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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

714–716

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

The Encyclopedia of Christianity. Vol. 1: A-D.

Verlag:

Ed. by E. Fahlbusch, J. M. Lochman, J. Mbiti, J. Pelikan, L. Fischer. Translator and English-language Editor G. W. Bromiley. Grand Rapids: Eerdmans; Leiden-Boston-Köln: Brill 1999. XXXVIII, 893 S. 4. Lw. hfl 200.-. ISBN 90-04-11316-9.

Rezensent:

Jan Hermelink

Rechtzeitig "at the end of the second millenium" (Foreword: XI) liegt der erste Band einer ,Enzyklopädie des Christentums' vor, die weitgehend auf der seit 1985 erschienenen Neufassung des "Evangelischen Kirchenlexikons" (EKL) basiert. Das EKL wurde in dieser Zeitschrift ausführlich besprochen (vgl. ThLZ 110, 1985, 794 ff.; 111, 1986, 257 ff.; 112, 1987, 251 f.; 113, 1988, 724 f.; 115, 1990, 665 ff.; 118, 1993, 813; 121, 1996, 523 f.; 123, 1998, 335 f.); die folgende Rezension konzentriert sich darum auf die Veränderungen, die die Vorlage bei ihrer Übertragung in den englischsprachigen Kulturraum erfahren hat.

Für eine solche Übertragung bot sich das neue EKL besonders an, weil es ausdrücklich als eine "internationale theologische Enzyklopädie" konzipiert ist und die evangelischen Kirchen, ihre Glaubensformen und Theologien in einen umfassenden ökumenischen Horizont stellt. Eine englische Ausgabe wurde darum schon bald ins Auge gefasst und parallel vorbereitet.

Wie konsequent bereits im EKL eine globale und zugleich kontextuelle Perspektive eingenommen wurde, dokumentiert sich nun gleichsam im Rückblick. Eigene Artikel zu "Abortion", "Acculturation", "African Theology", "Amnesty International", "Animism" oder "Anti-Semitism" haben sämtlich eine deutsche Vorlage. Von den etwa zur Hälfte englischsprachigen Autoren der EC haben viele bereits im EKL geschrieben; nun werden ihre Originaltexte verwendet. Und die Überblicksartikel zu kirchlichen und theologischen Zentralthemen waren schon in der deutschen Fassung so ausgerichtet und gegliedert, dass sie ohne weiteres in die EC übernommen werden konnten.

Zum Beispiel im Artikel zur "Christology", dem mit 34 Sp. zweitgrößten Artikel dieses Bandes (nur "Church" ist umfangreicher), finden sich nicht nur die biblischen und historischen Ausführungen aus dem EKL nahezu unverändert vor, sondern auch die Darstellung der orthodoxen sowie der römisch-katholischen Diskussion, der Christologie in der Dritten Welt und schließlich in der Dogmatik. Denn diese Texte - das zeigt schon die Einteilung - hatten bereits in der deutschen Fassung einen ökumenisch umfassenden Horizont und sind jeweils von "indigenen" Fachleuten verfasst. - Ähnliches gilt für den Artikel "Baptism", der schon im EKL zwei exemplarische Ausführungen über die Taufpraxis in den USA und im (evangelischen) Deutschland enthielt.

Wenn das "Publishers' Preface" formuliert, das EC "has tailored the articles of the current EKL to better suit the requirements of an English readership" (XIV), so sind mit dieser ,Anpassung' also weniger die inhaltlichen Ausführungen des EKL gemeint. Denn so weit der Rez. erkennen kann, sind die allermeisten Artikel im Haupttext unverändert geblieben.

Gleichwohl sorgt die präzise und einfühlsame Übersetzung von Geoffrey W. Bromiley dafür, dass die englischen Texte oft klarer und verständlicher wirken als die deutschen. Nur an ganz wenigen Stellen führte die Übersetzung zu Missverständnissen, so etwa, wenn im Artikel "Baptism 4" von einer "1989 Berlin Conference on Baptism" die Rede ist - im EKL wird hier auf "das T.[auf]-Forum des Berliner Kirchentages (1989)" hingewiesen.

