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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

614–616

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Charlesworth, James H., Lichtenberger, Hermann, and Gerbern S. Oegema [Eds.]

Titel/Untertitel:

Qumran-Messianism. Studies on the Messianic Expectations in the Dead Sea Scrolls.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. XI, 237 S. gr.8. Lw. DM 198,-. ISBN 3-16-146968-2.

Rezensent:

Wolfgang Fenske

Dieses Buch beinhaltet Aufsätze und Vorträge unterschiedlichen Ursprungs: "The papers collected here represent the proceedings of the SNTS Seminar Group on the Dead Sea Scrolls and Christian Origins" (V) - zu diesen gehören drei Aufsätze; darüber hinaus wurden vier Texte revidiert aufgenommen, die schon anderweitig veröffentlicht waren; vier weitere Aufsätze wurden aufgenommen, deren Herkunft im Vorwort nicht eigens erwähnt wird. Das Ziel dieser Vorgehensweise der Herausgeber: "this miscellany would provide under one cover the major reflections and data for assessing and perceiving Jewish messianic thought prior to 135 C. E., and in terms of the Dead Sea Scrolls, prior to 68 C. E." (V) Im Werk selbst werden diese Aufsätze in einer nicht erkennbaren Ordnung abgedruckt.

Das Buch wird eingeleitet von J. H. Charlesworth, "Introduction: Messianic Ideas in Early Judaism" (1-8). Diese Einleitung skizziert unterschiedliche Aspekte, so die Schwierigkeit der Terminologie zur Fragestellung und stellt "Key Questions", darunter solche nach der Verbreitung von Messiasvorstellungen im Judentum. Die Einleitung ist wohl an Menschen gerichtet, die mit der Materie nicht vertraut sind. Die Aufsätze sind jedoch anspruchsvoll.

Der Band beginnt mit einem Aufsatz von H. Lichtenberger ("Messianic Expectations and Messianic Figures During the Second Temple Period" [9-20] - auf deutsch schon veröffentlicht in E. Stegemann [Hrsg.], Messiasvorstellungen bei Juden und Christen, 1993). Dieser Aufsatz beinhaltet Abschnitte unterschiedlicher Art: Teil I (Saviour Figures in the Expectation of the Community of Qumran) ist sehr ausführlich, Teile II (Messianic Expectations and Figures in the Pseudepigrapha), III (Messianic Expectations in the Diaspora) und IV (Realization of Messianic-Political Expectations) sind äußerst knapp, und unerwartet schnell folgt Teil V: Conclusion. Dieser überblickhafte Aufsatz soll wohl eine Art vorgreifende Zusammenfassung der folgenden Aufsätze sein. Dennoch ist es mutig, ihn in dieser Form zur Verfügung gestellt zu haben, da sich der Exeget angesichts der folgenden zum Teil sehr ausführlichen Aufsätze dem Verdacht der Oberflächlichkeit aussetzt.

Es folgt ein ausführlicher Aufsatz von J. H. Charlesworth ("Messianology in the Biblical Pseudepigrapha" [21-52] - vgl. Ders., The Concept of the Messiah in the Pseudepigrapha, in: ANRW II.19.1, 1979). Dieser Text, der die Komplexität der Zukunftserwartungen der Pseudepigraphen darstellt, scheint ein Fremdkörper in einem Werk mit dem Titel "Qumran-Messianism" zu sein, bietet aber eine gute Möglichkeit, "Qumran-Messianism" anderen Messiasvorstellungen zuordnen zu können. Wenn allerdings mit diesem vorliegenden Band ein umfassender Blick beabsichtigt worden ist, vermisst der Leser doch einen Abschnitt über Messiasvorstellungen in alttestamentlichen Schriften oder eine ausführlichere Darstellung der Erwartungen, die mit den von Josephus geschilderten "Königsfiguren" verbunden sind.

Der Aufsatz von G. S. Oegema ("Messianic Expectations in the Qumran Writings: Theses on their Development" [53-82] - eine Zusammenfassung unterschiedlicher Kapitel seiner Monographie "The Anointed and his People", 1998) stellt recht ausführlich die Erwartungen der Qumrantexte vor. Zusammenfassend heißt es, dass die Messiasvorstellungen der untersuchten Qumranschriften "totally different" seien (81).

Im Aufsatz von F. Dexinger ("Reflections on the Relationship between Qumran and Samaritan Messianology" [83-99] - vgl. unter dem den Inhalt entsprechenderen Titel: Ders., "Der ,Prophet wie Mose’ in Qumran und bei den Samaritanern", in: A. Caquot u. a. [Eds.], Mélanges bibliques et orientaux, FS M. Delcor, 1985) wird diskutiert, inwiefern die Erwartung des Taheb in die Zeit des Zweiten Tempels zu datieren ist und welche Erwartungen damit verbunden sind.

