Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

647 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Beutel, Albrecht

Titel/Untertitel:

Protestantische Konkretionen. Studien zur Kirchengeschichte.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1998. X, 277 S. gr.8. Kart. DM 59,-. ISBN 3-16-146856-2.

Rezensent:

Siegfried Bräuer

Unter den kirchengeschichtlichen Aufsatzbänden der letzten Jahre nimmt der vorliegende mit seinen zehn Studien aus den Jahren 1990 bis 1997 durch seinen geistesgeschichtlich-hermeneutischen Ansatz eine Sonderstellung ein. Nur die beiden 1997 vorgetragenen Arbeiten "Praeceptor Germaniae - Doctor ecclesiae. Melanchthons Selbstverständnis als Gelehrter" (124-139) und "Gespiegelte Wirklichkeit. Religion, Konfession und Kirchliches Amt in Grimmelshausens ,Simplicissimus'" (140-160) waren bislang ungedruckt.

In seiner Tübinger Antrittsvorlesung von 1995, "Vom Nutzen und Nachteil der Kirchengeschichte. Begriff und Funktion einer theologischen Kerndisziplin" (1-27) tritt der Autor angesichts der gegenwärtigen Tendenz zur frömmigkeits-, mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Fragestellung für eine Stärkung des theologiegeschichtlichen Zugangs zur Kirchengeschichte ein. Diese systematisch-theologische Akzentuierung verbindet er mit einer weiteren im Gefälle der Praktischen Theologie. Er plädiert für eine Erweiterung des kirchengeschichtlichen Quellencorpus durch die Zeugnisse aus der Geschichte der Bibelauslegung und der Predigtgeschichte. Er gibt zu erkennen, dass für ihn die Notwendigkeit, einem Trend entgegenzusteuern, auch mit persönlicher Neigung verknüpft ist (19 f.). Mit dem Habilitationsvortrag "Lehre und Leben in der Predigt der lutherischen Orthodoxie. Dargestellt am Beispiel des Tübinger Kontroverstheologen und Universitätskanzlers Tobias Wagner (1598-1680)" enthält der Band auch ein Beispiel der vorgeschlagenen Arbeitsweise (161-191). B. macht hier deutlich, dass sich in der predigtgeschichtlichen Perspektive die traditionelle Sichtweise verändern kann. So lassen sich im Falle des Predigers Wagner übliche frömmigkeits- und theologiegeschichtliche Kategorien nicht ohne Weiteres gegeneinandersetzen. Lehre und Leben sind nicht zu trennen. Konfessionalismus und Pietismus erscheinen in predigtgeschichtlicher Sicht eher als "zwei Faktoren eines Gesamtprozesses" (190).

Durch B.s Monographie über Luthers Sprachverständnis ist ein Interesse an der Sprachproblematik und insbesondere an Luthers Verhältnis zur Sprache bekannt. Der Band enthält drei Beiträge zu diesem Themenkreis: "Sprache und Religion. Eine fundamentaltheologische Skizze" (226-247); "Erfahrene Bibel. Verständnis und Gebrauch des verbum dei scriptum bei Luther" (66-103); ",Scriptura ita loquitur, cur non nos?' Sprache des Glaubens bei Luther" (104-123). Die beiden Vorträge über Luther berühren sich in der Stoffdarbietung und Gedankenführung teilweise. Der Beitrag "Erfahrene Bibel" ist geprägt von einer Vielzahl an Lutheräußerungen und Luthers Sprachkraft. Er bietet eine gut lesbare Einführung in Luthers Schriftverständnis. Anders verhält es sich mit den Ausführungen zur Sprache des Glaubens bei Luther. Sie sind in einer betont akademischen Diktion gehalten. Sie sind auf einem Pastoralkolleg in der ehemaligen Wirkungsstätte des Rez. vorgetragen worden. Da sich das Fassungsvermögen der Pfarrerschaft kaum einschneidend verändert hat, ist nur ein besonders interessierter Hörerkreis vorstellbar.

Der Aufsatz ",Gott fürchten und lieben'. Zur Entstehungsgeschichte der lutherischen Katechismusformel" (45-65) ist in anderer Fassung in ThLZ 121 (1996) veröffentlicht worden. Eine lohnende Lektüre haben die beiden Grenzüberschreitungen in die Literaturgeschichte zu bieten, der bereits erwähnte Beitrag über Grimmelshausen und die erhellende Interpretation des "Abendliedes" von Matthias Claudius, der als "frommer Außenseiter" vorgestellt wird, "Jenseits des Monds ist alles unvergänglich" (192-225).

Dem sorgfältig gedruckten Band sind neben Entstehungs- und Veröffentlichungsnachweisen Personen- und Sachregister beigegeben. Ein Abkürzungsverzeichnis fehlt.