mensch klein und schwach machte im Zuge unserer traditionellen "Schuld- und Schamkultur", statt ihn aufrecht und stark zu machen, und die dem Menschen das Leben vergällt hat (16). Das "forensische Gottesbild", das dieser Schuld- und Schamkultur entstammt, habe das "axiologische Gottesbild" verdrängt, das die "Würde" des Menschen und alles, was "schön" ist, sowie die "zärtliche Nähe" und Liebe aus Gott ableitet (58). Die fragwürdige Ideologisierung der Rechtfertigungslehre zum alleinigen Kriterium der Theologie im Theologenstreit der letzten Jahre zeigte das, denke ich, zur Genüge. Es gibt neben der Rechtfertigung des Sünders noch andere Heilsbegriffe im Neuen Testament, die nicht einfach mit anderen Worten dasselbe sagen wie die Rechtfertigungslehre, sondern auf andere wichtige Aspekte des Christusheils hinweisen wie z. B. die "Königsherrschaft Gottes" (basileia tou theou), die uns zu Königen macht, die Liebe, die kein Warum kennt, "Glanz" und "Schönheit" (doxa), "Lust" und "Freude" (chara), sowie das "Leben" (zoä), das uns durchpulst.

Gewiss, es gibt keine "Beweise" für Gott, nur "Spuren Gottes" (302), die thomasischen "Gottesbeweise haben ihre Kraft verloren" (66), die ja großenteils von einem Ursachedenken, nicht vom Unerwarteten ausgehen. Trotz alledem stutzt man, dass der Vf. seine Gotteswege am Schluss zur bloßen "Hypothese" oder "Vermutung" herabstuft (302, 305). Noch seltsamer ist die Alternative, in die die Arbeit ausmündet: "Hypothese oder Apotheose" (326). Es brauche "für den, der glaubt" nicht bei der "Hypothese Gott" zu bleiben. "Gott, der uns im Namen ruft, ist die Apotheose" des Menschen in Gott, seine Vergottung. Denn "alle Arten der Religiosität, die nicht der Würde und der Erhöhung des Menschen dienen, die ihn niederdrücken und abwerten", sind nicht "Werk Gottes", sondern "Teufelswerk" (336). So bleibt am Schluss doch manches diffus. Ein Durchbruch also, dem die Richtung fehlt? Nein. Aber es besteht ein erheblicher Klärungsbedarf vor allem über viele Begriffe, etwa über den der "Apotheose".