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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

812 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Faber, Richard u. Volkhard Krech [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kunst und Religion. Studien zur Kultursoziologie und Kulturgeschichte.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 1999. 306 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-8260-1553-3.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Wenn binnen Jahresfrist gleich drei Aufsatzbände zu einem Themenbereich erscheinen, dann kündigt sich ein besonderes Interesse an einer Problematik an. Zudem ist aufschlussreich, wie unterschiedlich solche Bände konzipiert sind. Im ersten in dieser Sequenz erschienenen, von Wolfgang Erich Müller und Jürgen Heumann herausgegebenen Buch Kunst-Positionen, Stuttgart 1998, geben 12 Autoren, Theologen, einen Überblick über die Reflexion der Kunst in der gegenwärtigen evangelischen und katholischen Theologie. Im dem von Jörg Herrmann, Andreas Mertin und Eveline Valtink edierten Band Die Gegenwart der Kunst, München 1998, arbeiten 19 Autoren, meist Theologen, Kunstwissenschaftler und Philosophen das Eigene einer ästhetischen und religiösen Erfahrung heraus.

Ganz anders nun der hier vorzustellende Band, der von der soziologisch hoch interessanten Beobachtung ausgeht, dass um 1900 einerseits das Eigentliche der Religion und ihrer Kunstdeutung immer undeutlicher wird, andererseits aber um so mehr ihre Relation zu säkularen Bereichen der Gesellschaft in den Blick gerät. Dem Bedeutungsverlust der institutionell gefassten Religion mit ihrem Entkirchlichungsprozess steht eine Anzahl neuer Erscheinungsformen von Religion gegenüber, häufig wird sie in die Bereiche von Arbeit, Politik und Bildung transformiert. Gegen die Behauptung der großen Nähe, oft sogar der Kongruenz von Kunst und Religion ist die Intention dieses 14 Autoren versammelnden Bandes eine genauere Verhältnisbestimmung beider Größen. Auf diese Weise wird eine Auseinandersetzung mit wechselnden Perspektiven dokumentiert, wobei die Thematik nicht unter speziell theologischem, sondern kultursoziologischem und kulturgeschichtlichem Blickwinkel betrachtet wird. Der Soziologe Volker Krech legt zu Beginn dar, wie Max Weber bei der Darlegung der Übernahme der Funktion der Religion durch die Kunst von der Voraussetzung einer religiös bestimmten Kultur im Sinne eines evolutionären Verhältnisses ausgeht. Eine Auffassung, die von Georg Simmel oder Wilhelm Wundt kritisiert wird. - Diesem Problem geht der Soziologe Klaus Lichtblau weiter nach und kommt zu dem Ergebnis, dass die Kunstreligion auf der Basis der Frühromantik mit ihrer Verschmelzung der verschiedensten Wertsphären der ehemals getrennten Bereiche von Kunst und Religion steht. Während Simmel in der Übernahme der religiösen Funktion durch die Kunst eine Erfüllung des Bedürfnisses nach Erlösung sieht, spricht sich Weber für eine Autonomie der Ästhetik aus. Diese Verhältnisbestimmung wird in den folgenden Beiträgen exemplarisch an unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen untersucht. Der Literaturwissenschaftler Phillipe Despoix expliziert die in Webers Religionssoziologie implizite Literatursoziologie in ihrem Versuch, den Ort des Göttlichen in einer Gesellschaft zu benennen. Die Altorientalistin Eva Cancik-Kirschbaum weist anschließend nach, dass im Gegensatz zu Weber bereits die altorientalischen Hochkulturen über autonome Kunst verfügten. In teilweiser Ergänzung zeigt der Japanologe Peter Pörtner am Beispiel der vormodernen Lyrik Saigyôs auf, dass hier die Kunst wie ein Organ der Religion ist. Dichtung kann als gleichsam auf der Kreuzung von Kunst und Religion entstehend gedacht werden. - Mit diesen Beiträgen ist die Theoriebildung der evolutionistischen Entwicklung der Kunst aus der Religion in Frage gestellt.

Diesem Ergebnis werden die Beiträge des Kunsthistorikers Achatz von Müller und der Religionswissenschaftlerin Susanne Lanwerd zur Seite gestellt, die am Beispiel von religiösen Bildstiftungen im Spätmittelalter bzw. an der innerweltlichen ästhetischen Dimension spätmittelalterlicher Malerei aufzeigen, dass auch in unserem Kulturraum religiöse Kunst, wenn zwar auch noch nicht autonom, so aber doch auf eine andere als ausschließlich die religiöse Weise verwendet bzw. rezipiert werden konnte. Der Verhältnisbestimmung von Kunst und Religion im 19. und frühen 20. Jh. widmen sich die Beiträge von Thomas Schröder, Richard Faber, Marja Rauch und Wolf-Daniel Hartwich. Die Eigenständigkeit der Kunst wird von diesen Beiträgern an sehr unterschiedlichen Zusammenhängen dargelegt, an der Christologie um 1800, an Novalis, Musil oder am frühen Richard Wagner. Der Band wird durch die Beiträge von Wolfgang Baumgart, Marina Schuster und Claus E. Bärsch abgeschlossen, die am Beispiel von Stefan George, der neureligiösen Malerei Ludwig Fahrenkrugs und Hugo Höppners, genannt Fuchs, sowie des Kunst- und Religionsgedankens bei Alfred Rosenberg nach der Gestalt einer politischen Kunstreligion fragen. Dieser exemplarisch arbeitende Band versammelt Beiträge mit sehr interessanten Einzelbeobachtungen, wobei gerade die letztgenannten Aufsätze zu dem weiterzudenkenden Ergebnis führen, dass neben einer Tendenz zur Autonomie auch eine Re-Religionisierung der Kunst steht. Wenn man dieses Ergebnis des von Faber und Krech herausgegebenen Bandes bedenkt, kann man sich eine zukünftige Arbeit am Thema Kunst und Reli-gion nur interdisziplinär vorstellen, zumal - aus theologischer Sicht - auf diese Weise eine Klärung des mit Religion eigentlich Gemeinten geschehen könnte.