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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

797–800

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Stengel, Friedemann

Titel/Untertitel:

Die Theologischen Fakultäten in der DDR als Problem der Kirchen- und Hochschulpolitik des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71.

Verlag:

Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1998. 824 S. gr.8 = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 3. Kart. DM 98,-. ISBN 3-374-01708-8.

Rezensent:

Robert F. Goeckel

Eine der vielen Besonderheiten in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der DDR war ohne Frage die ununterbrochene Existenz der theologischen Ausbildung an den sechs staatlichen Universitäten. Auch Kenner der Verhältnisse im ehemaligen Ostblock waren darüber immer wieder erstaunt, weil andere Regime der kommunistischen Welt die Theologenausbildung entweder eliminiert oder sehr stark in kircheneigene Bereiche zurückgedrängt hatten.

Die sowjetische Kirchenpolitik hatte theologische Ausbildung immer als Religion belebenden Faktor betrachtet und versucht, sie auf schwache, von den staatlichen Universitäten getrennte kirchliche Akademien zu begrenzen. Trotz des auch in der DDR in Geltung stehenden Leninschen Prinzips der Trennung von Staat und Kirche blieb Theologie hier aber als Fachbereich innerhalb des Hochschulwesens der DDR erhalten. Diese Differenz zu anderen sozialistischen Ländern macht eine gewisse Kontinuität deutscher Geschichte deutlich. Allerdings konnten sich die Beobachter nie von dem Eindruck befreien, dass das DDR-Regime hinter den Kulissen doch sein politisches Spiel gerade in diesem scheinbaren Entgegenkommen trieb.

In seinem umfangreichen Buch hat der Autor die Kennzeichen und Etappen dieser Politik während der ersten Jahrzehnte der DDR untersucht. Seine Forschungen erfolgen dabei sowohl im Kontext der staatlichen Hochschulpolitik und der staatlichen Zielsetzung von Macht-Konsolidierung und Beherrschung der Gesellschaft als auch im Kontext der Kirchenpolitik.

Einigen Themen kommt in dieser sehr ausführlichen Abhandlung besonderes Gewicht zu. Zum Beispiel untersucht der Autor gründlich die Rolle der Akteure im politischen Prozess, besonders die Konflikte zwischen dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (MHF) und dem Staatssekretariat für Kirchenfragen bzw. dem Zentralkomitee der SED. Bei einigen Fragestellungen, wie der Berufung und Förderung von Professoren sowie der Wehrpflicht von Theologiestudenten, kommt er zu dem Schluss, dass der Staat oft nicht monolithisch agierte. Besonders interessant ist seine Periodisierung auf Grund des Einflusses von bestimmten Behörden. So ist z. B. während der Jahre 1958 bis 1965 eine Vormachtstellung des MHF auszumachen - durch die Doppelrolle von Friederun Fessen, die im MHF verantwortlich für Theologie war und gleichzeitig als IM "Irene" vom MfS gesteuert wurde. Nach ihrem Ausscheiden aus diesem Amt gewann auf Grund der engen Kontakte zu ihrem Nachfolger die CDU stärkeren Einfluss.

Der Autor untersucht zweitens ebenso intensiv die Fronten innerhalb der Theologischen Fakultäten. Zum Beispiel behandelt er ausführlich die legendären Kämpfe zwischen der CDU-Fraktion und derjenigen um Hanfried Müller in der Berliner Fakultät. Viel Beachtung schenkt er den theologischen Unterschieden, die oft diese Streitigkeiten untermauerten, die manchmal auch quer zu den Fronten liefen. Gut dokumentiert sind die oft bösen Versuche, die Berufung mancher Professoren zu verhindern oder, wie mehrmals in Leipzig erfolgt, Berufungen von Personen, die jeder Staatsnähe unverdächtig waren, an Berufungen von Vertretern des staatsnahen Lagers zu koppeln, um so eine gewisse Parität herzustellen.

Ein drittes Thema sind die Versuche des Staatssicherheitsdienstes, die Theologischen Fakultäten zu unterwandern. Der Autor zeigt, dass die Stasi unter jungen ehrgeizigen Studenten (z. B. Leipziger FDJler) und denjenigen mit Karriereressentiments (z. B. in Halle) gute Erfolge erzielen konnte. Es gab keinen Mangel an Professoren, die bereit waren, mit dem MfS zusammenzuarbeiten, obwohl die Asymmetrie zwischen den stark durchsetzten Fakultäten Berlin/Leipzig und den anderen vier Fakultäten merkwürdig ist. Trotzdem lehnt der Autor die Interpretation von Besier ab, der u. a. behauptet, dass die Theologischen Fakultäten in sehr großem Umfang von der Stasi unterwandert und instrumentalisiert worden seien. "Auch wenn das MfS allzeit über die Situation informiert war, ist es ... natürlich außerordentlich fragwürdig, ob die Förderung von Theologen wie Fritzsche durch die Regierung langfristig und effektiv zu dem Staatsziel beitragen konnte, eine ,fortschrittliche' Theologengeneration zu erziehen" (407-408). Um seinen Standpunkt zu stärken, unterstreicht er die wechselnden Beurteilungen der Professoren seitens des Staates.

