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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

783–788

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Brandmüller, Walter

Titel/Untertitel:

Das Konzil von Konstanz 1414-1418. I: Bis zur Abreise Sigismunds nach Narbonne.

Verlag:

2., überarb. u. erw. Aufl. XXIX, 432 S. 1999. Lw. DM 168,-. ISBN 3-506-74698-7; II: Bis zum Konzilsende. XIII, 458 S. 1997. Lw. DM 156,-. ISBN 3-506-74691-X. Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh. gr.8 = Konziliengeschichte, Reihe A.

Rezensent:

Hans Georg Thümmel

Der Vf. hat innerhalb der von ihm herausgegebenen Konziliengeschichte die riesige Aufgabe übernommen, das Konstanzer Konzil darzustellen.1 Er hat eine umfängliche, an den Quellen orientierte, gelehrte Darstellung geliefert. Sie schließt sich anderen seiner Arbeiten, besonders einer Darstellung des Konzils Pavia-Siena, an. Als Quellen hat B. nicht nur die edierten Acta Concilii Constanciensis, Mansi u. a. Sammlungen benutzt. Vielmehr hat er durch ein umfangreiches und intensives Aktenstudium besonders in italienischen und spanischen Archiven eine Fülle von Quellen erschlossen, die bisher kaum herangezogen wurden. Als souveräner Kenner bewegt er sich mit Sicherheit in allen Details der Kanonistik, der hierarchischen Strukturen, der Liturgiegeschichte, der Diplomatik, des Zeremoniells und Protokolls, so dass es jedem nicht in gleicher Weise mit diesen Materien Befassten schwer wird, Kritik zu üben. Dazu beweist er ein gutes Gespür für Konstellationen in den Machtverhältnissen und der Diplomatie und hat immer den allgemeinen historischen Kontext im Auge. B. weiß immer, wo er sich befindet und mit wem er es zu tun hat. Und die Fülle des dargelegten Aktenmaterials betrifft nicht nur die Aktionen in Konstanz selber, sondern auch die auswärtigen diplomatischen Missionen. Die Darstellung der Verhandlungen mit den Spaniern ist ein Meisterstück. Obwohl jede Situation und jedes Dokument ausführlich diskutiert werden, ist eine lebendige, ja spannende Darstellung entstanden.

Der 1. Band schildert - ohne dass das hier im Detail nachgezeichnet werden könnte - zunächst die Vorgeschichte und den Beginn des Konzils, und dann vor allem die tragische Geschichte Johannes XXIII., der als Pisaner Papst (oder nach B.: als Papst mit der größten Obödienz) Legitimität beanspruchen konnte und das Konzil leitete, dem aber dann der Prozess gemacht wurde, weiterhin den Rücktritt Gregors XII., den Prozess gegen Jan Hus und seine Hinrichtung und die Auseinandersetzungen über den Tyrannenmord. Der Band schließt mit einer Übersicht über die Organe des papstlosen Konzils und mit Gersons Vorstellungen zur Überordnung des Konzils über den Papst.

Der 2. Band führt die brisanten Themen des 1. weiter. Geschildert wird, wie die Spanier aus der Obödienz Bene- dikts XIII. in den Capitula Narbonensia gewonnen werden konnten- was nicht hinderte, dass die Spanier bis zum Schluss des Konzils immer wieder Schwierigkeiten machten -, der Fall des Hieronymus von Prag, seine Hinrichtung und die damit zusammenhängenden Fragen, der Streit zwischen Deutschem Orden und Polen und andere Dauerprobleme, hinter denen meist politische Interessengegensätze standen. Ein eher grundsätzliches Problem bildete der Versuch einer Union mit den Griechen. Wichtigster Gegenstand war die Wiederherstellung der Einheit der Kirche durch die Wahl eines neuen Papstes, Martins V. Darin muss der eigentliche Erfolg des Konzils gesehen werden.

Ein solch monumentales Werk, über einen längeren Zeitraum entstanden, zeigt auch das Ringen des Vf.s mit den Problemen und enthält natürlich auch Aussagen, die als widersprüchlich angesehen werden können. B. bringt seine eigene Sicht der Dinge ein. Aber er ist ein gewissenhafter Historiker. Und wer eine andere Sicht hat, wird das beste Arsenal für seine Argumente bei ihm finden.

