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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

630 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kraus, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Zwischen Jerusalem und Antiochia. Die "Hellenisten", Paulus und die Aufnahme der Heiden in das endzeitliche Gottesvolk.

Verlag:

Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1999. 192 S. 8 = Stuttgarter Bibelstudien, 179. Kart. DM 45,80. ISBN 3-460-04791-7.

Rezensent:

Ulrich Mell

Von den Gemeindeleitungsbriefen des Paulus und der Darstellung der frühen Christenheit in der Apg die vom "Stephanuskreis" und der Gemeinde von Antiochia begonnene und verantwortete Mission über Israel hinaus nachzuzeichnen, bildet das Zentrum einer urchristlichen Geschichte des Anfangs. K. will bei seinem mutigen Buch kein Historiker,1 auch kein Paulus und Lukas diachron auf Tradition analysierender Literaturwissenschaftler sein. Er ist auch kein judaistisch ausgerichteter Neutestamentler, der die christliche Gottesvolkkonzeption auf dem Hintergrund der seit dem "hellenistischen Schock" von 167 v. Chr. im Judentum virulenten Identitätsproblematik beschreibt. Er ist ein biblischer Theologe, der atl. Konzeptionen einer Öffnung des Gottesvolkes (z. B. Sach 2,14 f.; Am 9,11 f. LXX) in urchristlicher Literatur wiederfindet (vgl. Apg 15,14ff.). Zugleich möchte er seinen Kritikern (vgl. ThLZ 122, 1997, 443) zeigen, dass seine Thesen zur paulinischen Sühntheologie2 wie Ekklesiologie3 geschichtlich verifizierbar sind.

Nach K. s Urteil ist Voraussetzung der endzeitlichen Ausdehnung der Ekklesia Gottes über Israel hinaus auch auf Nichtjuden die Kultkritik der "Hellenisten" (Apg 6,14). Ihre Soteriologie belegt Röm 3,25 f., insofern Jesu Totenauferstehung das Ende des Jerusalemer Tempelkultes bedeutet. Die Samaritaner-Mission von Philippus (Apg 8,4-25) geschieht als "Grenzüberschreitung" zur "endzeitliche[n] Restauration Israels" (58), wird in der Taufe von "Gottesfürchtigen" (Beispiel: Vv. 26-40) fortgesetzt (61) und gipfelt in Antiochia in der "programmatischen" Völkermission (65).

Die "Hellenisten" demontieren also die scharfe Trennungslinie zwischen dem Gottesvolk Israel und den Völkern. Paulus, der im Rahmen ihrer beschneidungsfreien Mission zum Völkerapostel wird, setzt ihr Werk fort. Die Einführung der Taufe als funktionaler Ersatz der Beschneidung fördert ihren Verzicht bei Völkerchristen (110).

Wird in Jerusalem Paulus bestätigt, dass "Heidenchristen ... durch den Glauben und die Taufe als Vollmitglieder in das Gottesvolk aufgenommen" sind (156), so zeigt jedoch der spätere Streit zwischen Petrus und Paulus (Gal 2,11 ff.), dass die "Hellenisten" "die Heidenchristen als [zu Israel] Hinzukommende" betrachten (167). Ihre Position beschreibt das "Aposteldekret" (Apg 15,20), insofern es um der Reinheit judenchristlicher Gemeindeglieder gesetzliche Minimalforderungen an Völkerchristen stellt (153). Während Paulus zu der Überzeugung weiterschreitet (vgl. Gal und Röm), "wonach die Heiden eigenständig in Christus erwählt und damit den Gläubigen aus Israel gleichgestellt sind" (170), wird diese Konsequenz von den "Hellenisten" nicht geteilt. K. schliesst: "So stehen die ,Hellenisten' ,zwischen' Jesus und Paulus, Paulus aber ,zwischen' Juden (-christen) und Heiden(-christen)" (171).

Die geschichtlich vorgehende, ohne Griechischkenntnisse verständliche Ausführung stellt abweichende Ansichten in kritischer Beleuchtung vor. Das jeweilige Ergebnis formuliert K. z.T. anhand der Vorgaben seines Lehrers J. Roloff. Den abwertende Begriff "Heiden(-christen)" hätte K. besser durch "Völker(-christen)" ersetzt.

K.s These lautet, dass die christliche Definition des endzeitlichen Gottesvolkes die Entwicklungsschritte des Christentums aus dem Judentum, aber auch die innerchristlichen Konflikte um diese Entwicklung verständlich macht. Ob bereits das damaszenische Erwählungsprogramm gezielt nichtjüdische "Gottesfürchtige" an Israels Heil beteiligt und Paulus sich dementsprechend schon bei seiner Berufung als Völkermissionar versteht, dürfte auf Grund von Apg 11,19 f. zu korrigieren sein: "Jerusalem" wird Paulus das in Antiochia konzipierte Völkerevangelium bestätigen und verleiht ihm den Apostelstatus (Gal 2,7 f.). Wie die Kollektenvereinbarung zeigt (V. 10, vgl. Röm 15,27), gibt es - anders als K. es will - nur Israels Erwählung. Dass der Jerusalemer Kompromiss "zwei Evangelien - eine Erwählung" bei der Frage des Zusammenseins von Israel- und Völkerchristen in ein und derselben Gemeinde reinheitsgesetzliche Probleme bereitet, kann K. deshalb nicht erklären.

Resultat: Ein Studium des Buches hilft das Problem "Gottesvolk" als ein wichtiges, aber nicht, wie K. konstruierend möchte, als das wichtige Thema im Urchristentum zu identifizieren. Dabei fällt auf, dass eine Gesamtanschauung fehlt, die die von Jesu Basileiaverkündigung ausgehende Neubestimmung des Gottesverhältnisses in der nachösterlichen Gemeinde unter dem Geist des toraunabhängigen Auferstehungsevangeliums problemorientiert zu beschreiben vermag.

Fussnoten:

1) Vgl. M. Hengel/A. M. Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (WUNT 108), Tübingen 1998.

2) W. Kraus, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe (WMANT 66), Neukirchen-Vluyn 1991.

3) Ders., Das Volk Gottes (WUNT 85), Tübingen 1996.