Stärker "tailored" sind die Bibliographien. Natürlich werden die englischen Ausgaben der in den EKL-Artikeln genannten Literatur aufgeführt; dazu ist die seit Mitte der 80er Jahre, dem Redaktionsschluss des EKL, erschienene Literatur gut nachgetragen. Vor allem aber sind die Bibliographien um - meist neuere - englischsprachige Titel erweitert worden, dies allerdings nur in bescheidenem Umfang.

Zu einer Streichung deutscher Literaturangaben haben sich die englischen Editoren nur selten durchgerungen. Das führt mitunter zu einer recht germanozentrischen Auswahl, die mir für "an English readership" nicht angemessen erscheint. So ist z. B. die mehr als 20 Angaben umfassende Liste zum Thema "Church Law" im systematischen Teil lediglich um einen, im pragmatischen Teil um zwei US-Titel erweitert worden. Ähnliches lässt sich bei vielen, vor allem theoretisch-theologischen Bibliogra-phien beobachten.

In den Artikeln selbst sind auf deutsche Verhältnisse verengte Perspektiven überzeugender relativiert worden. Das geschieht durch gezielte Kürzung, so etwa bei "Confirmation", wo G. Adams erschöpfende Auskünfte über die westdeutschen Reformmodelle um mehr als die Hälfte reduziert wurden. Leider ganz weggefallen ist dabei seine Skizze der spezifischen Ansätze in den DDR-Kirchen. - Auch über die Institutionen der "Diakonia" informiert das EC knapper, nämlich ohne die detaillierte Beschreibung der spezifisch deutschen Lage; das Gleiche gilt etwa für den Text über Kirchenaustritt s. v. "Church Membership".

Insgesamt sind solche Kürzungen jedoch selten, erst recht der Verzicht auf ganze Artikel. Die Themen "Bund der Ev. Kirchen in der DDR" oder "Diakonisches Werk" sind zu Recht weggefallen; um so mehr ist zu fragen, ob die internationale Leserschaft wirklich über "Altötting" oder das "Bonifatiuswerk" informiert werden muss. - Einleuchtender sind die gelegentlichen Ergänzungen in einzelnen Artikeln. So informiert "Christian Art" nun auf 3 Sp. über zahlreiche "contemporary contributions" in "the church at large", während die EKL-Vorlage das "20. Jh." in einer halben Spalte und ausschließlich aus deutscher Sicht betrachtete. - Einige wenige Artikel sind ganz neu hinzugekommen, etwa "Civil Rights Movement" und "Creationism".

Ergänzt bzw. neu geschrieben wurden vor allem die schon im EKL zahlreichen Länderartikel. Das ist in einem gewissen Vollständigkeitsdrang begründet (neu sind z. B. "Bahrain", "Barbados" und "Brunei"), vor allem aber in der jüngsten politischen Entwicklung, die u. a. "Armenia", "Azerbaijan", "Bosnia and Herzegowina", "Croatia" zu selbständigen Staaten gemacht hat. Regelmäßig wird - meist recht knapp - über die "General Situation" und dann gründlich über die "Religious Situation" informiert.

Dazu gekommen ist für jedes Land "a standard statistical box" mit einigen auf das Jahr "A. D. 2000" bezogenen demographischen und detaillierten religionsstatistischen Daten. Diese Informationen hat, ebenso wie umfangreiche Religions- und kirchliche Mitgliedschaftsstatistiken für die Regionen "Africa" und "Asia", David B. Barrett zusammengetragen.

Angesichts solch großen Bemühens um politische Aktualität und Akkuratesse erstaunt es, dass von den Artikeln "Christians for Socialism", "Christian Peace Conference" (beide ursprünglich 1985) und "Church in a Socialist Society" (1989) der erste gar nicht und die anderen nur sehr knapp auf die tiefgreifenden Wendungen der letzten Dekade reagieren. Von der CPC wird ein selbstkritisches Dokument vom Dezember 1989 zitiert; die bitteren Konflikte in der CPC nach dem sowjetischen Einmarsch in die CSSR (1968), die den Kontext jener Selbstkritik bilden, bleiben jedoch ungenannt. Und der exemplarische (Rück-)Blick auf die DDR-Kirche "in a Socialist Society" endet, ohne die Ereignisse von 1988/89 überhaupt anzusprechen, mit der Feststellung, "considerable reduction in church programs brought a new understanding and shaping of the true Christian community". Dass diese 'Reduktionen' sich vornehmlich der subtilen Repression des sozialistischen Staates verdankten, bleibt ebenso unerwähnt wie die Einsicht, dass eine erneuerte 'true Christian community' in der DDR doch eher Wunsch als Wirklichkeit gewesen ist.

