Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

711–713

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Beuken, Willem A. M.]

Titel/Untertitel:

Studies in the Book of Isaiah. Festschrift Willem A. M. Beuken. Ed. by J. van Ruiten, and M. Vervenne.

Verlag:

Leuven: Leuven University Press; Leuven: Peeters 1997. XX, 540 S., 1 Porträt gr.8 = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 132. Kart. BEF 3000. ISBN 90-6187-817-3 u. 90-6831-926-4.

Rezensent:

Uwe Becker

Die vorliegende Festschrift ehrt einen Gelehrten zu seinem 65. Geburtstag, der sich in besonderer Weise um die Erforschung des Jesajabuches verdient gemacht hat. Willem Beuken geht dabei strikt von der Literalität der Prophetenbuchüberlieferung aus und legt seinen Analysen das Jesajabuch in seiner kompositionellen Endgestalt (Jes 1-66) zu Grunde. So hat er nicht nur in zahlreichen Aufsätzen mit einer Fülle von vorzüglichen Beobachtungen auf die starke literarische Vernetzung einzelner Jesajatexte und den methodischen Primat der "synchronen" Analyse vor der "diachronen" hingewiesen, sondern auch einen mehrbändigen Kommentar zu Jes 40-66 verfasst. So ist es nur recht und billig, dass man dem Jubilar eine Festschrift mit Beiträgen zum Jesajabuch widmet. Die beiden Herausgeber haben 28 Autoren gewonnen, die zum größten Teil ausgewiesene Jesaja-Kenner sind. Die einzelnen Beiträge beschäftigen sich mit dem Buchganzen, seinen einzelnen Teilen oder mit seiner Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Entstanden ist auf diese Weise ein bunter und facettenreicher Geburtstagsstrauß, der die methodische und sachliche Vielstimmigkeit der gegenwärtigen Jesajaforschung spiegelt.

Es mag überraschen, dass sich nur wenige Studien mit dem Jesajabuch als Ganzes - dem ist die erste Sektion gewidmet - befassen. So plädiert R. E. Clements in seinem Eingangsartikel "Zion as Symbol and Political Reality" (3-17) mit einigem Recht für eine buchübergreifende Leseperspektive, die den zahlreichen intertextuellen Bezügen in Jes 1-66 genauer nachgeht und sie textgenetisch auswertet. Als stärkstes einigendes Band zwischen den Buchteilen erweist sich dabei die Jersualemer Zions-Tradition, deren Etablierung (durch die Ereignisse des Jahres 701), Scheitern (587) und sukzessive Wiederherstellung (nach 587) sich im gesamten Jes-Buch widerspiegeln: "Its shape has been brought about by the desire to uphold the central claims of Jerusalem as a religious and spiritual centre" (9). Nach Clements spreche diese Intention dafür, dass der Autor von Jes 40-55 nicht im Exil, sondern in Juda selbst gewirkt hat. Einen in dieser Hinsicht ganz anderen Standpunkt nimmt H.-J. Hermisson in seinem Beitrag "Die Frau Zion" (19-39) ein: Dtjes hat im Exil gewirkt, nimmt aber in seiner Zionsmetaphorik die Perspektive der "Mutterstadt" ein (vgl. Jes 40,1 f.9). Dabei wird die Trennung der Stadt von ihrer Bewohnerschaft als "defizitärer Zustand" (30) des Unheils betrachtet; die Frau Zion ist (gegen O. H. Steck) gerade keine eigene, von der Bevölkerung zu unterscheidende Größe. Einem weiteren "großjesajanischen" Thema geht M. A. Sweeney nach: "The Reconceptualization of the Davidic Covenant in Isaiah" (41-61). Nach ihm bezieht sich im Leseablauf des gesamten Jesajabuches die "Demokratisierung" des davidischen Bundes in 55,3-5 nun auf die "servants of YHWH" in c.56-66, denen auf Grund ihrer Toraobservanz ein ewiger Bund verheißen ist. Y. Gitay stellt in seinem Beitrag "Back to Historical Isaiah. Reflections on the Act of Reading" (63-72) einige rhetorische Merkmale der Prophetien Jesajas wie ihren dialogischen Charakter und ihre strenge zeithistorische Verankerung heraus.

Die mit "Proto-Isaiah" überschriebene zweite Sektion der Festschrift enthält nahezu ausschließlich Detailstudien über einzelne Texte. Eine Ausnahme macht nur A. Schoors, der nach "Historical Information in Isaiah 1-39" (75-93) sucht und sehr viel findet. Es stehe außer Frage, dass Jesaja während der syrisch-efraimitischen Krise, in der Zeit der philistäischen Aufstände (713-711) und während der Belagerung Jerusalems durch Sanherib (701) verkündigt habe. Allerdings: "The relation of many of Isaiah's utterances to these historical facts has ... to be detected through interpretation, since the facts that occasioned the prophetic word are mostly not explicitly mentioned" (91).

J. Vermeylen stellt neue "Hypothèses sur l'origine d'Isaïe 36-39" (95-118) vor: Die traditionelle Vorstellung, nach der es sich bei den Hiskija-Jesaja-Erzählungen in Jes 36-39 um einen aus 2Kön 18-20 genommenen Appendix handle, müsse gänzlich aufgegeben werden. Vielmehr seien die Erzählungen textgenetisch sehr viel enger mit dem Jesajabuch verflochten. H. G. M. Williamson spürt mit "Isaiah 6,13 and 1,29-31" (119-128) einer Art von innerbiblischer Exegese nach: Die alte crux interpretum Jes 6,13 findet eine innerjesajanische - und nun eindeutig gerichtstheologische - Auslegung in Jes 1,29-31. A. S. van der Woude legt den weithin als spät beurteilten Abschnitt "Jesaja 8,19-23a als literarische Einheit" (129-136) aus, die keinem anderen als Jesaja selbst zuzuschreiben sei. E. Zenger widmet sich den verschiedenen Deutungen der Verheißung Jes 11,1-10 und hebt die universale schöpfungs- wie königstheologische Perspektive des Textes heraus (137-147): "Wenn auf dem Zion die Unterdrückten und Armen endlich zu ihrem Lebensrecht kommen, bricht an diesem Ort der Schöpfung die Gottesherrschaft an" (147).

