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Ausgabe:

Dezember/1998

Spalte:

1229 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Fritsch, Matthias J.

Titel/Untertitel:

Vernunft - Offenbarung - Religion. Eine historisch-systematische Untersuchung zu Sigismund von Storchenau.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1997. 275 S. 8 = Regensburger Studien zur Theologie, 53. Kart. DM 84,-. ISBN 3-631-32058-2.

Rezensent:

Peter Dabrock

Spätestens seit Foucault weiß man, daß Verschweigen die effizienteste Form des Ausschlusses aus einem Diskurs darstellt. Wenn deshalb jemand einen Autor wiederentdeckt, der nicht einmal einen Artikel im LThK2 erhalten hat, einem Lexikon, das ansonsten im kirchen- und theologiegeschichtlichen Bereich für die katholische Kirche geradezu enzyklopädische Ausführlichkeit aufweist, wird man zunächst hellhörig und fragt sich: Ist der mit der katholischen Regensburger Dissertation "Vernunft - Offenbarung - Religion" von Matthias J. Fritsch bedachte Spätaufklärer und Jesuit Sigismund von Storchenau (St.) Opfer eines innerkatholischen Verdrängungsprozesses oder ganz einfach so unbedeutend, daß ihm selbst die Reminiszenz des Lexikoneintrages verwehrt bleibt? Über solch diskurstheoretische Erwägungen hinaus hat die Arbeit ihren forschungsgeschichtlichen Ort in der Aufarbeitung des historischen Profils der katholischen Fundamentaltheologie. Nachdem diese systematisch ihr Selbstverständnis als intrinsezistische "theonome Vernunftautonomie" (Seckler) unter dem "Paradigma" eines kommunikations- und nicht mehr instruktionstheoretischen Offenbarungsbegriffes gefunden hat, häufen sich die Studien, die die Anfänge des Faches auf dieses gegenwärtig normative Problematisierungsniveau rekonstruktiv befragen.

Die Epoche der Aufklärung bietet sich für diese Rückfragen deshalb besonders an, weil in ihr der schon lange schwelende Konflikt zwischen "Vernunft und Offenbarung" in noch nicht gekannter Schärfe aufbricht und so - das haben einschlägige Studien von Ebeling, Waldenfels, Seckler, Heinz, Niemann u. a. bereits gezeigt - die extrinsezistische Apologetik und die Ausbildung des Offenbarungstraktates hervorgebracht hat. Der Frage, ob in diesem Konfliktszenario zwischen Vernunft und Glaube St. einen originären Beitrag geleistet hat, gilt das Interesse F.s.

Um den Lesenden die weithin unbekannte Figur des "Hausphilosophen des Josephinismus" näher zu bringen, schaltet der Vf. den systematischen Ausführungen zunächst ein Kapitel über Leben und Werk von St. vor (23-39). Sein Hauptaugenmerk gilt aber dessen systematischen Grundentscheidungen, die - so das im Titel signalisierte "Ergebnis" der Studie - asyndetisch nebeneinanderstehen: Vernunft - Offenbarung - Religion. In einem ersten systematischen Gang (41-116) stellt der Vf. St.s "unzureichende Antwort auf die Anfrage der Aufklärung" (109) hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung dar, da es St. nicht gelinge, die innere Wahrheit der Offenbarung mit Hilfe der Vernunft einzuholen, sondern nur rein extrinsezistisch (durch Wunder und Weissagungen) zu erklären. Um dieses Urteil zu verifizieren, rekonstruiert der Vf. zunächst im Anschluß an die genannten einschlägigen Untersuchungen die Herausforderungen der Aufklärung an ein orthodoxes Offenbarungs- und Kirchenverständnis (41-57), um anschließend St.s Position auf der einen Seite als konservativ-orthodoxes Verteidigen von (übernatürlichen) Glaubenswahrheiten und andererseits als einen für die Zeit typischen Vernunftoptimismus zu charakterisieren. Letzterer kann zwar die Notwendigkeit, aber nicht die innere Wahrheit des Glaubens aufweisen, führt jedoch wenigstens an die Schwelle zur von der (katholischen) Kirche verwalteten Offenbarung (58-116). Aber auch dieser scheinbare Rationalismus zeigt seine wahre konservative, nur der Offenbarung zuarbeitende Grundausrichtung, wenn er auch nach der "kopernikanischen Wende" der Denkungsart noch immer blind Chr. Wolff huldigt. Schließlich ließ sich mit dessen harmonisierendem "Stockwerksdenken" (111) der Konflikt zwischen Offenbarung und Vernunft auf die Frage der Richtigkeit ihres jeweiligen Verständnisses (das die Aufklärer, insbesondere die Deisten, eben nicht besäßen) herunterstufen.