B. hat auf einige Rezensenten des 1. Bandes im Vorwort des 2. Bandes Bezug genommen (II, S. X f.). Dabei geht es auch um den Vorwurf, die Darstellung sei von einem "katholischen Standpunkt" aus erfolgt, und B. antwortet darauf, dass nur ein solcher sachgerecht sei, und dass dieser Standpunkt von damals "in seinen wesentlichen Elementen mit dem der katholischen Kirche von heute identisch ist". Ich denke, die Probleme sind komplizierter, insofern doch wohl auf dem Konzil verschiedene Konzeptionen dessen, was damals als "katholisch" gelten konnte, zum Ausdruck kommen. Und wenn ich richtig gelesen habe, finden sich auch bei B. Brüche im Verständnis und in der Bewertung, die dann ihrerseits nicht nur die Komplexität der Problematik bezeugen, sondern auch, wie sehr B. bemüht ist, unbeschadet der eigenen Position an den Quellen zu bleiben.

Die Rezension muss sich auf einige Punkte konzentrieren. Eine wichtige Weichenstellung erfolgt darin, dass B. sich für die "italienische" Sicht entscheidet (I, 15 f.). Dies bedeutet auch eine Frontstellung gegen die "Ultramontani", und eigentliche Negativgestalt ist Sigismund. So bleiben auch die gegen ihn vorgetragenen Vorwürfe stehen (I, 175 f. [173 f.]), während die Vorwürfe gegen andere, etwa Joh. XXIII., als Verleumdung entkräftet werden (I, 196 [194], doch vgl. 297: hat "den sittlich-religiösen Anforderungen ... nicht entsprochen", was in der 2. Aufl. auf S. 296 durch "in seinem Vorleben" gemildert wird). Als Ende 1414 Sigismund das allen Teilnehmern zugesagte freie Geleit in einem Falle bricht, ist das Zeugnis für seinen schlechten Charakter (I, 180 [178]), als Hus gegen den von Sigismund ausgestellten Geleitbrief und gegen die mündliche Zusage Johannes' XXIII. gefangengenommen wird, bleibt dies unkommentiert stehen (I, 327.329 [328.330], doch vgl. 357 [361]). Wenn Sigismund immer wieder mangelnder Realitätssinn vorgeworfen wird (z. B. I, 125 [124]), so scheint doch der Erfolg, den er letztlich hatte, dem zu widersprechen. Sigismund bleibt der unbeherrschte Rüpel und Schurke bis zum fast allerletzten Akt des Konzils, in dem der Papst die Teilnehmer durch Anschlag ermahnt, ihre Schulden bei Wirten, Handwerkern und Geschäftsleuten zu bezahlen, was aber Sigismund prompt vergisst (II, 414). Johannes XXIII. erscheint als der rechtmäßige Papst (vgl. I, 57.215 [57.213 f.]), und eigentlich erstaunt es, dass dies später auch durch B. in Frage gestellt wird (I, 249. 300f. [247f.299]). D'Ailly ist (mit Sigismund) derjenige, der schnell erkennt, dass die Fortführung von Pisa zu keinem Ergebnis führt und deswegen auf den Rücktritt aller drei Päpste hinarbeitet, wobei das vom weltlichen Herrscher geleitete Konzil über den Päpsten stehen müsse (I, 168 f.172.183 [166 f.170.181]), was auch weitverbreiteter Meinung entsprach (I, 184 f. [183]). Nach B. hat Johannes das Konzil einberufen und zunächst geleitet (am 30. Oktober erging die allgemeine Einladung durch Sigismund, vom 9. Dezember datiert die Einberufungsbulle des Papstes). Aber es gab eine Tradition der Einberufung von Konzilien durch den Kaiser, die auch noch 1413 lebendig war und in Konstanz geltend gemacht wurde (I, 117.187 [116.185]), und es gab die Vorstellung, dass der Papst auch kein Recht habe, dem Konzil zu präsidieren (I, 213 [211f.]). Letztendlich waren es drei, die das Konzil "machten": Fillastre, der Stratege, d'Ailly, der Intellektuelle und elastische Theologe und Sigismund als Exekutor (I, 189 [187]).

