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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

644–646

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Olschewski, Ursula

Titel/Untertitel:

Erneuerung der Kirche durch Bildung und Belehrung des Volkes. Der Beitrag des Dortmunder Humanisten Jacob Schoepper zur Formung der Frömmigkeit in der frühen Neuzeit.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1999. IX, 348 S. gr.8= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 141. Kart. DM 90,-. ISBN 3-402-03805-6.

Rezensent:

Volker Leppin

Dass es sich lohnen kann, den Sonderfall zum Thema zu machen, belegt die vorliegende Bochumer katholisch-theologische Dissertation von Ursula Olschewski: Dortmunds Weg zur Reformation ist gewiss alles andere als typisch, der Dortmunder Humanist Jacob Schoepper in der Zeit von Schmalkaldischem Krieg und Interim sicher auch nicht der Normaltheologe seiner Zeit und eben darin sind beide interessant.

Nach den üblichen Vorüberlegungen zu Forschungsstand und Methode stellt O. im dritten Abschnitt des ersten Teils Schoeppers Person kurz vor. Viel weiß man nicht von ihm: Ab 1543 ist er in Dortmund als Prediger belegt, beginnt dann mit der Abfassung didaktischer Dramen und schließlich auch katechetischer Schriften: Ein Katechismus erschien 1548; schon ein Jahr nach dieser verschollenen ersten Auflage folgte eine zweite, in altgläubigem Sinne bearbeitete. Nach dem Tode Schoeppers (1554) erschienen mehrere Sammlungen seiner Predigten.

Deren Auswertbarkeit für Schoeppers Tätigkeit allzu rasch entgegen der gelegentlich geäußerten Vermutung postumer Bearbeitung durch Johann Lambach voraussetzend, geht O. im zweiten, zentralen Teil (Kapitel 4-12) ihrer Arbeit den Lehren Schoeppers nach; durch diesen Teil zieht sich die stete Betonung der Ausrichtung von Schoeppers Schrifttum an "der religiösen Wissensvermittlung und ... der Formung der Frömmigkeit" (9). Ein noch wichtigerer Grundgedanke aber ist, dass die Betonung des "sola fide" im Rechtfertigungsgeschehen, die O. im vierten Kapitel darlegt, Schoepper nicht aus dem altgläubigen System hinausgeführt habe. Immer wieder wird gezeigt, dass auch Aussagen Schoeppers, die reformatorisch klingen, nicht im Sinne eines Anschlusses an die evangelische Partei zu verstehen sind.

O. macht dies insbesondere an der Vermittlung der Rechtfertigung durch die Sakramente, und zwar in ihrer Siebenzahl, fest: Kapitel für Kapitel werden Taufe und Firmung, Buße, Eucharistie, Ehe, Weihe und Krankensalbung behandelt (die Überschrift "Salbung der Kranken" statt "letzte Ölung" für das letztgenannte verdankt sich nicht nur heutiger katholischer Dogmatik, sondern durchaus einem begrifflichen Schwanken bei Schoepper selbst [232]). Fragen, die der hier offenkundig altgläubige Charakter von Schoeppers Darlegungen aufwirft - etwa nach dem Verhältnis solch moderater Theologie nicht nur zu allgemeinen humanistischen Bestrebungen, sondern auch zur konkreten Situation ab 1548 -, werden leider nicht aufgeworfen, und auch sonst bleibt - abgesehen von den wiederholt aufgewiesenen Entsprechungen des Schoepperschen Programms zu den Reformmaßnahmen in Jülich und Köln - die historische Konkretion in dem Hauptteil der Arbeit eher auf der Strecke. Die Gliederung anhand der Sakramente führt überdies dazu, dass Anweisungen zur Sonntagsheiligung unter die Eucharistieproblematik, Lehren zur Kinderunterweisung unter die Frage der Ehe subsumiert werden. Das kann man dogmatisch natürlich machen - ob es dem pädagogischen Anliegen Schoeppers und dem historischen Gesamtkontext im Rahmen der Sozialdisziplinierung gerecht wird, bleibt zu fragen.

Solche Fragen werden wenigstens angeschnitten in dem knappen abschließenden dritten Teil, der dem Dortmunder Humanismus und seiner Stellung zur Reformation gewidmet ist. Nach den vorherigen Ausführungen kann es nicht überraschen, dass dieses Verhältnis von O. nicht gerade als innig beschrieben wird. Trotz eines ärgerlich holzschnittartigen Bildes von reformatorischer Theologie, in dem deren vielgestaltiges Ringen um den theologisch angemessenen Status guter Werke ganz fehlt, wird man angesichts der Darlegungen O.s die Aufnahme Schoeppers in das Baukssche Lexikon westfälischer evangelischer Pfarrer mit mehr als einem Fragezeichen zu versehen haben.

Solche Fragezeichen sind allerdings auch hinter O.s eigenen Deutungsvorschlag zu setzen; ausdrücklich weist sie die Zuordnung Schoeppers zu einer Via media durch Heinz Schilling ab und will ihn ganz im Lager der Reformationsgegner verorten (297); das führt dann auch dazu, dass denkerische Spannungen, die sich etwa im Falle der Bemühung Schoeppers um die Bewahrung des Opfercharakters der Messe ergeben, nicht zureichend als Ausdruck ernsthafter Problematik eines redlichen Predigers im konfessionellen Spannungsfeld gewürdigt, sondern - anscheinend nach dem impliziten Maßstab eines tridentinischen Katholizismus - als "Unausgereiftheit" abgetan (173) werden.

Mit einer solchen Wertung aber wird gerade das Interessante- und letztlich wohl Anachronistische - an Schoepper eingeebnet: An seinem Auftreten und seiner Person bleibt bemerkenswert, wie hier noch in den vierziger Jahren voller Optimismus ein Ansatz zur Kirchenreform verfolgt wird, der in vielem Erasmus verpflichtet bleibt, dabei durchaus von Luther gelernt hat und doch den Rahmen der alten Kirche nicht verlassen will. Seine Kenntnis macht unser Bild vom Reformationsjahrhundert, insbesondere vom Übergang der Reformations- zur Konfessionalisierungszeit bunter. Hierzu stellt die Arbeit von O. - ungeachtet aller Zweifel an der Haltbarkeit ihrer Gesamtbewertung - einen gründlich gearbeiteten, gewichtigen Beitrag dar.