Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

756–759

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Konradt, Matthias

Titel/Untertitel:

Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 406 S. gr.8 = Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 22. Geb. DM 158,-. ISBN 3-525-53376-4.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Nachdem der Jakobusbrief in jüngerer Zeit Gegenstand einer ganzen Reihe neuerer Monographien zu verschiedenen Einzelaspekten geworden ist (allein aus den 90er Jahren seien genannt: M. Tsuji, 1997; T. C. Penner, 1996; M. Ahrens, 1995; W. R. Baker, 1995; M. Klein, 1995; M. Ludwig, 1994; T. B. Cargal, 1993; P. J. Hartin, 1991), widmet sich die unter Christoph Burchard erarbeitete Heidelberger Dissertation von Matthias Konradt erstmals dem systematischen Aufweis der theologischen Konzeption des Briefes. Dass dieser als in sich kohärenter Text mit gezielt gestaltetem Aufbau und konsistenter Aussageabsicht zu lesen sei, kann der Vf. im Unterschied zur älteren Forschung, aber mit den neueren Kommentaren, schon als weitgehend anerkannte Forschungsmeinung voraussetzen. Dass diese Sprachgestalt auch einer geschlossenen theologischen Konzeption Ausdruck verleiht, die in ihrem eigenen Recht, und d. h., zunächst unabhängig von textexternen theologischen Vorgaben zu würdigen ist, dies zu zeigen ist das Anliegen der vorliegenden Untersuchung.

Schon der Aufbau der Arbeit lässt den systematischen Ansatz gut erkennen. Auf eine knappe Einleitung (Kap. I, 11-39) mit Hinweisen zur Methodik, zur Gliederung (s. dazu auch Anhang 1: Überblick über die argumentative Struktur des Jak, 311-315), zur Forschungslage und zur Disposition der Untersuchung folgen acht thematische Kapitel. Sie schlagen einen Bogen von der soteriologischen Grundlegung christlicher Existenz über ihre Bewährung und Gestaltwerdung, ihr Tätigwerden und Gelingen bis hin zu ihrer Vervollkommnung und Vollendung im eschatologischen Gericht. Wer sich damit begnügen will, diesen Bogen von Ferne wahrzunehmen, dem mag der Schluss reichen (Kap. IX, 303-310), der dessen Konturen noch einmal knapp skizziert. Dass er aufgebaut ist aus zahllosen exegetischen Kieseln und manchen theologischen Brocken, erschließt sich nur dem, der zu unbefangenem Mitbauen Stein auf Stein bereit ist. Material und Handwerkszeug stehen in Fußnoten, Exkursen, der Bibliographie (339-390), dem Stellen- und Sachregister (391-406) reichlich bereit.

Kap. II (41-100) identifiziert in 1,18 im Kontext von 1,13-25, der Eröffnung des Briefkorpus, das soteriologische Fundament christlicher Existenz. Der Verweis auf die "Geburt durch das Wort der Wahrheit" wird auf das Christwerden als Konversionsgeschehen bezogen und als Bindeglied zwischen den Ermahnungen zum Standhalten in Versuchungen (V. 13-15) und zum Tun des Wortes (V. 19-25) verstanden. Traditionsgeschichtliche Analysen belegen zum einen Kontinuität zu frühjüdischen Konversionsaussagen, zum andern einen frühchristlichen "Bekenntniskonsens" (keine "Bekenntnisformel") zwi- schen Autor und Adressaten (44 f.). Unter Einbeziehung weiterer Stellen mit soteriologischem "Beiklang" (2,7.12; 4,5) sowie Untersuchungen zur Rolle der Begierde in der Konzeption des Jakobus (4,1-4), die jeweils wiederum traditionsgeschichtlich fest untermauert sind, ergibt sich: "Christlicher Lebenswandel ist ... durch die Einstiftung des wirkmächtigen Wortes grundlegend ermöglicht. ,Klassisch' formuliert: Der ,Imperativ' steht bei Jakobus im ,Indikativ'." (100)

In Kap. III (101-170) und IV (171-206) untersucht K. den materialen Gehalt der ethischen Forderung des Jak. Als zentrales Bezugsfeld ("ethisches Kardinalproblem", 306) der Paränese des Briefes erscheint die Reichtumsproblematik. Ein falsches Verhältnis zu materiellen Gütern und ein daraus resultierendes mangelhaftes Sozialverhalten gefährdet die ethische Integrität der Adressaten und damit gleichzeitig ihre christliche Existenz. Auch dieser Grundgedanke wird durch Verweis auf biblische, frühjüdische und frühchristliche Traditionen untermauert.

Schon in diesem Zusammenhang verweist K. auf die ÛÙÈ als "umfassende(r) Bezeichnung des Gottesverhältnisses des Menschen" (166), ein Glaubensverständnis, das der Jak mit weiten Teilen des Frühjudentums und des frühen Christentums teilt (und ihn vom spezifisch paulinischen unterscheidet). "Bei der Bewährung des Glaubens geht es danach erstens um das Bleiben in dem von Gott eröffneten Lebensverhältnis, und zweitens liegt dieses Bleiben ... nicht allein in der eigenen Kraft des Glaubenden beschlossen, sondern Christen können die ÂÈÚÛÌÔ bestehen, weil sie durch die Einstiftung des wirkmächtigen Wortes als Gegeninstanz zur âÈÌ dazu grundsätzlich befähigt wurden." (169) Ihre Gestalt findet solche christliche Existenz in der Annahme des Wortes als Hören und Tun. Sie wird geformt durch Forderungen der Tora mit dem Liebesgebot als Zentrum auf der Basis frühjüdischer katechismusartiger Toravergegenwärtigung (Exkurs: Das Liebesgebot in den TestXII, 179-184).

