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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

679 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ackermann, Denise M., and Riet Bons-Storm [ Eds.]

Titel/Untertitel:

Liberating Faith Practices: Feminist Practical Theologies in Context.

Verlag:

Leuven: Peeters 1998. VIII, 200 S. 8. ISBN 90-429-0003-2.

Rezensent:

Sybille Becker

Wer sind die Subjekte der Praktischen Theologie? Diejenigen, die Glauben leben und reflektieren an je konkreten Orten, zu einer bestimmten Zeit und unter spezifischen individuellen wie gesellschaftlichen Bedingungen.

So könnte eine Generalthese des Bandes Liberating Faith Practices umschrieben werden, den die Südafrikanerin Denise Ackermann und die Niederländerin Riet Bons-Storm herausgegeben haben. Der Kontext dieser Aufsatzsammlung ist die Diskussion in der International Academy of Practical Theology, die- wie die Herausgeberinnen monieren - bislang personell kaum von Frauen mitgestaltet werde, wie sie auch inhaltlich von feministischer Theoriebildung weitgehend unberührt sei. Mit dem Band wollen A. und B.-St. zusammen mit sechs weiteren Autorinnen aus Großbritannien, den USA und Neuseeland neue Wege auf den Ebenen der Kategorien, der Methoden und der institutionellen Verankerung beschreiten. Alle Autorinnen setzen bei der "self-reflectiveness" (5) auf den eigenen Kontext ein. Die meisten verbinden in ihren Überlegungen spezifisch pastorale Handlungsfelder wie Gemeinde, Seelsorge oder Liturgie mit Fragen praktisch-theologischer Grundlagentheorie.

Je ein Ansatz zu den Bereichen Kategorien, Methodik und Institutionalisierung sei näher erläutert: B.-St. konstatiert eine kategoriale Wende auf der Ebene des Subjekts, wenn sich Praktische Theologie an Erfahrungen von gesellschaftlich marginalisierten Gruppen orientiert. Sie stellt für ihren kirchlichen Kontext fest, dass Frauen in der Gruppe der Ordinierten und in der akademischen Forschung stark unterrepräsentiert sind, aber auf der Seite der praktizierenden Gläubigen die Mehrheit darstellen. Soll Praktische Theologie in lebendigem Glauben verwurzelt sein, führt dies zu der These, dass jede glaubensbegeisterte Frau als "theological agent" (14) zu verstehen sei. Die inhärente Theorie in den 'faith practices' sei nicht nur als Forschungsgegenstand, sondern als eigene theologische Position ernst zu nehmen. Glaube wird dabei prozesshaft gedacht. Ihn gelte es durch einen Dialog in "difference-in-equality" (19) zu gestalten. Für ihren niederländischen Kontext macht B.-St. als Hauptleidtragende der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte die Gruppe der Kinder aus. Sie postuliert in Rückgriff auf die Offenbarung Gottes als Kind "the child as a leading image" (19). Mit diesem Leitbegriff werde es möglich, neue praktische wie theoretische Modelle in der protestantischen pastoralen Diskussion zu entwerfen, die im Zusammenhang mit "embodied actors" (21) im "everyday life" (24) von Kirche und Gesellschaft stehen.

Einen Vorschlag zur Methodik einer praktischen Theologie, die sich in einer Gegenseitigkeit von akademischer Forschung und gelebter Glaubenspraxis in den "communities of faith" (51) verortet, macht Carol Lakey Hess in ihrem Beitrag Becoming mid-wives to justice. Sie schlägt eine Kommunikation in "dynamic difference" (60) vor, die sie in einer postmodernen Reformulierung des Diskursmodells von Jürgen Habermas als "post-modern discourse ethic" (62) theoretisch fundiert sieht.

Methodisch setzt sie das in einem Dreischritt um: Zunächst ist der Ort und die "guiding vision" (53) der Forschenden zu benennen, diese ist in einem zweiten Schritt durch die teilnehmende Beobachtung von "grassroots communal praxis" (53) zu erweitern, schließlich wird in einem Prozess von "mutual judgement" (53) die 'vision' weiter differenziert und realisiert, wobei die Forschenden eine assistierende Rolle übernehmen sollen. In ihrem nordamerikanischen Kontext exemplifiziert sie das an einer Frauengruppe, die in ihrer Heterogenität durch den empathischen Austausch und die Begleitung von Forscherinnen gegenseitige Gerechtigkeit und Glauben lebt und damit praktisch-theologische Neuansätze ans Licht der Welt bringt, die auch auf gesamtgesellschaftliche Verhältnisse Einfluss gewinnen können.

Bonnie J. Miller McLemore zeigt, wie sich 'women experiences' als Ausgangspunkte Praktischer Theologie auf die institutionellen Konzepte auswirken können. Für sie bedeutet ein Studium der Praktischen Theologie nicht die Beschäftigung mit Glaubenspraxis von Individuen oder kontextuell bestimmbaren Gruppen, sondern sie plädiert im Anschluss an Catherine Keller für ein Studium des "living web" (175). Die Frage nach Religion entspringe aus dem Leiden in der "messy particularity of every day life" (180), das nicht nur die klassischen Forschungsperspektiven von Psychologie und die Dimension von Heilung evoziere, sondern auch die Relation von "religion, personality and culture" (181) relevant werden lasse. Institutionell hieße das, ein mehrperspektivisches Lernen der Studierenden zu etablieren, damit sie durch verschiedene Wissenschaftstraditionen die Verwobenheit der Realitäten analysieren können. Entsprechend plädiert sie für eine Interdisziplinarität des Studiums wie für eine heterogene Öffentlichkeit als Adressatin der praktisch-theologischen Forschung als adäquate Möglichkeiten in der spezifischen historischen und gesellschaftlichen Situation von 'Practical Theology' in den USA.

Die scheinbar gegenläufigen Tendenzen von Erweiterung und Präzisierung werden in diesem Band zu einer Bewegung verknüpft: Einerseits erweitert die feministische Perspektive die bisherigen Blickwinkel auf die Subjekte Praktischer Theologie, andererseits werden mit der steten Präsenz der Wahrnehmungsfilter von class, race and gender die Begrenzungen jedweden Gesichtsfelds bewusst gemacht. Dass diese Brenngläser um der Gerechtigkeit willen wissenschaftlich zu etablieren seien, wird mit dem Rekurs auf das befreiungstheologische Paradigma in den Aufsätzen aus der Sicht der Benachteiligten evident. Leider bleibt dadurch eine andere Perspektive unterbelichtet, die erhellen würde, wie mit diesen spezifischen Suchlinsen auch auf einem ,männlichen' praktisch-theologischen Fokus mehr und vor allem auch vermeintlich Bekanntes besser gesehen werden kann. So stellt der Band nicht nur einen bedeutenden Schritt dar, vielfältige feministische Ansätze zu einer Neuformulierung Praktischer Theologie endlich auch in die internationale Debatte einzubringen, sondern birgt auch neue Forschungsperspektiven auf Subjektivität und Religiosität innerhalb spezifischer gesellschaftlicher Kontexte, die die praktisch-theologische Theoriebildung erweitern und präzisieren können. Liberating Faith Practices ist für die Grundlagendiskussion in der Praktischen Theologie eine wichtige und anregende Lektüre.