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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

616–618

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Evans, Craig A., and James A. Sanders [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Function of Scripture in Early Jewish and Christian Tradition.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1998. 350 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament. Suppl. Series 154. Studies in Scripture in Early Judaism and Christianity, 6. Lw. £ 55.-. ISBN 1-85075-830-1.

Rezensent:

Beate Ego

Der vorliegende Band stellt eine Sammlung von Beiträgen dar, die im Rahmen der Programmeinheit "Scripture in Early Judaism and Christianity" der "Society of Biblical Literature" entstanden sind. Der erste Teil des Werkes versammelt unter der Überschrift "Formation of Sacred Tradition in the First Temple Period" insgesamt fünf Beiträge: Elaine A. Phillips behandelt in ihrem Aufsatz "Incredulity, Faith, and Textual Purpose: Post-biblical Responses to the Laughter of Abraham and Sara" (22-33) die nachbiblischen Ausdeutungen des Unglaubens von Abraham und Sara angesichts der Sohnesverheißung und verweist auf die durch den jeweiligen sozioreligiösen Kontext bedingten unterschiedlichen Erklärungen bei Philo und Josephus, im Jubiläenbuch sowie im Targum und in Bereshit Rabba. Judith H. Newman untersucht in ihrem Beitrag: "Lot in Sodom: The Post-Mortem of a City and the Afterlife of a Biblical Text" (34-44) die Interpretationen von Gen 18-19 bei Josephus und dem frühmittelalterlichen Midrasch Pirqe de Rabbi Eli'ezer sowie die Rezeption des Motivs in Mt 10,15 und 11,24. Auch in dem Beitrag von Paul Borgman "Abraham and Sara: Literary Text and the Rhetorics of Reflection" (45-77) stehen die Abraham-Sara-Überlieferungen im Zentrum des Interesses, wenn verschiedene Aspekte des Abrahambildes bei Philo, Paulus, Clemens, Augustin, Calvin bis hin zu Stimmen von modernen Alttestamentlern wie Gerhard von Rad und Walter Brueggemann zusammengestellt werden und der Vf. sowohl auf belehrende als auch apologetische Funktionen der Schriftauslegung verweist. In ihrem zweiten Beitrag beschäftigt sich Elaine A. Phillips unter der Überschrift "The Singular Prophet and Ideals of Torah: Miriam, Aaron, and Moses in Early Rabbinic Texts" (78-88) mit der rabbinischen Interpretation zu Num 12,1.2, wobei sie deutlich macht, dass für die Rabbinen familiäre Werte und die persönliche Frömmigkeit bei ihrer Auslegung im Vordergrund stehen. George W. Buchanans Aufsatz "Isaianic Midrash and the Exodus" (89-109) schließlich bildet den Versuch, innerbiblische Bezüge zwischen Ex 15; Ps 104; Jes 11;12,27.43 und 51 aufzuzeigen; diese werden als frühe Formen der Midraschexegese verstanden.

Der zweite Teil des Buches mit der Überschrift "Biblical Interpretation in the Second Temple Period" enthält einen weiteren Beitrag von Judith H. Newman "Nehemiah 9 and the Scripturalization of Prayer" (112-123). Hier stellt der Vf. die unterschiedlichen Referenzen von Neh 9 auf frühere Formulierungen der Schrift zusammen und macht darauf aufmerksam, dass in der Spätzeit des Alten Testaments traditionelle Sprachelemente eine wichtige Rolle in der Gebetssprache spielen. Richard A. Freund "The Dekalog in Early Judaism and Christianity" (124-141) untersucht die biblischen Versionen des Dekalogs in Mt 19,16-22; Mk 10,17-22 und Lk 18,18-23 sowie dessen Auslegung in der Didache, bei Clemens von Alexandria, bei Hippolyt und Tertullian und macht deutlich, dass dieser als "a general vehicle for an ongoing revelation of moral concerns" fungiert. Peter Enns, "A Retelling of the Song at the Sea in Wisdom 10.20-21" (142-165), wiederum legt den Akzent auf die Auslegungstraditionen in der Weisheit Salomos; diese zeigen, dass die frühjüdische Schriftauslegung auch im Hinblick auf eine Erklärung des Textes zielt. Will Soll, "The Family as Scriptural and Social Construct in Tobit" (166-175) veranschaulicht, wie im Buche Tobit der zentrale Wert der Familie durch Schriftauslegung in den Vordergrund gestellt werden. Randall Buth, "A More Complete Semitic Background for aVna rb 'Son of Men'" (176-189), versucht den Begriff des Menschensohns in seinen linguistischen Dimensionen auszuloten. Mit einem Beitrag von Steve Delamarter, "The Vilification of Jehoiakim (a. k. a. Eliakim and Joiakim) in Early Judaism" (190-204), schließt der zweite Teil des Bandes; danach bestand eine der wesentlichen Tendenzen der Schriftauslegung darin, den Charakter der biblischen Figuren in eindeutiger Weise zu zeichnen.

