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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

823–825

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bauke-Ruegg, Jan

Titel/Untertitel:

Die Allmacht Gottes. Systematisch-theologische Erwägungen zwischen Metaphysik, Postmoderne und Poesie.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. XVII, 569 S. gr.8 = Theologische Bibliothek Töpelmann, 96. Lw. DM 218,-. ISBN 3-11-015905-8.

Rezensent:

Armin Kreiner

Bei der umfangreichen Monographie handelt es sich um eine an der Theologischen Fakultät in Zürich erstellte Dissertation. Ziel der Studie ist die Untersuchung und Klärung des Allmachtsbegriffs.

Der erste Teil, mit "Einblicke" überschrieben, bietet einen Überblick über die Entwicklung der Allmachtsdiskussion vom Beginn der Neuzeit bis zur Gegenwart. Im Verlauf dieser Entwicklung sei aus einem der selbstverständlichsten Gottesprädikate eines der umstrittensten geworden. Für diese Entwicklung wird eine Reihe unterschiedlicher Gründe verantwortlich gemacht: An erster Stelle wird das Theodizee-Problem genannt, also die diversen Schwierigkeiten, die sich aus der Annahme ergeben, Gott verfüge über die Macht, Übel und Leid zu verhindern. Es folgen logische Probleme, insbesondere das sog. "Paradox der Allmacht", wonach der Allmachtsbegriff angeblich selbstwidersprüchlich sei. Im Anschluss daran werden ideologiekritische Einwände angeführt: Sie deuten den Glauben an einen allmächtigen Gott als menschliche Projektion, machen ihn für unliebsame soziale, politische oder psychische Konstellationen und Funktionen verantwortlich und lehnen ihn aus diesen Gründen ab. Spezifisch theologische Einwände schließen diese Übersicht ab: Hier geht es u. a. um die Konfrontation eines christologisch bzw. kreuzestheologisch entwickelten Gottesverständnisses mit einem (mono-)theistischen Gottesverständnis, wobei Allmacht nur für Letzteres konstitutiv sei und folglich mit diesem abgelehnt wird. Im Anschluss an diese Auflistung der Allmachtskritik wendet sich B.-R. den Alternativen zu, also den Versuchen, Gott als "ohnmächtig" und "(mit-) leidend" zu denken.

Nach einem Blick auf die deutschsprachige Nachkriegsliteratur, wobei vor allem Wolfgang Borchert berücksichtigt wird, konzentriert sich der Autor im Wesentlichen auf die einschlägigen Ausführungen von Hans Jonas, die ausführlich referiert und diskutiert werden. Hinweise auf Günter Schiwys "Abschied vom allmächtigen Gott" runden die Vorstellung der Alternativen ab. Da auch die Ablehnung der Allmacht nicht unwidersprochen blieb, schließt sich eine Darstellung der kritischen Einwände gegen die Rede von einem ohnmächtigen und leidenden Gott an. Von den diesbezüglichen Rückfragen werden genannt: (a) die mangelnde Schriftgemäßheit, (b) die "Verdoppelung" des Leidens, da nun auch noch Gott selbst leidet, (c) die soteriologische und pastorale Fragwürdigkeit und (d) die grundsätzliche Unmöglichkeit, einen ohnmächtigen Gott überhaupt zu denken. Konsequenterweise kommen nun Positionen zu Wort, die ungeachtet aller Kritik für die Unverzichtbarkeit des Allmachtsprädikats plädieren. Ausführlicher vorgestellt werden die Positionen von Bultmann, Pannenberg und van den Brink, die B.-R. allerdings auch nicht zufriedenstellen: Bultmann betone zwar zutreffend den engen Zusammenhang zwischen göttlicher Allmacht und menschlicher Subjektivität, seine Ausführungen blieben aber "eigenartig unanschaulich" (251). Pannenbergs Allmachtskonzeption mute dagegen "eigentümlich objektivierend" und traditionell an (252). Van den Brink vertrete schließlich die vormoderne Selbstverständlichkeit des Allmachtsprädikats, könne aber dessen Konsistenz nicht überzeugend darlegen. Angesichts dieses Fazits will sich B.-R. erneut an die Arbeit am Allmachtsbegriff machen. Das Ziel, das er sich dabei steckt, bewegt sich zwischen einem hartnäckigen Festhalten am traditionellen Allmachtsverständnis einerseits und seiner leichtfertigen Verabschiedung andererseits. Den Weg zu diesem Ziel sucht er in einer sog. "Verwindung" der traditionellen Allmachtslehre.