Die architektonische und inhaltliche Mitte von F.s Darstellung bildet das anschließende Kapitel über die "philosophische Begründung der Religion" (117-176) bei St. Hierbei kann F. zwei Besonderheiten herausschälen: Zum ersten kontrastiert St. in seiner Auseinandersetzung mit dem Deismus dessen Vorstellung einer natürlichen Religion die Konzeption von der Uroffenbarung und ihrer geschichtlichen Weiterentwicklung (155-164), so daß seines Erachtens die genealogische Perspektive in das Verständnis von Religion konstitutiv hineingehört. Zum anderen ist nach F. St. der "erste katholische Philosoph der Aufklärungszeit" (175, 251), der Wesen und Vielheit der Religion(en) religionsphilosophisch und nicht nur in der Tradition der Natürlichen Theologie thematisiert. Diese wichtige Weichenstellung wird von F. enttäuschenderweise nur kurz in ihren wesentlichen Strukturmomenten vorgestellt (170-176), ohne daß sie systematisch vertieft oder gar beurteilt wird.

Im anschließenden 4. Kap. zieht F. nach der biographischen und systematischen Vorstellung von St.s Leben und Werk ein doppeltes Resümee bezüglich dessen "Stellung zur Aufklärung" (177-246): Während St. dezidiert gegen Aufklärung und Aufklärer polemisieren konnte (177-189), war er nach F. doch in seinem Werk zutiefst von ihr geprägt (190-214). Daß sich diese "Ambivalenz" in der unterschiedlichen Wahrnehmung seiner Zeitgenossen niederschlagen mußte (215-240), verwundert nicht. Ebenso die Schlußeinschätzung des Vf.s, daß St. ein "ambivalentes Verhältnis" (241) zur Aufklärung besaß.

Die Untersuchung nennt sich im Untertitel "historisch-systematisch". Leider mangelt es ihr aber an einer dezidiert inhaltlich systematischen Leitperspektive. St.s Werk, seine Quellen und Rezeption werden historiographisch breit, aber großenteils ohne Vertiefung nur thetisch vorgestellt. Als Indiz für das Fehlen der systematischen Leitperspektive oder für zu grobe Analyseraster kann auch das mehrfach rein konstatierte, aber nicht noch einmal problematisierte ambivalente Verhältnis St.s zur Vernunft (115), zur Aufklärung (241 u. ö.) und zur Frömmigkeit (206) angesehen werden. Historisch betrachtet ist die Studie aber für den interessant, der an einem ausgewählten Beispiel prismatisch das bei St. allerdings wegen seines (kirchen-)politischen Traditionalismus ungenügende Ringen katholischer Aufklärungstheologen um die Instanzen Vernunft - Offenbarung - Religion nachvollziehen möchte. Hierzu hat der Vf. fleißige Arbeit geleistet und führt mögliche Leser an schon bisweilen vergessen geglaubte Kampfplätze: St. ist ein typischer Vertreter eines räumlich und zeitlich begrenzten Versuches katholischer Apologetik, das ihr Äußere (Vernunft, Moral, Politik, andere Konfessionen) solange zu respektieren oder gar gutzuheißen, solange sie in der Zielperspektive absorbiert werden können (211), aber bei Widerstand um so heftiger zu reagieren (vgl. den von F. unkommentiert stehen gelassenen Widerspruch zwischen St.s Kritik an der Pressezensur gegenüber Theologen und seiner Forderung, sie gegen Aufklärer zu erlassen; vgl. 186 und 213). Daß St. vergessen wäre, weil er am blinden Fleck katholischer Theologie gerührt haben könnte oder einen bleibend wichtigen Beitrag für die Verhältnisbestimmung von Vernunft, Offenbarung, Religion geleistet habe, dafür gibt die Studie keinen Anhalt. Aber vielleicht verhilft sie St. ja zu einem Eintrag im LThK3.