Der dritte Teil des Buches schließlich beschäftigt sich mit der Schriftauslegung in rabbinischer und patristischer Zeit ("Interpretation in the Rabbinic and Patristic Period"): Esther M. Menn, "Sanctification of the (Divine) Name: Targum Neofiti's 'Translation' of Genesis 38.25-26" (206-240), zeigt, dass der Targum zu Gen 38 eine kreative Nacherzählung zu Gen 38 darstellt, der es darum geht, die beiden Akteure Juda und Tamar von ihrer Schuld freizusprechen. Joan E. Cook, "Hanna's Later Songs: A Study in Comparative Methods of Interpretation" (241-261), verweist auf die eschatologische Dimensionen der frühjüdischen Auslegung von 1Sam 2 (Targum und Pseudo-Philo) und zeigt zudem die Bezüge zu Lk 1,46-55. Larry L. Lyke ,"What Does Ruth Have to Do with Rahab? Midrash Ruth Rabba and the Matthean Genealogy of Jesus", (262-284) untersucht die Auslegungstraditionen, die sich um die in Mt 1,1-17 erwähnten Frauen ranken. Ruth Anne Clements "ÙÏÂÈÔ ôÌÌÔ: The Influence of Palestinian Jewish Exegesis on the Interpretion of Exodus 12.5 in Origen's Peri Pascha" macht deutlich, dass Origenes in seiner Bibelexegese auf jüdische Traditionen zurückgreifen kann, um seinen Aussagen mehr Autorität zukommen zu lassen. Stephen S. Taylor, "Paul and the Persian Sage: Some Observation on Aphrahat's Use of the Pauline Corpus" (312-331), schließlich untersucht die Paulus-Rezeption des syrischen Kirchenvaters, wobei ein besonders Augenmerk auf das Verständnis von Gesetz und Gnade gelegt wird. Ein Stellen- und Autorenregister beschließt das Werk (332-345.346-350).

Die hier versammelten Beiträge mit ihrer Fülle von Einzelbelegen geben - wenn auch in unterschiedlicher Qualität - einen interessanten Einblick in die Produktivität frühjüdischer und -christlicher Schriftauslegung und stellen so eine Fundgrube für jeden dar, der die Auslegung einzelner und zum Teil ja auch sehr zentraler biblischer Belege wie der Väter- oder der Exodustration verfolgen möchte. Problematisch dagegen erscheint die Gesamtkonzeption des Bandes im Hinblick auf den gewählten Titel und die einzelnen Überschriften, wenn eigentlich nur einzelne Ausführungen im ersten Buchteil (nämlich in den Arbeiten von Phillips und Buchanan) sich tatsächlich - wie in der Überschrift angekündigt - auf die Traditionsbildung in der Zeit des Ersten Tempels beziehen; die anderen Darlegungen sowie auch die übrigen Aufsätze dieses Teils mit ihren zahlreichen frühjüdischen, rabbinischen und patristischen Belegen lassen sich dieser Rubrizierung nicht zuordnen. Enttäuscht wird zudem, wer in diesem Band tatsächlich zusammenhängende Darlegungen zur Funktion der Schrift in der besagten Epoche sucht. Hier ist man auf einzelne, mehr oder weniger umfangreiche Hinweise in den einzelnen Arbeiten angewiesen; eine Evaluation oder Systematisierung der Einzelergebnisse bzw. Beiträge, die dieses Phänomen in seiner Komplexität aufzuarbeiten versuchen, fehlen dagegen. So hat man das Gefühl, der Band bleibt bei der Fülle der Phänomene und des Materials stehen.