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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

632 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rahner, Johanna

Titel/Untertitel:

"Er aber sprach vom Tempel seines Leibes". Jesus von Nazaret als Ort der Offenbarung Gottes im vierten Evangelium.

Verlag:

Bodenheim: Philo 1998. IX, 381 S. gr.8 = Bonner Biblische Beiträge, 117. ISBN 3-8257-0097-6.

Rezensent:

Konrad Haldimann

Die überarbeitete Dissertation der Vfn. (bei L. Oberlinner, Freiburg i. Br. 1997) stellt auf dem Hintergrund hermeneutischer und systematisch-theologischer Überlegungen eine ausführliche Interpretation von Joh 2,13-22 vor. Neben einer knappen Hinführung und einem kurzen Epilog gliedert sich die Arbeit in drei Teile: Die ersten beiden Teile stellen einen Beitrag zur Diskussion über die Hermeneutik des JohEv dar, der dritte Teil bietet die ausführliche Exegese der Perikope von der Tempelaktion Jesu.

Das erste Kapitel (3-117) entwickelt zunächst ein hermeneutisches Konzept für die Auslegung des JohEv, das v. a. in Auseinandersetzung mit den Entwürfen von Bultmann, Käsemann und Schottroff entwickelt wird (3-72), seine Hauptimpulse aber von Ernst Fuchs erhält (110-117). Die Vfn. versteht den Inkarnationsgedanken des JohEv als den "Entwurf eines Zusammendenkens von Transzendenz und Immanenz" (11) und deutet, in Anlehnung und Kritik an Bultmann, den paradoxen Charakter der Offenbarung als unerwartetes (paradoxes) Sichtbarwerden der Herrlichkeit im Fleisch (5-12; vgl. 116 f.). Die Herrlichkeit wird dabei als der Zuspruch der Liebe verstanden, der den Kreuzestod Jesu als "Tat der Liebe Gottes" (112) zu verstehen gibt und damit als letztgültigen Ort der Offenbarung Gottes (114 f.). Um die Stimmigkeit der johanneischen Theologie herauszustellen, schlägt die Vfn. ein literaranalytisches Modell vor, das - im Gegensatz zum literarkritischen Schichtenmodell (72-87) - das Profil des JohEv aus dem Vergleich mit der synoptischen Tradition resp. den Synoptikern und der Analyse der redaktionellen Gesamtgestaltung gewinnen will (88-110). Dass das dabei favorisierte Konzept der Intertextualität aber mit weniger Schwierigkeiten beladen sei als die literarkritischen Zugangsweisen, müsste in einer weiteren Diskussion erst noch erwiesen werden.

Das zweite Kapitel (118-175) greift die Überlegungen zum JohEv auf und stellt sie in einen breiteren systematisch-religionsgeschichtlichen Zusammenhang. Die Vfn. versucht, dem Inkarnationsgedanken von der alttestamentlichen Frage nach dem Ort der Offenbarung Gottes und der johanneisch zugespitzten Frage nach ihrer Zeit weitere Konturen zu verleihen. Der Inkarnationsgedanke wird dabei als Ergebnis des konsequenten theologischen Durchdenkens der An- und Zusage des Reiches Gottes in der Verkündigung des historischen Jesus verstanden (154-166).

Das dritte Kapitel (176-340) bietet auf dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen eine umfangreiche Interpretation von Joh 2,13-22. Die Analyse der synoptischen Varianten der Tempelaktion Jesu (204-256) bestätigt zunächst das im ersten Kapitel vorgeschlagene methodische Vorgehen: Auch die Fassung des MkEv (aber in weiterem Sinne auch diejenige des Mt und Lk) ist primär aus ihrem Kontext und dem redaktionellen Profil des Evangeliums zu verstehen und nicht in Abhebung von einer hypothetischen, kaum mit distinktem Sinn zu bestimmenden Vorlage (diese ist umgekehrt eher als Sinnimpuls für jene zu verstehen). Das johanneische ,Diptychon' von Tempelaktion und Zeichenforderung wird danach inkarnations- und kreuzestheologisch ausgelegt. Die Eckpfeiler der vorgelegten Interpretation sind: Die Gestaltung der eigentlichen Tempelaktion (2,14-16) zielt auf dem Hintergrund von Sach 14,21 auf die Vergegenwärtigung endzeitlicher Hoffnung in der Person Jesu (272-276). Diese personale Ausrichtung wird in 2,17 durch die Zitation von Ps 69,10 passions- und kreuzestheologisch zugespitzt (276-281). Die sich anschließende Zeichenforderung (2,18) verweist in ihrer spezifisch johanneischen Problematik auf die unaufgebbare Verknüpfung von Handlung und Person, Geber und Gabe, Theologie und Christologie (281-292). Explizit gemacht wird dieser Sinnhorizont durch die Gestaltung des Tempellogions (2,19-21), das nicht auf die Auferstehung, sondern inkarnationstheologisch auf die leiblich gegenwärtige Präsenz Jesu zu beziehen ist (292-311).

Vermag die vorgelegte Auslegung von Joh 2,13-22 die Diskussion über die Inkarnations- und Kreuzestheologie des JohEv weiterzubringen? Zum einen ist dies zu bejahen: Die sorgfältige Auslegung des Textes auf dem Hintergrund der hermeneutischen Diskussionslage zeigt, dass eine dualistische oder doketistische Auslegung des Inkarnationsgedankens im JohEv nur schwer zu halten ist. Zum anderen lässt die Auslegung aber auch eine die Johannesexegese oft begleitende Unbestimmtheit deutlich sichtbar werden: Dass das JohEv erzählpragmatisch auf den Tod Jesu ausgerichtet und insofern am Kreuz orientiert ist, lässt sich nicht bestreiten. Was aber bedeutet das Kreuz im JohEv? Die von der Vfn. betonte Einheit von Kreuz und Verherrlichung ist nicht von der Hand zu weisen. Was aber bedeutet in diesem Fall ,Einheit'? Liefert das JohEv selbst Anhaltspunkte, wie eine Analyse dieses Begriffes vorzunehmen wäre? Welche Eindeutigkeit lässt sich erreichen, um die hermeneutischen Alternativen zu gewichten? Ungeachtet dieser Rückfragen kommt der Vfn. unzweifelhaft das Verdienst zu, die Impulse der Hermeneutik von Ernst Fuchs für die Johannesexegese ausgearbeitet und auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionslage akzentuiert zu haben.