Bemerkenswerte Änderungen sind sodann bei den biographischen Artikeln zu verzeichnen. Während das EKL die Informationen über mehrere hundert Personen sämtlich in den Registerband eingeordnet hatte (vgl. die Separatveröffentlichung: M. Greschat [Hrsg.], Personenlexikon Religion und Theologie, Göttingen 1998), beschränkt sich die englische Ausgabe auf insgesamt ca. 70 Kurz-Biographien, die nun wieder in die alphabetische Ordnung aufgenommen sind. Die knapp 20 Artikel des ersten Bandes, die alle ziemlich genau zwei Spalten umfassen, lassen ein gewisses Schwergewicht bei der Alten Kirche erkennen ("Cyprian of Carthago" und "Cyril of Alexandria" sind behandelt; Bonifatius, Cajetan oder Descartes fehlen). Nur etwa 6 Biographien (u. a. zu Augustin, Bonhoeffer, Bucer, Calvin) sind aus dem EKL-Register übernommen; die meisten Artikel sind, oft von US-Autoren, neu verfasst. Dabei haben sich mitunter hagiographische Tendenzen verstärkt, so bei "Benedict of Nursia" und auch bei "Barth, Karl".

Eindeutig positiv sind schließlich die formalen Umgestaltungen des EC zu bewerten. Dazu gehört die alphabetische (nicht zeitliche) Anordnung der Literaturangaben und die bessere Gliederung längerer Artikel durch eigene Überschriften sowie durch vermehrte Absätze. Auch Äußerlichkeiten wie der durchgehende Verzicht auf Abkürzungen im Text oder die etwas größere Schrift tragen erheblich zur Lesbarkeit bei. An dieser rezipientenfreundlichen Gestaltung sollten sich nicht nur das EKL, sondern die meisten deutschsprachigen Lexika ein gutes Beispiel nehmen.

Versucht der Rez. - trotz der bei einem Lexikon-Band notwendig fragmentarischen Lektüre - ein Gesamturteil, so kann sich dieses nicht auf die Bedeutung der EC für "an English readership" beziehen. Deutschen Lesern, auch mit bescheidenen Englisch-Kenntnissen, wird die EC zweifelsohne auch neben dem EKL von Nutzen sein, und zwar vor allem wegen ihrer spezifischen Ausrichtung, wie sie nicht zuletzt in der Änderung des Titels angedeutet ist.

Der Bezug auf das "Evangelische" der "Encyclopedia" findet sich jetzt lediglich in dem knappen Hinweis des "Publishers' Preface", sie sei "firmly committed to a universality rooted in the Reformation tradition" (XIII). In diesem Sinne verstand schon das Vorwort des EKL von 1985 unter "evangelisch" nicht mehr eine positionelle Markierung, sondern die Verpflichtung zu einer "universalen", an der "Gabe und Sendung des Evangeliums" orientierten Perspektive. Dieser kritische theologische Maßstab ist auch in der englischsprachigen Edition über weite Strecken erkennbar und führt dazu, wie der US-Herausgeber J. Pelikan richtig bemerkt, dass die EC "will certainly be far more accessible ... than earlier works were to those readers who do not regard themselves as members of any Christian group or church" (XII).

Auch die andere Veränderung des Titels macht eine Inten-tion ausdrücklich, die bereits das (neue) EKL kennzeichnet: Noch deutlicher als in der deutschen Vorlage wird hier nicht mehr eine (binnen-)"kirchliche" Sicht präsentiert; vielmehr eröffnet die EC mit ihren Änderungen, Aktualisierungen und Erweiterungen eine nochmals vertiefte ökumenische Perspektive auf das weltweite ,Christentum' in seinen vielfältigen soziokulturellen Kontexten an der Schwelle seines dritten Jahrtausends.

Mindestens in den Bibliotheken der kirchlichen und theologischen Ausbildungsstätten (nicht nur der "evangelischen"!) ist dem EC neben dem EKL ein selbstverständlicher Platz zu wünschen.