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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

720–722

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Seebaß, Gottfried]

Titel/Untertitel:

Die Reformation der Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge. Zum 60. Geburtstag des Autors hrsg. von I. Dingel unter Mitarb. von Ch. Kress.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 383 S. gr.8. Geb. DM 98,-. ISBN 3-525-58165-3.

Rezensent:

Andreas Gößner

Die Beiträge des von Irene Dingel herausgegebenen Sammelbandes stehen repräsentativ für die Forschungsschwerpunkte des Heidelberger Kirchenhistorikers Gottfried Seebaß. Die Auswahl von sechzehn Texten ist zweigeteilt in: "Beiträge zur Geschichte der Reformation" und "Beiträge zur Geschichte des ,Linken Flügels der Reformation'". Sie deckt damit ein großes und inhaltlich sehr heterogenes, aber vom Autor souverän beherrschtes Spektrum ab.

Die sieben Beiträge des ersten Teils widmen sich dem Vorgang der Durchsetzung der Reformation. Ausgehend von den Ansätzen evangelischer Bekenntnisbildung zeichnet S. dabei die Stationen nach, die für die Formulierung evangelischer Lehre zu diskursfähiger Schärfe einschlägig sind. S. arbeitet hierbei die allmähliche Tendenz von der Rechtfertigung reformatorischer Maßnahmen zur sich im Text verselbständigenden Entfaltung des Glaubens heraus. Dieses inhaltliche Moment und der Umstand des öffentlichen Bekenntnisaktes 1530 haben denn auch die Benennung des Augsburger Bekenntnisses als ,Confessio' gerechtfertigt. Dabei weist der Autor für diesen Prozess nachdrücklich auf die "beginnende Selbstbesinnung der Protestanten" (39) hin.

In den aus der Erfahrung des Konfliktes heraus entstandenen Bauernkriegsschriften Luthers thematisiert S. weiterhin die Wertung der Regelung des sozialen Zusammenlebens und damit des Amtes der Obrigkeit durch den Reformator. Luthers Leitaspekte waren hier die Orientierung am Gemeinnutzen sowie am Recht und die Pflege von Buße und Gebet, denn Gott allein - so zeigt die Textanalsye - garantiert "die soziale Ordnung in ihrem lebenserhaltenden Sinn" (56).

Vier Beiträge zu zwei großen süddeutschen Reichsstädten konkretisieren die vorangegangenen Ausführungen des Autors auf lokalhistorischer Ebene und führen sie weiter.

So zeigt S. am Beispiel Nürnbergs den Prozess von reichsstädtischer Reformation und die Motive der Konfessionalisierung, die sich an der Herstellung einheitlicher Predigt und der Schriftgemäßheit der Verkündigung orientierten. Am individuellen Beispiel von "Dürers Stellung in der reformatorischen Bewegung" (79-112) verdeutlicht er dann für den Zeitraum bis 1528 die Notwendigkeit präziser Differenzierungen bei Zuordnungen konfessioneller Art und stellt anhand von Dürers Haltung für diesen Zeitraum fest, "daß ein Leben in kirchlicher Tradition sich verträgt mit einem biblischen Humanismus erasmischer Prägung und daß von da aus der Schritt zu Luther, Zwingli, zur Bauernkriegsbewegung, zum Täufertum und Spiritualismus möglich war" (82). Ab 1525 verortet S. Dürers Gesinnung im Rahmen eines vermittelnden, an Melanchthon orientierten Humanismus.

Die Interdependenz von lokalen Bedingungen und dem Konfessionalisierungsprozess führt der Autor dann am Beispiel Augsburgs fort. Dorthin erstreckte sich die Tätigkeit des Straßburger Reformators Martin Bucer wiederholt bis zur Abfassung der Augsburger Kirchenordnung von 1537, die unter Bucers maßgeblichen Beteiligung entstand. Ihre Entstehung analysiert S. detailliert.

Die neun Beiträge des zweiten Teils zum "linken Flügel der Reformation" stellen verschiedene Formen dieser Erscheinung zusammen. Dabei wird die Differenz zu den Reformatoren in der Durchsetzung des Zieles, das wirkliche Christentum ohne Rücksicht auf die im Glauben Schwachen zu erneuern, deutlich herausgearbeitet. Die Voraussetzung für die Erreichung dieses Zieles ist nicht zuletzt ein in der Leidenserfahrung bewährtes Glaubensverständnis. Für das Verständnis eines Wegdriftens des "linken Flügels" in die Separation fächert S. das Thema in mehrere Problemkreise auf. Zwei große Linien sollen in dieser Rez. kurz referiert werden.

Eine erste Linie wird deutlich an den an einer apokalyptischen Selbst-, Gegenwarts- und Zukunftssicht orientierten Lehren Thomas Müntzers und des in der Nachfolge von Hans Hut stehenden Täufertums. Für Hut selbst hat S. die Verbindung und Abhängigkeiten zu Müntzer bereits in seiner Habilitationsschrift aufgezeigt. Die Grenzen einer Übereinstimmung von Huts Konzeption mit den Lehren anderer Täuferführer werden vom Autor allenthalben deutlich gemacht. Seine Wirksamkeit zeigt S. vor allem innerhalb des fränkischen Raumes.

Eine andere Linie verfolgt S. mit der Untersuchung von Verfahrensweisen mit Anhängern des "linken Flügels" durch die protestantischen Theologen und Obrigkeiten. Die Furcht vor Aufruhr war dabei neben dem Vorwurf unberufener Predigt und blasphemischem Auftreten das Hauptmotiv der Täuferverfolgung. Dass der Aufruhrvorwurf nicht von der Hand zu weisen war, kann S. in diesem Zusammenhang an der Plausibilität der Leidenstheologie Huts für diejenigen, die am Bauernkrieg teilnahmen, rekonstruieren. Im Rahmen der Voten der Wittenberger Reformatoren und weiterer protestantischer Theologen vertrat jedoch Johannes Brenz in mehreren Gutachten mit der strikten Verurteilung der Todesstrafe für Täufer eine beachtliche Eigenständigkeit, die S. auf eine - frühneuzeitliche Maßstäbe übertreffende - Hochschätzung der "Gewissensfreiheit" (334) bei dem Schwäbisch Haller Reformator zurückführen kann.

Der Beitrag über "Das Verständnis des Alten Testaments bei Caspar Schwenckfeld von Ossig" (336-349) ist an dieser Stelle erstmals auf deutsch erschienen. Er verdeutlicht die auf einem allegorischen und christologischen Zugang beruhende Schriftauslegung dieses Spiritualisten in ihrer Auswirkung auf dessen Kritik an reformatorischer Sakramentslehre. Ein Verzeichnis der zwischen 1965 und 1996 publizierten Schriften von Gottfried Seebaß rundet die Veröffentlichung ab.

In dieser Jubiläumsschrift sind einige bisher nur in verstreuten Publikationsorganen vorliegende Aufsätze des Autors nun in einem Band griffig zusammengestellt. Dies ist sehr zu begrüßen, denn man nimmt die vielfältig vorgeführten Zugangsweisen zur Reformationsgeschichte durch diese Lektüre mit Gewinn zur Kenntnis.