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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

620 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Johannes

Titel/Untertitel:

Messianische Texte aus Qumran. Königliche, priesterliche und prophetische Messiasvorstellungen in den Schriftfunden von Qumran.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. XVIII, 542 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 104. Kart. DM 138,-. ISBN 3-16-147057-5.

Rezensent:

Wolfgang Fenske

Diese überarbeitete Fassung der 1996 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenommenen Dissertation ist durch äußerst kompetente Darlegung der zum Thema relevanten Qumrantexte und durch sorgfältige Argumentation gekennzeichnet.

Nach einer Einleitung (1-22), die unter anderem allgemeine Aspekte zu den Schriftrollen von Qumran und zum methodischen Vorgehen nennt, werden unter den überschriften "Die ,Gesalbten Aarons und Israels’" (Kapitel 2; 23-45), "Herrscherliche und ,königliche’ Gesalbtenvorstellungen" (Kapitel 3; 46-229), "Priesterliche Gesalbtenvorstellungen" (Kapitel 4; 230-311), "Prophetische Gesalbtenvorstellungen" (Kapitel 5; 312-417) die jeweils wesentlichen Qumrantexte vorgestellt. Ein kurzes Kapitel 6 (418-427) behandelt "Sonstige Texte" (1QIsaa, 1QH 11(=3),6-18 und 1Q30). Das 7. Kapitel (428-469) sucht die unterschiedlichen genannten Vorstellungen miteinander zu verbinden (bes. ausgehend von 4Q175). Darüber hinaus enthält es weitere thematisch orientierte Untersuchungen ("Der Lehrer der Gerechtigkeit", "Qumranische Gesalbtenvorstellungen im frühjüdischen Kontext", "Zwei ,Messiasse’ in Qumran?" und einen "Ausblick ins Neue Testament"). Der Zusammenfassung (Kapitel 8; 470-480) werden ein Literaturverzeichnis, Stellen-, Autoren-, Sach- und Themenregister angeschlossen sowie ein Register hebräischer und aramäischer Begriffe. Die einzelnen Textuntersuchungen sind recht übersichtlich und klar: Es werden die jeweiligen Texte vorgelegt, angeschlossen daran werden übersetzungen und Anmerkungen. Diese Anmerkungen diskutieren Detailfragen der Forschung zur Textüberlieferung und nennen unter anderem mögliche Traditionen. Es folgen Textinterpretationen zum Thema. Fragen zur Entstehungszeit des Textes und dem Verfasser desselben werden angesprochen, zuletzt werden die jeweiligen Ergebnisse zusammengefasst. All diese Punkte verdeutlichen die Kompetenz des Vf.s, sowohl in sprachlichen Diskussionen, die bei solchen fragmentarischen Texten nicht ausbleiben können, als auch in der Wiedergabe der Forschungslage. Im Detail unterschiedliche Auffassungen in dieser Rezension wiederzugeben ist nicht sinnvoll, da die Arbeit selbst immer wieder unterschiedliche Positionen benennt und diskutiert. Freilich kann man bekanntlich dennoch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Angenehm ist, dass Z. das, was nicht zu lösen ist, weithin offen lassen kann.

Zur Darlegung der Qumrantexte bleibt nichts mehr hinzuzufügen, außer dass eine Positionsbestimmung angesichts der Arbeiten von J. J. Collins (The Scepter and the Star, 1994) und Oegema (Der Gesalbte und sein Volk, 1994) vermisst wird. Für eine neutestamentliche Dissertation wünschte sich der Leser eine vertiefte Darstellung der Traditionsstränge zwischen Qumranschriften und neutestamentlichen Schriften - was zugestandenermaßen eine neue Arbeit ergeben würde. Eine solche wäre angesichts dieser vorgelegten Dissertation zu begrüßen, in der Z. mit seinem immensen Wissen einen fundierten Diskussionsbeitrag erahnen lässt.