J. J. Collins ("Jesus, Messianism and the Dead Sea Scrolls" [100-119]- erweiterter Text des in DSD 1995 veröffentlichten Aufsatzes: "’He Shall Not Judge by What His Eyes See’: Messianic Authority in the Dead Sea Scrolls") betont die Einheitlichkeit messianischer Vorstellungen, da sie zeitgemäße Modifizierungen älterer Traditionen seien. Zu christlichen Vorstellungen wird zum Beispiel gesagt, dass Jesus - mit Blick auf 4Q521 eher als prophetischer Messias (vgl. Elia) zu sehen ist. Die Verbindung Jesu mit dem davidischen Messias wird unter anderem mit Blick auf Josephus erklärt: Auch prophetische Gestalten wurden wie die Königsfiguren von Josephus revolutionär dargestellt.

Dem folgt ein weiterer Aufsatz von J. H. Charlesworth ("Challenging the Consensus Communis Regarding Qumran Messianism (1QS, 4QS MSS)" [120-134]): 4Q MS E enthält eine frühere Version der Gemeinschaftsregel, in der keine Messiaserwartung ausgesprochen wird; das bedeutet unter anderem, dass in früheren Stadien der Qumrangemeinschaft messianische Erwartungen nicht vorhanden waren.

Laut C. A. Evans "Are the ’Son’ Texts at Qumran Messianic?: Reflections on 4Q369 and Related Scrolls" [135-153] - erweiterter Text des in DSD 1995 unter dem Titel: "A Note on the ’First-Born-Son’ of 4Q369" veröffentlichten Aufsatzes) lassen die "Sohn-Aussagen" die Schlussfolgerung zu, dass in 4Q369 unter dem "Erstgeborenen Sohn" aller Wahrscheinlichkeit nach eine messianische, davidische Figur zu verstehen ist. Das bedeutet für das Neue Testament: "... what is metaphoric in the Qumran texts, and in other sources, has been incorporated by the evangelists into the story of Jesus ... has been realized in Jesus" (152 f.). Wichtig ist die Beobachtung insofern, als die "Sohn-Gottes-Vorstellung" nicht hellenistischen Ursprungs ist, sondern in jüdischen Schriften zu finden ist.

Der Aufsatz von G. S. Oegema ("Tradition-Historical Studies on 4Q252" [154-174]) schließt mit dem Fazit, dass besondere messianische Konzeptionen den historischen Umständen, in denen sie geäußert werden, angepasst werden. Das ist an 4Q252 erkennbar, da dieses Fragment aus Herodianischer Zeit eine ältere Version zur Grundlage hat. Fast wörtliche übereinstimmung finden sich in diesem Text von Oegema und in dem oben angesprochenen (vgl. 76 und 171).

Der Text von J. Zimmermann ("Observations on 4Q246 - ’The Son of God’" [175-190]) stellt nach einer diffizilen Argumentation fest: "This makes it highly likely that we should see 4Q246 as a poetic parallel to Daniel 7, possibly even as a further development of it" (187). Aus dieser Textverbindung wird geschlossen, dass der "Menschensohn" aus Daniel 7 als "Sohn Gottes" interpretiert werden konnte (188). Die übertragung dieses Ergebnisses auf das Neue Testament folgt für den Leser sehr unvermittelt, ist allerdings vom oben genannten Aufsatz von Collins schon vorbereitet worden (107-112). Wenn die Beobachtung anhand der Qumrantexte stimmen sollte, muss das auch auf frühchristliche Rezeption zutreffen? Diese These bedarf noch einiger Fundierung.

Der letzte Abschnitt von M. G. Abegg und C. A. Evans ("Messianic Passages in the Dead Sea Scrolls" [191-203]) zitiert noch einmal sämtliche Texte mit übersetzung, die in Bezug zur Messiasfrage Relevanz haben können. Kommentierungen werden angeschlossen.

Eine Bibliographie, zusammengestellt von M. G. Abegg, C. A. Evans und vervollständigt von G. S. Oegema, schließt das Werk ab, es folgen Personen- und Stellenindex.

Trotz der genannten herausgeberischen Schwächen führt das Buch in die Messiasvorstellungen von Qumranschriften und die der Umwelt (Pseudepigraphen und Samaritaner) gut ein (wenngleich der von Charlesworth herausgegebene Band: The Messiah: Developments in Earliest Judaism and Christianity, Minneapolis 1987, zur Umwelt vielfach weiterführend ist). Das wird erreicht durch die Kombination von Aufsätzen, die übersichten bieten, mit Aufsätzen, die die Fragestellung an umstrittenen Texten diskutieren. Eine erfrischende Spannung finden wir im Zusammenhang der Messiaserwartungen: Sind sie vielfältig oder einheitlich? Die Einheit (z. B. Collins, Zimmermann) wird dadurch erreicht, dass die vielfältigen Vorstellungen als zeitbedingte Rezeption der Tradition erscheinen, während die Vielfalt (z. B. Oegema, Charlesworth) dann betont wird, wenn die unterschiedlichen verwendeten Begriffe, Deutungen, Erwartungen im Vordergrund stehen und nicht miteinander oder mit vermuteten Traditionen verbunden werden. Diese methodische Spannung weist einen Weg für künftige Untersuchungen zu dieser Fragestellung.