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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

778 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Nicodème: L'Évangile de Nicodème ou Les Actes faits sous Ponce Pilate (recension latine A) suivi de La lettre de Pilate à l'empereur Claude. Intr. et notes par R. Gounelle et Z. Izydorczyk. Trad. par R. Gounelle, à partir d'un texte mis au point par Z. Izydorczyk.

Verlag:

Turnhout: Brepols 1997. 271 S. 8 = Apocryphes, 9. ISBN 2-503-50581-3.

Rezensent:

René Kieffer

Der Text des Nikodemusevangeliums, der hier übersetzt und kommentiert wird, ist der der lateinischen A-Rezension, die von H. C. Kim im Jahre 1973 veröffentlicht wurde - auf Grund der Handschrift Einsiedeln 326 vom zehnten Jahrhundert und verbessert an Hand von Oxford, Bodleian Library, Laud. misc. 79 vom zwölften Jahrhundert. Z. Izydorczyk hat diesen rekonstruierten Text an einigen Stellen mit Hilfe von dreißig älteren Handschriften korrigiert.

Wie bekannt nennt Tertullian im 5. und 21. Kapitel seines Apologeticums eine apokryphe christliche Pilatusschrift, die mit den Pilatusakten und dem späteren Nikodemusevangelium in Beziehung gestanden haben muss. Schon Gregorius von Tours (540-594) kommentierte einen längeren Auszug aus dem Nikodemusevangelium mit den Worten: "Fakta und Gesta des Pilatus an den Kaiser Tiberius" (Hist. Franc. I,21,24). Im Mittelalter hat man die Auktorität des Nikodemus durch die des Pontius Pilatus ersetzt. Darum können die lateinischen Fassungen als Nikodemusevangelium oder als Pilatusakten bezeichnet werden.

Der vorliegende mittelalterliche Text umfasst drei Teile: Den Prozess gegen Jesus (Kapitel 1-11), die Abenteuer des Josef aus Arimathäa (Kapitel 12-16) und die Höllenfahrt Christi (Kapitel 17-27). Dieser Teil, der die knappe Information in 1Petr 3,18 f. erweitert, hat, wie bekannt, auf die christliche Ikonographie einen starken Einfluss ausgeübt.

Da der Text des Nikodemusevangeliums, resp. der Pilatusakten in verschiedenen Übersetzungen und Fassungen vorliegt, wird er gewöhnlich in einer eklektischen Form wiedergegeben, z. B. für den Teil über Pilatus und Josef die älteste griechische Rezension, für die Höllenfahrt Christi eine der vier lateinischen Fassungen. Das ist natürlich ein Kompromiss, der einen Textkritiker nicht befriedigen kann.

Die französischen Übersetzer wählen eine einheitliche Lösung: Sie halten sich an eine der vier lateinischen Fassungen und erlauben es uns so, die Gestalt eines mittelalterlichen Textes konkret zu erfassen. Sie kommentieren den vorliegenden Text knapp mit Hilfe der kanonischen Evangelien und anderen Schriftstellen. Sie führen den Leser in die komplexe Geschichte des Nikodemusevangeliums ein. Man hätte hier gewünscht, eine genauere Beschreibung auch des Inhaltes der verschiedenen Fassungen zu erhalten, von dem ältesten griechischen Text und der ersten lateinischen Übersetzung zu den zwei koptischen, der armenischen, der georgischen, der syrischen und den verschiedenen slawischen Übersetzungen. Natürlich setzen sprachliche Schwierigkeiten eine Grenze für das, was zwei Forscher beschreiben können. - Die Wiedergabe der rekonstruierten Form der lateinischen A Rezension in demselben Buch hätte dem Leser ermöglicht, die Genauigkeit der französischen Übersetzung zu überprüfen, aber dieses hätte das Pocketbuch wesentlich verteuert.

Von den drei Beilagen ist die dritte, eine Übersetzung des fragmentarischen lateinischen Palimpsests, besonders ergiebig. Die neue Nummerierung, die die Verfasser eingeführt haben, wird in der zweiten Beilage besprochen. Die erste Beilage nennt verschiedene Namen, unter denen unserere Schrift im Mittelalter erhalten ist: Euangelium Nicodemi, Gesta Pilati (= Kap. 1-16) und Descensus Christi ad Inferos (= Kap. 17-24); Gesta Saluatoris; Acta Pilati. Eine Bibliographie und drei Indizes sind auch dem Leser hilfreich. Alles in allem liegt ein ein verlässliches populärwissenschaftliches Buch vor.