Die Doppelbödigkeit, die B. im Konzil findet, prägt auch seine Einschätzung: Eigentlich ist ein Konzil eine vom Papst einberufene Versammlung der Bischöfe. Da es keinen zweifelsfreien Papst gab, war das pragmatische Verfahren angemessen und führte zu gültigen Ergebnissen. Pragmatisch ist aber dann auch die Abstimmung nach Nationen, innerhalb deren dann auch Theologen, Kanonisten u. a. ein Stimmrecht hatten (I, 204-210 [201-208]). Als pragmatisch und situationsbezogen wird auch das Dekret Haec sancta interpretiert, das das Selbstverständnis des Konzils zum Ausdruck bringt (I, 250-259 [248-257]). Freilich huldigte eine der einflussreichsten Gruppen innerhalb des Konzils einer korporationsrechtlichen Ekklesiologie (I, 263 f. [261 f.]), und B. findet immer wieder bei den Konzilsvätern eine fragwürdige Ekklesiologie, die sich nicht nur in den Vorstellungen vom Konzil auswirkt und die sie in fatale Nähe zu dem von ihnen verurteilten Hus bringt (I, 192.358 f. [189f. 363]).

Hus war für B. ein Häretiker, und er begründet dies in längeren Ausführungen (I, 331.354-356 [332 f.357-360]). In den ausführlichen Materialien aber, die er über das Verfahren mitteilt, betont Hus bis ans Ende immer wieder, er habe die ihm vom Konzil zur Last gelegten Irrlehren nie vertreten (I, 339-353 [341-356]). B. sieht in dem Drängen des Konzils auf Abschwören das Bemühen, ihn zu retten (I, 342.348 f. [344 f. 351]), und wenn Hus sich einem Abschwören dessen, was er nie vertreten hat, widersetzt, kann das nur Verstocktheit sein (I, 341 [344]). Die eigentliche Häresie ist ohnehin die Unbelehrbarkeit (I, 356 [360]). Wenn B. feststellt "Und das war nun wirklich keine Zumutung, er solle als falsch erklären, was man ihm fälschlich zur Last gelegt hatte!" (I, 342 [345]), so kann ich ihm darin nicht folgen. Abgesehen davon, dass Hus dauernd solche Erklärungen abgegeben hat, hätte ihn ein Abschwören zu einem (reuigen) Ketzer gemacht und seine Anhänger, die ja noch nicht abgeschworen hatten, wären durch ihn zu Häretikern erklärt worden. Anscheinend liegt hier das eigentliche Problem: Es ging gar nicht um die Häresie oder Rechtgläubigkeit von Hus, sondern um die religiösen Unruhen in Böhmen, deren man auf diesem Wege Herr zu werden versuchte (vgl. I, 358 [362]). Da diese weithin von reformerischem Wollen getragen waren, wäre eine Behandlung der Probleme unter der Überschrift "Reformatio in capite et membris" sinnvoller gewesen, denn als "Causa fidei". Dass Hus ein "ethischer Rigorist" ist, zählt B. zu den negativen Eigenschaften (I, 356 [360]). Wenn auch die Frage des Laienkelches mit der Frage des Priestertums in Verbindung gebracht (I, 363 [367]) und immer wieder auch auf die wyclifitische Frage rekurriert wird, ob unwürdige Priester gültig Sakramente spenden können, dann geht es - unabhängig davon, was an den Vorwürfen wahr ist - ja nicht um Einzelfälle, für die das natürlich stimmt, sondern darum, dass sich das Volk weithin einem unwürdigen Klerus ausgeliefert sah (vgl. I, 156 [154]).

Auch das Verfahren gegen Hieronymus von Prag war in den Augen B.s rechtmäßig. Dabei stellt es doch seine Einschätzung des Verfahrens gegen Hus in Frage. Hieronymus hatte das geleistet, was B. Hus vorwirft, nicht getan zu haben, nämlich widerrufen, mit dem Erfolg, dass neue Richter bestellt wurden, die die Aufrichtigkeit des Widerrufs bezweifelten und erneut Häresie vorwarfen. Auch jetzt bestritt Hieronymus die Vorwürfe (II, 127 Anm. 283) und nahm, als er sah, dass man ihn doch verbrennen werde, seinen Widerruf zurück. Auch in dem von B. beigebrachten Material ist - wie in dem Verfahren gegen Hus - im Verfahren gegen Hieronymus vom Konzil keine Irrlehre als solche benannt worden, zu der sich Hieronymus bekannt hätte. Dafür treten der schlechte Charakter, die politischen Verhältnisse, Disziplinarfragen etc. ein. Wenn Hieronymus sich unterwirft und widerruft, aber danach Sätze zusammengestellt werden, zu denen er sich nicht bekennt, dann vermag ich rein formal, ohne über den Inhalt dessen, was häretisch sein soll, diskutieren zu wollen, nicht das Verfahren gegen einen Häretiker erkennen, sondern nur den unbedingten Willen, ihn zu verbrennen, um dadurch in der böhmischen Frage weiterzukommen. Freilich leuchtet dann auch die Logik des Konzils nicht mehr ein: Hatte man Hus aus diesem Grunde zum Widerruf bewegen wollen, so begnügte man sich bei Hieronymus mit dem Widerruf nicht. Hatte das Verbrennen von Hus die Unruhe in Böhmen geschürt, so erfuhr dies noch einmal eine Steigerung durch das Verbrennen des Hieronymus.