Dennoch seien Anmerkungen erlaubt: Z. folgert aus den Untersuchungen zu den Qumrantexten für die Forschung zum Neuen Testament: "Durch die Qumrantexte haben sich ... die Versuche überlebt, ,prophetisch’ und ,messianisch’ auseinanderzudividieren und das irdische Wirken Jesu zwar als ,prophetisch’, aber nicht als ,messianisch’ zu verstehen; daher ist angesichts des neuen Materials aus Qumran die Frage nach der irdischen Wirksamkeit und dem damit verbundenen messianischen Anspruch Jesu erneut zu stellen." (467) Dieses Zitat lässt erkennen, dass einige der vorhandenen Andeutungen zur Messiasfrage im Neuen Testament sehr vereinheitlichend sind (vgl. auch: "... bereits in vorchristlicher Zeit [konnte] der ,Menschensohn’ von Dan 7 als ,Sohn Gottes’ verstanden werden ... Damit ergäbe sich auch ein plausibler Hintergrund für das neutestamentliche Nebeneinander der Bezeichnungen ,Menschensohn’ und ,Gottessohn’ für Jesus ... Auch der Verbindung von Davidssohnschaft und Gottessohnschaft Jesu (wie z. B. in Röm 1,3 f. und Lk 1,32 ff.) wäre auf dieser Grundlage weiter nachzugehen." [168 f.]). Auf Grund dieses Bestrebens, Aussagen zu vereinheitlichen, wenngleich argumentativ, sind sie auch außerhalb neutestamentlicher Fragestellung manchmal spekulativ (z. B. "Da dies [sc. Verbindung von Priesterschaft mit Melchisedek in der Tradition] somit gewissermaßen zu seiner Identität gehört, ist zu erwarten, daß diese Vorstellung auch in 11QMelch zugrundeliegt." [404 f., kursiv Rez.].). Freilich bleibt ein wenig Spekulation bei der fragmentarischen überlieferung vieler Qumrantexte nicht aus, wie die Forschung insgesamt zeigt. Eine fragmentarische Aussage wird sehr intensiv mit altestamentlichen Traditionen verbunden, so dass diese ihre Eigenständigkeit verliert. Diese im Grunde häufig vorgeführte begrüßenswerte "Relecture" müsste auf methodisch festeren Boden gestellt werden - ein Desiderat, das allerdings nicht zu Lasten von Z. geht, da das Problem in der neutestamentlichen Forschung insgesamt ungeklärt ist. Die enge Verbindung von Qumrantexten mit alttestamentlichen und frühjüdischen Schriften herauszustellen, liegt nahe, steht aber zu sehr im Vordergrund. So schließt Z. aus 4Q534 in Folge umfangreicher Argumentation auch mit Blick auf die Henochtradition: "Die Weisheit, die als Henoch schon auf Erden war, wird dann im Messias wieder erscheinen, den man sich gewissermaßen als Henoch redivivus vorstellen könnte ..." (202).

Es bleibt zu fragen: Sind gerade im Zusammenhang von 4Q534 nicht auch stärker pagane Parallelen zu berücksichtigen, statt eine einlinige Herleitung von alttestamentlichen bzw. frühjüdischen Traditionen zu betonen? Diese Frage ist gerade angesichts des methodischen Ausgangspunktes von Z. zu stellen. So heißt es, dass "die Messiasvorstellungen, die wir in den Qumrantexten vorfinden, ... in erster Linie als Schriftauslegung zu verstehen (sind)" (453 f.). Dem ist zweifelsohne so, doch könnte die Sprache, in der die Qumrangruppe die Schrift auslegt, nicht von ägyptischen und anderen Traditionen geprägt sein? Die Schriftauslegung, verbunden mit den jeweiligen politischen Situationen, ist für Z. Hintergrund der unterschiedlichen Messiasvorstellungen. Gleichzeitig bieten die aktuellen Situationen aber auch die Einheit, weil sie die Messiasvorstellung nur unterschiedlich konkretisieren. Einen solchen "Mittelweg" (453) geht Z. auch gegen die Auslegungstradition, die eine einheitliche Messiaserwartung in Qumran vertritt, bzw. gegen die Tradition, die eine Entwicklung in der Messiaserwartung hervorhebt, oder die Unterschiedlichkeit betont (447-453). Z. spricht lieber von "Akzentverschiebung": "in unterschiedlichen Zeiten standen verschiedene Aspekte der messianischen Erwartung im Vordergrund." (452)

Um das eingangs Erwähnte zu wiederholen: Der Rez. hofft, trotz seiner Anmerkungen, dass Z. mit dem hier vorgelegten Wissen über jüdische Messiaserwartungen der neutestamentlichen Forschung über die vorgelegten Andeutungen hinaus neue Impulse gibt.