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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

680–682

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Alma, H. A.

Titel/Untertitel:

Identiteit door verbondenheid. Een godsdienstpsychologisch onderzoek naar identificatie en christelijk geloof.

Verlag:

Kampen: Kok 1998. XIII, 367 S. gr.8 = Studies over levensberschouwing, wetenschap en samenleving. ISBN 90-242-9388-X.

Rezensent:

Ulrike Popp-Baier

Die vorliegende religionspsychologische Studie behandelt die Frage, inwiefern der christliche Glaube in einer pluralistischen Gesellschaft noch die Funktion der Sinngebung für den Einzelnen erfüllen kann. Dabei verortet die Autorin ihre theoretischen und empirischen Untersuchungen zu diesem Thema in der "Bewegung des sozialen Konstruktionismus" (Gergen 1985), zu dessen Prinzipien es gehört, die Begriffe, mit denen Wirklichkeit beschrieben, erklärt und dadurch auch konstruiert wird, als soziale und historische Produkte zu begreifen und vor allem deren Genese in zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation zu untersuchen. Dementsprechend widmet sich die Autorin auch den mit "Glaube", "Sinngebung" und "religiöser Erfahrung" verbundenen sozialen Beziehungen und fragt nach den Bedingungen, unter denen Identifikationsbeziehungen eine Sinngebung durch den christlichen Glauben fördern oder auch behindern können.

Im ersten Teil ihrer Arbeit, der aus einer Literaturstudie besteht, skizziert sie zunächst die Rollentheorie Sundéns, in der religiöse Erfahrung psychologisch als duale Rollenaneignung beschrieben wird, durch die sich jemand in einer Krisensituation mit der Rolle einer Figur aus einer Geschichte der religiösen Tradition identifiziert und dabei zugleich Gottes Handeln antizipiert. Dieses Konzept wird von der Autorin weiter ausgearbeitet, indem sie auf eine der Quellen Sundéns zurückgreift, nämlich auf die Sozialpsychologie George Herbert Meads. Dessen Theorie "praktischer Intersubjektivität" (Joas) und die damit verbundenen Konzepte der Rollenübernahme, des Selbst und des generalisierten Anderen erlauben es, die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit und die Ausbildung eines individuellen Selbstbewusstseins grundsätzlich in sozialen Prozessen verankert zu denken. Nach Mead entsteht Selbstbewusstsein dadurch, dass ein Individuum zum Objekt seiner eigenen Aufmerksamkeit wird. Dabei bezieht sich der Einzelne auf sich selbst so, wie sich andere auf ihn beziehen, er betrachtet sich selbst aus der Perspektive der anderen. In diesem Sinne kann Identifikation idealiter als konstitutiver Prozess der Selbstverwirklichung begriffen werden, in dem sich der einzelne in die Perspektiven von anderen versetzt und diese auf kreative Weise mit dem eigenen Handlungsrepertoire vermittelt. Das Vorhandensein einer Vielfalt von möglichen Perspektiven erlaubt dann nicht nur die Ausbildung eines differenzierten Selbstbewusstseins und eine entsprechende Selbstverwirklichung, sondern die erforderliche Koordination verschiedener Perspektiven im kommunikativen Austausch mit anderen bildet auch die Voraussetzung für die Transzendierung von spezifischen Perspektiven zur Ausbildung einer generalisierten Perspektive (eines "generalisierten Anderen"), an deren Regeln, Normen oder Werten das eigene Handeln ausgerichtet werden kann und von denen her der Handelnde sein eigenes Handeln auch beurteilen kann.

Wenn nun das eigene Handeln als im Einklang mit dem "generalisierten Anderen" erfahren wird, kann dies zu einer Sinnerfahrung leiten. In diesem Zusammenhang schlägt die Autorin vor, den Begriff der Sinngebung durch den Begriff der Sinnfindung zu ersetzen, um damit zu verdeutlichen, dass Sinnerfahrungen in diesem Verständnis nicht nur von den Intentionen des Einzelnen abhängen, sondern an kommunikative Prozesse und soziale Interaktionen gebunden bleiben und sich damit der vollständigen Verfügbarkeit des Einzelnen entziehen. Von einer religiösen Sinnfindung kann dann gesprochen werden, wenn diese Sinnfindung im Kontext einer sozial geteilten und vermittelten religiösen Tradition stattfindet.