Was als konkrete Häresie blieb, war die Forderung des Laienkelches. B. sieht hierin "Biblizismus" wirksam (I, 360 [364]), letztlich setze doch die kirchliche Praxis Recht, und Widerstand gegen die Praxis ist Ungehorsam gegen die Kirche und Häresie. Dagegen ist zu sagen, dass es bei Hus wohl auch nicht um die "Leugnung des inkarnatorischen Wesens der Kirche" (II, 426) ging, sondern eher um die Weigerung, den sichtbaren Leib der Kirche unmittelbar mit einer reformbedürftigen Hierarchie gleichzusetzen. Letzteres aber erkannten Konzil und Papst auch an, indem sie über die Reform des Klerus etc. sprachen. Hus hatte doch nicht so viele Anhänger, weil er den Kelch an die Laien spendete. Vielmehr war dessen Verweigerung den Hussiten der offenkundige Beweis, dass die offizielle Kirche von den Worten Christi abgewichen war. Dem Satz "Wahre Reform ... hätte es zudem vermocht, dem hussitischen Protest den Boden zu entziehen" (II, 428) ist nur zuzustimmen.

Wie bereits deutlich geworden sein mag, fehlt ein Faktor fast ganz, die konkreten Verhältnisse, und das heißt: die Reformbedürftigkeit der Kirche. Sie wird eindrücklich in dem von der Germanica vorgelegten Lasterkatalog bestätigt (II, 317 f.), der sich wesentlich auf den weltlichen Besitzstand der Kirche und das ganze Wesen von Ämtervergaben, Benefizien, Abgaben, Gebühren, Ablässen etc. bezieht. Hier konnte sich ja auch kaum etwas ändern, weil die Konzilsväter von den Regelungen im Einzelnen unmittelbar betroffen waren. Gelegentlich begegnet ein verbrecherischer Bischof (II, 65, vgl. I, 156). Und so will B. zwar einen Zusammenhang zwischen der Häresie von Hus und der von Luther sehen, aber doch keinen im Drängen auf die nötige Reform des konkreten Kirchenwesens (II, 427).

Dass das Konzil nach herkömmlichen Vorstellungen auf einen Papst hinarbeitete, der dann auch (gegenüber den drei zuvor amtierenden Päpsten) die Einheit der Kirche repräsentierte, scheint genauso selbstverständlich wie der Wunsch, einen Kontrollmechanismus einzubauen, der das Nebeneinander mehrerer Päpste und die Spaltung der Kirche in Zukunft verhinderte. Und dieser Mechanismus war das Konzil.

B. interpretiert "Frequens" in dem Sinne, dass nur sede vacante das Konzil oberste Kirchengewalt (und einen Sinn) habe, muss aber dann erklären, warum periodische Konzilien vorgesehen wurden. Wenn die Konzilsväter glaubten, dadurch auch sede non vacante die Reform sichern zu können, unterlagen sie - so B. - eigentlich einer Illusion in Bezug auf die Sündlichkeit der menschlichen Natur (II, 353 f.). Und wenn keiner geahnt haben soll, dass "neuer Zündstoff angehäuft" wurde (II, 355), so ist eher zu fragen, ob nicht alle genau das befürchteten und dagegen Sicherungen einzubauen versuchten. - So ist "Frequens" zusammen mit "Haec sancta" nicht die Magna Charta des Konziliarismus, vielmehr dient Letzteres dem Ziel, die Kirche wieder unter einem Haupt zu einen (II, 349). Freilich war der kongregationalistische Kirchengedanke in jener Zeit stärker, als es B. meist wahrhaben will. So stellt er ja auch selber fest, dass die Konzilsväter ihm weithin anhingen. Es gab "einflußreiche Kreise des Konzils" mit einem "korporationsrechtlichen Kirchenbild" (II, 352) und Gerson und d'Ailly haben das Konzil mit einem Parlament verglichen (II, 353 Anm. 118), das natürlich nicht das des 19. Jh.s war.