Weitere Studien zu Jes 1-39 befassen sich textlinguistisch mit Jes 12,1-6 (A. L. H. M. van Wieringen, 149-172), gehen ausführlich der Metapher Jes 25,10a nach (B. Doyle, 173-193) oder versuchen eine neue Deutung der "befestigten Stadt" in Jes 27,10f. (H. W. M. van Grol, 195-209).

Die dritte Sektion des Bandes über Jes 40-66 beginnt mit einer Überraschung: Dtjes war eine Frau! Dies jedenfalls ist die These von S. McEvenue in seinem Essay "Who was Second Isaiah?" (213-222). Die Begründung ist ebenso kühn wie anfechtbar: Die Berufungserzählung Jes 40 beziehe sich auf eine Frau, was sich aus der Qumran-Variante in V. 6a ergebe ('ômerâh statt 'omer); die Verbindung mebassæræt zijjon (40,9 u. a.) sei als Status constructus zu lesen: die Freudenbotin Zions, also die Prophetin! Eine eindringliche theologische Analyse über "History and Eschatology in Deutero-Isaiah" (223-249) aus der Feder H. Leenes versucht aufzuweisen, dass die dtjes. Eschatologie des Schon-Jetzt und Noch-Nicht der Gottesherrschaft ihren traditionsgeschichtlichen Wurzelgrund in den Jahwe-Königs-Psalmen habe.

Einige Detailstudien folgen. M. Dijkstra legt in einer "discourse analysis" Jes 40,12-42,13 als rhetorische Einheit aus (251-271). K. van Leeuwen geht einer alten Crux in Isaiah 40,20 (Hammesukân) nach (273-287). W. S. Prinsloo plädiert dafür, nicht wie üblich Jes 40,10-13, sondern 40,10-12 als eigenständige Strophe zu lesen (289-301). J. P. Fokkelman legt eine differenzierte syntaktische Strukturuntersuchung des Kyros-Orakels Jes 44,24-45,7 vor (303-323). J. C. de Moor untersucht die poetisch-kolometrische Struktur von Jes 60,1-63,6 unter Zuhilfenahme älterer Textzeugen, um auf diese Weise eine objektivere Aussage über das redaktionelle Wachstum des Komplexes zu gewinnen (325-346).

Der vierte und letzte Teil steht unter der Überschrift "Intertextuality and Wirkungsgeschichte": O. H. Steck zeigt in seinem Beitrag "Der neue Himmel und die neue Erde" (349-365) überzeugend auf, dass sich das literarisch einheitliche Textstück Jes 65,16b-25 nicht nur an Jes 11,6-9 und 43,16-21, sondern vor allem - und dies ist erstaunlicherweise kaum wahrgenommen worden - an Gen 1-3 orientiert. Für die Spätpase in der Formierung des Jesajabuches (in frühhellenistischer Zeit) wird damit eine bewusste Tora-Rezeption erkennbar. Dass das Jesajabuch in seiner griechischen Übersetzung in Ägypten auf die dortigen Verhältnisse bezogen wurde, belegt eindrücklich die Analyse A. van der Kooijs über die LXX-Fassung des zweiten Ebed-Jahwe-Lieds Jes 49,1-6 (nebst verwandten Texten). Sein Ergebnis: Der Knecht beziehe sich auf das mehrfach und nur in der Jes-LXX erwähnte Gottesvolk in Ägypten, mit dem sich die priesterliche Gruppe um Onias IV. eine Legitimationsgrundlage verschaffte.

Weitere Beiträge befassen sich mit Ez 20,32-44 (J. Lust "Ezekiel salutes Isaiah", 367-382), mit dem "Supposed Influence of the Book of Isaiah in the Book of Habakkuk" (J. T. A. G. M. van Ruiten, 397-411), der (gegen W. Dietrich, Habakuk - ein Jesajaschüler?, in: FS K.-D. Schunck, BEAT 37, 1994, 197-205) bestritten wird, oder mit der Rezeption des Jesajabuches in Weish 3,1-4,19 (P. C. Beentjes, 413-420). Der Wirkungsgeschichte der Gestalt des leidenden Gerechten in Ijob 16-19 geht J. C. Bastiaens nach (421-432), und W. Weren untersucht die Zitate aus dem Jesajabuch in Mt 1,23 und 4,15-16 im Kontext mt. Christologie (447-465). Der rabbinischen Rezeption von Jes 40 in der Pesiqta' de Rab Kahana 16 widmet L. Teugels einen eigenen Beitrag (433-446). M. Vervenne schließlich befasst sich in einer syntaktischen Studie mit "The Phraseology of 'Knowing YHWH' in the Hebrew Bible" (467-492).

Ausführliche Indizes der zitierten Autoren, Stellen und Sachen erschließen die Festschrift auf vorbildliche Weise. Dass ihr auch eine Bibliographie des Geehrten von 1960-1996 sowie ein knappes curriculum vitae beigegeben ist, sei ebenfalls dankbar vermerkt.