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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

796 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Demandt, Johannes

Titel/Untertitel:

Johannes Daniel Falk. Sein Weg von Danzig über Halle nach Weimar (1768-1799).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 397 S., 2 Taf. gr.8= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 36. Lw. DM 98,-. ISBN 3-525-55820-1.

Rezensent:

Hanspeter Marti

Die Mainzer Dissertation von 1997, die der ersten Lebenshälfte des Danzigers Johannes Daniel Falk gewidmet ist, entspricht den Anforderungen einer auf solider Quellenbasis entstandenen historisch-biographischen Arbeit. Sie zeichnet Falks Jugend und Schulbesuch in Danzig, seine Studienzeit in Halle bis zur Heirat mit Caroline Rosenfeld und zur gemeinsamen Wohnsitznahme in Weimar minutiös nach. Falks Vita erfüllt sich für Demandt in der allmählichen, durch innere und äußere Faktoren begünstigten Verwirklichung der Existenz eines freien Schriftstellers im Wirkungsbereich der deutschen Klassik. Damit bekommt die biographische Beschreibung des individuellen Werdegangs zusätzlich den Charakter eines literatur- und sozialgeschichtlichen Paradigmas, das auch losgelöst von der germanistischen Interpretation des poetischen Werks interdisziplinäres Interesse weckt und verdient.

Johannes Daniel Falk wuchs in Danzig in einem pietistischen Elternhaus als Sohn eines reformierten Perückenmachers auf, der ihn zu handwerklichen Arbeiten heranzog und für Bildungsbedürfnisse wenig Verständnis zeigte. Im Danziger Pastor Samuel Ludwig Majewski fand Falk in frühen Jahren einen geistigen Mentor, der ihn mit dem Denken der Aufklärung vertraut machte und ihm ein Theologiestudium aufzunehmen nahelegte. Mit dem dann doch erwirkten Einverständnis der Eltern besuchte Falk als eifriger Schüler das Danziger akademische Gymnasium. Im Anschluss daran studierte er, unterstützt durch Stipendien von Danziger Gönnern, halbherzig in Halle Theologie. Seit jeher war er von seiner dichterischen Berufung überzeugt. Daher gab er wahrscheinlich im Frühsommer 1792 das Theologiestudium auf, nachdem ihn auch Majewski davor gewarnt hatte, ohne innere Überzeugung ein Pfarramt anzutreten. Im Studium der Philosophie beim Kantgegner Johann August Eberhard und beim Altertumswissenschaftler Friedrich August Wolf holte er sich das gelehrte Rüstzeug für sein schriftstellerisches Schaffen. Schon 1792 unternahm er eine erste Reise nach Weimar, wo er erstmals auch Schiller und Goethe persönlich kennenlernte. Ihrem Vorbild wollte Falk nacheifern. Wichtiger aber als die Begegnung mit den beiden Klassikern wurde für den Danziger die Freundschaft mit Wieland, der ihn in seinen dichterischen Bestrebungen förderte, ohne dass sich Falk vom berühmten Schriftsteller vereinnahmen ließ: "Man muß ... annehmen, daß Falks aufrechte Haltung Wieland Respekt abverlangt hat." (313) Johann Wilhelm Ludwig Gleim hatte Falk, der sich oft in Geldnot befand, materielle Unterstützung zu verdanken. Als Dichter verschrieb sich der Danziger der Satire (,Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satyre', erstmals erschienen 1796), einer Literaturgattung, die er unter anderem für die Kritik der Missstände an der Berliner Charité einsetzte, was ihm sowohl Ärger als auch Genugtuung einbrachte. 1797 heiratete Falk die Hallenserin Caroline Rosenfeld, die ihm treu zur Seite stand und insbesondere seine unkonventionellen Berufsabsichten unterstützte. 1798 lernte er Johann Gottfried Herder kennen, ein Kontakt, der sich bald zur familiären Freundschaft vertiefte. Diese Beziehung entfernte ihn nicht nur weiter von Kant, sondern brachte ihn auch auf Distanz zu Goethe und Schiller. In späteren Jahren zählte er wieder zum Vertrautenkreis Goethes.

D. schildert den Werdegang eines seiner Bestimmung zum Poeten folgenden Individuums, das sich aus Zwängen der Kindheit und Jugend zu befreien vermochte und in der angestrebten Schriftstellerexistenz die ersehnte Erfüllung fand. Der erste Lebensabschnitt des Literaten stellt sich in der Darstellung D.s- paradox ausgedrückt - als Resultat deterministischer Selbstverwirklichung dar, obwohl Falk dieses auf den Erfolg eines Entscheides aus freier Wahl zurückführt. Immer wieder weist D. auf Naturanlagen (z. B. das ,feurige Temperament', 105), Erbeinflüsse (z. B. das ,hugenottische Erbe', 19; 20) und äußere Lebensumstände (z. B. Weimar als Magnet, 311) hin, die Falk in die seinem Wesen adäquate Lebensrichtung führen: Den Protagonisten drängt es dorthin, wo er hin will. Er steht mit den lebensbestimmenden Kräften im Einklang. Die ontologischen Interpretamente - die so oder anders jede biographische Darstellung aufweist - treten aber in der auf sorgfältigen Quellenrecherchen beruhenden Arbeit in den Hintergrund. Die Monographie stellt eine wichtige Nebenfigur der Weimarer Zeit auch im alltagsgeschichtlichen Kontext (etwa 264 ff.) vor. Sie kann, gerade im Hinblick auf literarische Untersuchungen, als das grundlegende biographische Standardwerk gelten. Wie die erste Lebenshälfte Falks würde auch die zweite eine historisch aussagekräftige Monographie verdienen.

Es wäre zu fragen, ob das Verhältnis von Falks überwundenem Pietismus zur Aufklärung so antagonistisch gesehen werden darf, wie dies einige Stellen der Monographie (z. B. Epochenfolge, 78/79) nahelegen. In anderem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, welches die Autoren der im Danziger Gesangbuch von Marjewski enthaltenen 32 Lieder sind, die aus dem ,Zeitalter des Pietismus' (79) stammen.

Der Inhalt der Monographie wird durch vier Register (1. Personen; 2. Begriffe; 3. Orte; 4. Bibelstellen) erschlossen. Auch seien die ausführlichen Literaturverzeichnisse, insbesondere die Bibliographie der Werke Falks, erwähnt. Im Textanhang werden Extrakte aus den nur handschriftlich überlieferten Unterredungen Falks mit Pastor Majewski sowie der wahrscheinlich an den Danziger Bürgermeister Eduard Friedrich Freiherrn von Conradi gerichtete, lateinsprachige Lebenslauf Falks (1795) ediert.

D.s biographische Darstellung kann nicht nur den am Leben Johann Daniel Falks Interessierten, sondern einem breiteren wissenschaftlichen Publikum empfohlen werden. Man erhält im vorliegenden Buch wichtige Informationen über Bildungsstätten und -einflüsse, von denen Generationen prägende Wirkungen ausgingen. Und auf die literarischen Größen der Weimarer Klassik fällt neues Licht aus einer nicht alltäglichen Perspektive.