Am Schluss bewegt B. die Frage, ob das Konzil ein "allgemeines" genannt werden könne, und er kommt zu einem "partim- partim". Die Einschränkungen gelten freilich für Dekrete, deren Gültigkeit bestritten werden kann. Dass das Konzil nicht allgemein sein könne, weil die "Griechen", d. h. die Orthodoxen, mit denen eine Union angestrebt wurde, nicht unterschrieben, ist nicht im Blick. Sie galten als "kranke Brüder", denen nur eine Heilung, sprich: Belehrung durch Rom, helfen könne (II, 401-405). Die Orthodoxen dagegen hatten eher die Vorstellung einer Einigung von gleichrangigen Partnern (II, 407). Dass übrigens auch sie die Communio sub utraque reichten, scheinen die Konzilsväter gar nicht bemerkt zu haben. Jedenfalls begegnet das nicht unter den Irrlehren.

Auch Sigismund wird am Ende doch noch eine Würdigung seiner Verdienste um das Konzil und die Einheit der Kirche zuteil (II, 433 f.), die man von den bisherigen Darlegungen her so nicht erwartet hätte. Auch die Universität erhält am Ende eine Würdigung wie zuvor im ganzen Werk nicht. Waren ihre Angehörigen zuvor eigentlich die unbefugten Laien, die sich Rechte anmaßten, so erscheinen sie jetzt als die geistige Elite (II, 434).

Beurteilt man das Konzil, dann kann man feststellen, dass es nicht eigentlich ein Reformkonzil war, sondern die Einheit der Kirche wiederherstellte, und dann kann man es als einen Erfolg werten (II, 434). Beurteilt man aber die Situation der Kirche, die nach Reform schrie, dann blieb Wesentliches unerledigt.

Mir scheint, diesem Werk liegen zwei Glaubenssätze als Prämissen zugrunde: Die Kirche ist unfehlbar, und Die Kirche ist sichtbar. Auch wer beidem zustimmt, wird beide Sätze nicht zu schnell verbinden wollen. Man wird doch das Allzumenschliche auch in der Kirchengeschichte nicht übersehen dürfen. Für Augustin war der in der Schar der Zwölf geduldete Judas das klassische Beispiel dafür, dass erst der Weltenrichter die reine Kirche herstellt.

Was bleibt, ist ein zwiespältiger Eindruck. Das Konzil ist rechtmäßig, weil durch den Papst einberufen, der aber dann auch nicht zweifelsfrei legitimiert ist. Die das Konzil durchführen, sind es eigentlich auch nicht - Sigismund, die Nationes, Gerson, am ehesten noch Zabarella und d'Ailly als Kardinäle. Die Konzilsväter sind zum großen Teil (als Konziliaristen) eigentlich Häretiker. Aber das Konzil muss rechtmäßig sein, da es die Unio vollzogen hat. Wenn letztlich ein notwendiger Pragmatismus übrigbleibt, dann doch auch die Frage, ob alles vom Konzil Getane gerechtfertigt werden muss, d. h. ob nicht auch viele Entscheidungen und Maßnahmen als pragmatisch in ihrer Gültigkeit relativiert werden können.

Letztlich ist diese großartige Darstellung von Historie auch ein eindrucksvolles Zeugnis für das Bestreben, nicht nur die Kirche als eine zu glauben, sondern auch über den Wandel der Zeiten hinweg die Elemente ihrer Identität aufzuweisen, ein Zeugnis, das auch den beeindruckt, der die Identitäten anders bestimmt.

Fussnoten:

1) Als die Rezension bereits fertig war, zeichnete sich ab, dass der 1. Band in überarbeiteter 2. Auflage erscheinen würde. Da schien es angezeigt, zu warten und auch diesen Band mit einzubeziehen. Die Änderungen betreffen vor allem Johannes XXIII. und Hus. Da jedoch die Grundlinien gleichgeblieben sind, konnte ich mich darauf beschränken, die Seitenzahlen der 2. Auflage in eckigen Klammern beizugeben.