Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

731–733

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Birch, Bruce C., Brueggemann, Walter, Fretheim, Terence E., and David L. Petersen

Titel/Untertitel:

A Theological Introduction to the Old Testament.

Verlag:

Nashville: Abingdon Press 1999. 475 S. gr.8. Kart. $ 40.00. ISBN 0-687-01348-8.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Wenn lutherische Alttestamentler in den USA, die auf der Höhe der Zeit sein wollen und ihre theologische Aufgabe ernstnehmen, eine Einleitung in das Alte Testament schreiben, dann sieht das Ergebnis wesentlich anders aus, als europäische historisch-kritische Forscher, die an die durch die Aufklärung (Eichhorn) geschaffene Gattung der Einleitung in das Alte oder Neue Testament denken, sich ein derartiges Handbuch vorstellen. Hierzulande ist man gewohnt, die Gattungen säuberlich zu scheiden: die sog. "Einleitung", deren Schwerpunkt gewöhnlich auf der Erklärung der Entstehung der einzelnen biblischen Bücher liegt, auch wenn traditionell Textgeschichte und Entstehung des Kanons ebenfalls zu ihren Aufgaben gehören, die Religionsgeschichte Israels und die alttestamentliche Theologie, die beide, wenn auch in verschiedener Weise, von den Ergebnissen der historisch-kritischen Exegese ausgehen.

Wer diesen Band aufschlägt, wird von dieser Trennung nichts spüren. Schon auf dem Deckel durch Rotdruck hervorgehoben, ist Ausgangspunkt des Werkes, dass es eine theologische Einleitung sein will. Deshalb handelt gleich das Kapitel 1 (17-34) über "The Old Testament as Theological Witness". Darin ist dann von Zugängen (approaches) zur alttestamentlichen Theologie, von Kanon und Schriftautorität die Rede, und unter dem Stichwort "continuity" lesen wir über den Zusammenhang innerhalb des Alten Testaments und zwischen Altem und Neuem Testament, der durch die Kontinuität Gottes und des Gottesvolkes gegeben ist (30-34). Wenn wir die Aufeinanderfolge der weiteren Kapitel in den Blick nehmen, fällt auf, dass sie der Reihenfolge der alttestamentlichen Texte nachgehen, beginnend mit Gen 1-11, dann weiterschreitend durch den Pentateuch zu den sog. "früheren Propheten" oder Geschichtsbüchern und weiter zu den eigentlich prophetischen Büchern und Weisheitsschriften (mit ausgewählten Psalmen), schließlich zu der spätnachexilischen Literatur. Was beabsichtigt ist, lässt sich mit dem Stichwort "adequate theological reading of the Old Testament" (29) umschreiben.

Es ist nicht so, dass die Verfasser. die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung leugneten; aber sie schreiten darüber hinaus zu einer (wenn auch nicht ausdrücklich so bezeichneten) "kanonischen" Exegese. Beispielsweise findet man zu Gen 1-2 die Bemerkung: "Many students of Gen 1-2 think that these chapters consist of two creation accounts, assigning 1:1-2:4a to the Priestly writer and 2:4b-25 to the Yahwist ... Yet, while the two accounts have different origins and transmission histories, they have been brougth together ... to function together as the canonical picture of creation" (46).

Das Gesamtbild, das so entsteht, wenn man das Buch als eine Religionsgeschichte Israels liest - was es in diesem objektivierenden Sinne nicht sein will, denn es gehört zur Gattung der nachkritischen Literatur - ist in gewissem Sinne äußerst konservativ: Die Geschichte beginnt mit der Schöpfung, geht dann weiter zu Vätergeschichte, Exodus, Wüstenwanderung und Landnahme usw. Der Blick auf die Quellen nimmt dagegen die kritischen Ergebnisse durchaus ernst: So wird die Endform des Tora-Kanons in das Exil des sechsten Jahrhunderts angesetzt und definiert als "a faith statement formulated and authorized by exilic Israel in order to sustain the exilic community" (178). Was die Landnahmeerzählungen angeht (bes. Jos und Ri), wird der ideologische Charakter derartiger Darstellungen hervorgehoben und ausdrücklich auf die Unsicherheit der verschiedenen modernen Landnahmehypothesen hingewiesen (181-190). Und zwischen dem theologischen Ideal von Jos 1, 7-8 und dem Eintritt in die Wirklichkeit klafft ein Spalt, der bei der Lektüre der Erzählungen nicht übersehen werden darf (180). Eine ausdrückliche Besinnung darüber, was in solchen Texten theologisch gelesen werden kann, was mehr ideologisch ist, und die daraus entstehenden Spannungen (190-197), verrät die hermeneutische Bemühung der Verfasser.

Dies und die jeweilige Unterteilung der Kapitel in "Key topics" und "Key texts" (letztere umfassen vielfach ganze Bücher) zeigt die pädagogische Bemühung, die dazu anleiten will, das Alte Testament in der rechten Weise theologisch zu lesen. Jedem Kapitel ist auch eine kurze Bibliographie angefügt.

Weder "Einleitung" in das Alte Testament, noch Geschichte oder Religionsgeschichte Israels, noch Theologie des Alten Testaments im klassischen Sinne - das Werk ist keins davon ausschließlich und doch in bestimmten Sinne alles zusammen. Aber wurde nicht bereits G. von Rad vorgeworfen, seine "Theologie" sei mehr eine Einleitung - und außerdem wurde sie mit einer Darstellung der Geschichte Israels begonnen? Es ist durchaus anzuerkennen, dass hier von Verfassern, die keineswegs Fundamentalisten sind, die theologische Aufgabe der Exegese ernstgenommen und ein Weg gezeigt wird, wie man durchaus zu einem "theologischen" Lesen des alttestamentlichen Kanons kommen kann, ohne die kritischen Ergebnisse der analytischen Exegese zu verleugnen. Wir werden jedenfalls auch unseren Studenten einen Weg dazu zeigen müssen, wenn wir unsere Aufgabe als theologische Lehrer nicht verleugnen wollen.