Zu diesem Zweck setzt der zweite Teil, mit "Aussichten" überschrieben, bei den "Loci theologici" des Johann Gerhard an. Den hier thematisierten Fragestellungen und Autoren schließen sich die Ausführungen des zweiten Teils an. Nach einer gründlichen Untersuchung des Schriftbefunds rekonstruiert B.-R. die Entwicklung des Allmachtsbegriff bis zur Reformation. Der entscheidende Übergang vom hebräischen schaddaj über das griechische pantokrator zum lateinischen omnipotens habe sich ereignet, als Letzteres im Sinne von omnia posse gedeutet wurde. Fortan sei Allmacht im Sinne von "alles könnend" bzw. "alles vermögend" verstanden worden. Diese Deutung habe die weitere Entwicklung der Allmachtsdiskussion nachhaltig geprägt und sei auch für die unlösbaren Schwierigkeiten dieses Begriffs verantwortlich, denn - so die Begründung - ganz offensichtlich könne Gott eben nicht "alles". Im Verlauf der Darstellung schält sich immer deutlicher heraus, worauf die intendierte "Verwindung" abzielt: Gottes "Allmacht" solle von seiner "Liebe" her gedacht werden, und nicht umgekehrt.

Die Vorzüge der Studie liegen in der immensen Fülle theologischer, philosophischer und literarischer Texte, die referiert, interpretiert und evaluiert werden. Auf Grund dieser Fülle entstand eine informative, gut lesbare und lesenswerte Studie, die das weite Spektrum der Allmachtsproblematik in historischer und systematischer Hinsicht abdeckt. Angesichts einer solch enormen Literaturfülle wirken Hinweise auf unberücksichtigt gebliebene Autoren in der Regel deplaziert. Dennoch fragt man sich, warum dem spätmittelalterlichen Nominalismus, insbesondere Ockham, kein größerer Stellenwert eingeräumt wurde.

Die Nachteile der Studie liegen im systematischen Ertrag, der dahin tendiert, das Wort "Allmacht" zwar beizubehalten, aber den traditionellen Gehalt weitgehend zu verabschieden. Die angeblichen Aporien des traditionellen Allmachtsverständnisses werden vorschnell eingeräumt, ohne dies argumentativ überzeugend zu begründen. Die Auseinandersetzung mit traditionellen und gegenwärtigen Lösungsversuchen (etwa bei van den Brink) wirkt teilweise etwas apodiktisch, teilweise aber auch überheblich. Vereinzelt lassen die Ausführungen ein Verständnis für die dort behandelten Problemstellungen vermissen. Beibehalten will B.-R. unter anderem die Bedeutung des "Allerhalterseins" Gottes, die "auf sein Beharren, seine Treue und Stetigkeit, seinen langen Atem, seine Geduld und Toleranz hin" auszulegen sei (507 f.). Solche und weitere ähnliche zur Klärung vorgeschlagene Formulierungen wirken - etwa im Vergleich zu der inhaltlich verwandten prozesstheologischen Position David Griffins - eigentümlich vage. Sie verraten außerdem gelegentlich ein Theologieverständnis, das sich etwas zugute hält, vergleichsweise simplen und klar formulierten Fragen entweder auszuweichen oder sie unter einem rhetorischen Wust zu ersticken. Sollte sich dies hinter der angestrebten "Verwindung" des Allmachtsprädikats verbergen, sähe ich darin eher einen Rückschritt hinter die Tradition, jedenfalls keinen Fortschritt.