Viertens zeigt der Autor die Grenzen des staatlichen Spielraumes auf, die s. E. hauptsächlich den Alternativen zur staatlichen Theologenausbildung in der DDR zu danken sind. Die Tatsache, dass Professoren - bis zum Mauerbau 1961 auch Studenten - westdeutsche Fakultäten wählen konnten, sofern sie dorthin einen Ruf erhielten, hatte den Spielraum des Staates sowieso begrenzt. Und nach 1961 stellten die kircheneigenen Ausbildungsstätten eine Alternative dar. So gab es zum Beispiel für die Theologiestudenten jahrelang eine Ausnahmeregelung, die sie vom "Zivildienst" (mit Waffe) befreite; als der Staat in den 60er Jahren versuchte, sie wie alle anderen Studenten zum Dienst mit der Waffe zu ziehen, verloren die staatlichen Fakultäten viele Studenten an die kirchlichen Ausbildungsstätten, wodurch das staatliche Ziel, eine "fortschrittliche" Pfarrerschaft heranzuziehen, eher gefährdet als befördert wurde. Die oft misslungenen Versuche der FDJ, die Studenschaft zu organisieren, werden vom Autor ebenfalls beschrieben.

Der Autor zeichnet langfristige Entwicklungen der Staatspolitik auf. Nach einem milden Ansatz in den frühen Nachkriegsjahren folgte eine harte Politik in den 50er Jahren, als die SED an die Auflösung der Fakultäten gedacht und dann deren Gleichschaltung verfolgt hat. In den 60er Jahren wurde deren Existenz nicht mehr in Frage gestellt und der Staat versuchte, die Fakultäten zu nutzen, um Druck auf die politischen Entscheidungen der Kirchen hinsichtlich der Deutschlandfrage und Anerkennung des Sozialismus auszuüben. Dem Autor zufolge erzielte diese Politik eine gewisse Wirkung, die sich darin zeigt, dass in den 70er Jahren die Fakultäten einen uniformen Standpunkt von "politischer Parteinahme" bezogen hatten.

Zum Abschluss seien noch einige Kritikpunkte benannt. So wünschte sich der Leser, dass z. B. die Konturen der allgemeinen Kirchenpolitik, der Erosion der verfassungsmäßigen Rechte der Kirchen in den 50er Jahren und der Mitzenheim-Politik sowie der CDU in den 60er Jahren stärker hervorträten. Oft wirkt der Text wiederholend und allzu detailliert, was es dem Leser nicht leicht macht; eine bessere Redaktion, eine geschicktere Benutzung von Schriftgraden und effizientere Fußnotenapparate hätten den Text zugänglicher gemacht. Eine Zusammenfassung fehlt, was beim Leser den Eindruck erweckt, dass die Darstellung abrupt und ziemlich unerklärlich 1969 endet.

Trotz dieser eher technischen Kritik ist das Buch ein bedeutender Beitrag zur Literatur der DDR-Geschichte. Theologische Ausbildung stellte einen Knotenpunkt im Verhältnis zwischen Staat und Kirche dar, wichtig sowohl für die langfristigen institutionellen Interessen der Kirchen als auch für die Zielsetzung des Regimes in Blick auf die beabsichtigte gesellschaftliche Umwandlung. Mit Erfolg stellt der Autor seine Fragen im Kontext der Hochschulpolitik, der Deutschlandpolitik und der Politik der Staatsbürokratie. Er benutzt gleichzeitig die Archivquellen des Staates, der SED und des Staatssicherheitsdienstes. Seine Behandlung der Fragen ist nuanciert, besonders im Bezug auf die Probleme, die der Staat bei seinen Versuchen hatte, die Fakultäten zu unterwandern bzw. zu steuern. Das in den Zielen von einerseits Gleichschaltung und anderserseits Ausgrenzung der Kirchen steckende Dilemma der DDR-Politik tritt klar hervor. Die Fakultäten hatten Mittel, um mit dem Staat zu verhandeln oder Pläne zu verschieben, obwohl die Machtverhältnisse asymmetrisch waren. Gleichzeitig beleuchtet der Autor die verschiedenen Motivationen angepasster Professoren - Geiz, Machtorientierung, Streitsucht - Eigenschaften, die sie anfällig für Manipulation machten, aber auch ihre Zuverlässigkeit als Partner des Regimes beeinträchtigten.