Die Terminologie Meads wird noch durch die Auseinandersetzung mit den theoretischen Beiträgen einer Vielzahl von anderen Autoren erweitert, wobei schließlich ein "konzeptuelles Modell" eine Synthese aus der bisher erarbeiteten Begrifflichkeit leisten soll. Dieses Modell beschreibt den Zusammenhang zwischen verschiedenen Identifikationsprozessen und der Möglichkeit der religiösen Sinnfindung, welche die Autorin nun entwicklungslogisch als die Ausbildung einer Identität als Gläubige(r) konzeptualisiert. Dabei werden vor allem auch die Faktoren herausgestellt, von welchen angenommen werden kann, dass sie eine derartige Identitätsbildung positiv oder negativ beeinflussen. Zu den positiven Faktoren gehören u. a. ein Erziehungsklima, das durch Zuwendung und Autonomie gekennzeichnet ist, Vermittlung von Geschichten aus der religiösen Tradition, welche den Heranwachsenden Identifikationsmöglichkeiten bieten, eine religiöse Referenzgruppe, die eine offene Gemeinschaft bildet, ein Pluralismus an Perspektiven in der Gesellschaft, die im Dialog zueinander stehen, so dass die Ausdifferenzierung der eigenen Perspektive stimuliert wird.

Im zweiten Teil der Arbeit wird die bisherige theoretische Analyse durch die Ergebnisse empirischer Studien ergänzt. Auf Grund der Auswertung einer Fragebogenuntersuchung an Mitgliedern von fünf protestantischen Kirchengemeinden in den Niederlanden und der Interpretation von biographischen Interviews evaluiert die Autorin ihr konzeptuelles Modell. Als wichtigstes Ergebnis dieser Evaluation hält die Autorin fest, dass in dem Modell bisher nur die sozialpsychologischen Voraussetzungen für die Entwicklung einer Identität als Gläubig(r) berücksichtigt wurden. Aber die Fragebogenuntersuchung und vor allem auch die Interviews zeigen, dass der Zusammenhang zwischen diesen Voraussetzungen und der Möglichkeit der religiösen Sinnfindung durch den Einzelnen komplexer ist, dass religiöse Sinnfindung nicht als Resultat einer erfolgreichen religiösen Sozialisation aufgefasst werden kann, wie in dem Modell angenommen wurde, und dass der "persönlichen Empfänglichkeit" für Sinnfindung bisher noch zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Der dritte Teil der Arbeit ist nun einer Konzeptualisierung dieses Modellelements der "persönlichen Empfänglichkeit" anhand weiterer Literaturstudien gewidmet. Dabei greift die Autorin u. a. auf Überlegungen von Charles Taylor zurück, in denen er die individuelle Identitätsbildung in einen Zusammenhang mit "starken Wertungen" bringt. Diese beruhen auf Werterfahrungen, auf der Erfahrung des Ergriffenseins von einem An-sich-Wertvollen, das unabhängig von den eigenen Wünschen oder Bedürfnissen bewundert oder geliebt wird. Die Artikulation dieser letztlich ästhetischen Erfahrung als "Sinn" hängt von entsprechenden kulturellen Deutungsmustern, von entsprechenden Traditionen ab. Unter Voraussetzung dieser Begrifflichkeit würde dann die (religiöse) Sinnfindung vor allem auch über ästhetische Erfahrungen stimuliert. Die weitere Ausarbeitung dieses Konzepts einer religiösen Sinnfindung über ästhetische Erfahrungen und ihr Zusammenhang mit religiöser Sinnfindung über die Orientierung am "generalisierten Anderen" formuliert die Autorin als zukünftige Forschungsaufgabe. In einem abschließenden Kapitel werden noch einige Überlegungen im Hinblick auf praktische Konsequenzen für Religionspädagogik und Pastoralpsychologie angestellt.

Ich habe die Dissertation von Hans Alma vor allem als Ansatz zu einem anspruchsvollen Projekt gelesen, in dem versucht wird, die ("sozial-konstruktionistische") Sozialpsychologie Meads mit der (realistischen) Werttheorie von Charles Taylor zu verbinden, um dadurch ästhetische und religiöse Dimensionen von Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen im Kontext individueller Sinn- und Identitätsbildung theoretisch und empirisch analysieren zu können. Man darf auf die folgenden Publikationen der Autorin zu diesem Projekt gespannt sein.