Erst danach kommt, seinem Platz im Textaufbau und in der theologischen Konzeption des Briefes entsprechend, der Abschnitt über Glaube und Werke (2,14-26) zur Geltung (Kap. V, 207-248). Er wendet sich nicht theoretisch reflektierend gegen eine angeblich oder tatsächlich paulinische Trennung von Glaube und Werken, sondern gegen die faktische Vernachlässigung von "Werken" bei den Adressaten (213, vgl. den Exkurs: Zur Frage des traditionsgeschichtlichen Verhältnisses von Jak 2,14-26 zur paulinischen Tradition, 241-246). Werke sind bei Jakobus weder Grund noch Folge der Rechtfertigung, sondern Bestandteil eines "vollendeten" Glaubens: "Jakobus stellt die Werke nicht neben den Glauben, sondern sieht sie in diesen integriert, eben als die den Glauben zu seiner Gänze bringende Größe." (232) Kurz und bündig liest man dazu am Schluss: "Das dogmatisch eingespielte Verstehensraster ,empfangender Glaube oder Werke als Leistung des Menschen' führt in beiden Elementen am Befund in Jak 2,14-26 vorbei." (308)

Drei kürzere Kapitel runden den Gang der Untersuchung ab. Kap. VI (249-265) setzt sich kritisch mit der These, Jak sei eine Weisheitsschrift, auseinander. Die Weisheit ist im Jak wie schon in der frühjüdischen Toraüberlieferung "in eine um die Tora zentrierte (Laien-) Frömmigkeit" eingebunden (265). Das verweist erneut auf traditionsgeschichtliche Prägung durch Bibel und Frühjudentum. Auch der Vollkommenheitsforderung (Kap. VII, 267-285) kommt zwar wesentliche, aber nicht grundlegende Bedeutung in der theologischen Konzeption des Jak zu. "Es geht bei der Vollkommenheit um ein Ideal, das die Adressaten anspornen soll, nicht um ethischen Rigorismus." (285) Schließlich stellt K. den eschatologischen Horizont der christlichen Existenz im Jak heraus (Kap. VIII, 287-302). Der Verweis auf das Gericht nach den Werken dient wie im Frühjudentum und u. a. auch bei Paulus der Unterstreichung der Paränese und zeugt damit keineswegs von einer Konzeption, nach welcher das gerechte Tun eschatologisches Heil erwerben könnte.

Die Textanalysen von K. sind durchgängig methodisch reflektiert, exegetisch informiert und theologisch engagiert. Besonders hervorzuheben sind die außerordentlich zahlreichen, immer strukturierten und dem Gang der Untersuchung zugeordneten traditionsgeschichtlichen Nachweise. Der Verfasser zeigt sich bestens vertraut mit der frühjüdischen Literatur und ihrer Erforschung wie mit dem Stand der neutestamentlichen Exegese außerhalb der Jakobusforschung bis hin zu den Apostolischen Vätern. Angenehm fällt die Unbefangenheit auf, von sorgfältig erhobenen Textbefunden her eingefahrene Interpretationsgeleise zu verlassen und eigene Wege zu suchen (übrigens auch gegenüber dem Doktorvater), ohne dabei das Untersuchungsziel aus dem Auge zu verlieren. Die traditionsgeschichtlichen Einordnungen und Bewertungen von Konzeptionen des Jak im Vergleich mit dem Alten Testament und dem Frühjudentum sind frei von dogmatischen Schablonen und haben gerade darin theologisches Gewicht.

Diskutieren würde ich gern weiter über die theologiegeschichtliche Einordnung des Briefes und seiner Adressaten (Anhang 2: Traditions- und theologiegeschichtliche Überlegungen zum historischen Ort des Jak, 317-338). K. entscheidet sich für die Pseudepigraphie-Hypothese und ordnet die Briefadressaten in einen primär heidenchristlichen Kontext ein. Eines seiner stärksten Argumente ist die traditionsgeschichtliche Verwandtschaft zum Matthäusevangelium und (besonders) zu Traditionen im 1. Petrusbrief, bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von spezifisch paulinischen Traditionen. Man kann freilich fragen, ob solche Querverbindungen nicht auch bei einer anderen Entscheidung in der Verfasserfrage denkbar wären. Dazu müssten die Personalüberlieferungen zu den jeweiligen Figuren des Urchristentums noch intensiver in die Untersuchung einbezogen werden. Das Fehlen sogen. "kultisch-ritueller" Toragebote in der Paränese kann jedenfalls schwerlich für heidenchristliches Milieu ins Feld geführt werden, da es ebensogut in frühjüdischen für die Diaspora bestimmten Werken nachweisbar ist. Das Präskript, nach welchem sich der Verfasser als "Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme in der Diaspora" wendet, scheint mir bei der Interpretation K.s noch unterbewertet.

Mögen manchem theologischen Zeitgenossen, besonders aus den nichtexegetischen Disziplinen, angesichts der theologischen Aufwertung des Jak die Haare zu Berge stehen und manche unserer exegetischen Väter sich angesichts seiner kohärenten theologischen Interpretation im Grabe wenden: Nach Meinung des Rez. handelt es sich bei der Untersuchung von K. um das exegetisch wie theologisch überzeugendste Buch aus der neueren Forschung zum Jakobusbrief.