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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

611–614

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Abraham ibn Esras

Titel/Untertitel:

Kommentare zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut. Eingel., übers. u. kommentiert von D. U. Rottzoll.

Verlag:

Berlin: de Gruyter 1999. XXX, 431 S. gr.8 = Studia Judaica, 12. Lw. DM 218,-. ISBN 3-11-016452-3.

Rezensent:

Johann Maier

Nach "Abraham ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte. Eingeleitet, kommentiert und übersetzt" (Berlin, Studia Judaica 15, 1996) legt nun Dirk U. Rottzoll übersetzungen der Kommentare zu Kohelet, Ester und Rut vor. Die Einleitung (XIII-XXX) informiert zu Aufenthalt und Werk Abraham ibn Ezra in Rom (1139/40-1142/43), weitere Informationen enthalten die Einleitungen zu den drei einzelnen Kommentaren.

Der erste, umfangreiche Hauptteil (1-256) bietet den Koheletkommentar. Die Einleitung stellt 1139 als Entstehungsjahr dieses Erstlingskommentars Ibn Ezras fest. Die Einleitung (1-21) dazu behandelt noch die Quellen des Kommentators, seine Methodik und die lexikographischen und grammatikalischen Erklärungen. Es folgen Hinweise auf philosophische, naturwissenschaftliche und allegorische Erklärungen. ähnlich sind auch die Einleitungen zu den beiden anderen übersetzungen gestaltet.

Verständnis und übersetzung des Einleitungsgedichts (4 und 24) sind nicht geglückt, es müsste in etwa heißen:

Höre ansprechende Worte

vom Autor Abraham,

die er in ein Buch geschrieben,

von einem erkennenden Geist,

Sohn des Me’ir heißt er,

mit Beinamen Ben Ezra genannt,

und von seinem "Felsen" als Hilfe

erbittet er dessen Lichtglanz,

seine Finsternis zu erhellen,

um Erfolg seinem Weg zu verleihen,

da er bis dahin geblieben

wie eine verdorrende Terebinthe,

und der sich von seinem Lande getrennt hat,

welches in Spanien liegt,

und nach Rom abgewandert ist

mit erschrockener Seele.

Dort bereitete er sein Herz,

zu erklären und zu lehren,

Gott anflehend,

dem die Hoffnung gilt,

ihm viel Kraft zu schenken,

und daß Er ihm Weisheit gebe,

und jede Schuld verzeihe

bei der Erklärung des Kohelet.

Im Namen dessen, bei dem die Herrschaft liegt,

fang ich an zu erklären Kohelet!

Nicht nur, dass die geläufige Gottesbezeichnung "Fels" (çûr) mit dem vorgesetzten m(in) "von, aus" als ein Wort verstanden und zu "Festung" missdeutet wurde, was keinerlei Sinn ergibt, auch andere Missverständnisse lassen das Gedicht als eine dem begabten Dichter unangemessene, wenig sinnvolle Reimerei erscheinen. In der philosophischen Terminologie ist rûach maskälät (hebräisch ein Femininum!), wie andernorts im Kommentar ja auch deutlich wird, auch hier nicht einfach "verständiger Geist", sondern die intelligible Seelenkraft, hier also das geistige Selbst des Kommentators, jedoch nicht der intendierte Leser. Dieser menschliche erkennende Geist erbittet (daher die Femininform!) als Hilfe die Erleuchtung durch Gottes (emanierende) Herrlichkeit (Lichtglanz), da er bislang noch nichts publiziert hat, wie ein "dürrrer Baum" war; das ist nach Is 1,30 ’elah (LXX Terebinthe), nicht ’elläh / "wie diese welkend", wie Rottzoll versehentlich voraussetzt und übersetzt.

Auch die unbeholfene übersetzung der die neuplatonische (nicht aristotelische) Seelen- und Erkenntnislehre voraussetzenden Anfangssätze lässt stutzen. So kann le-he’achez bam-ma`alôt hag-gebôhôt nicht "sich festzuhalten an den Stufen der Höhe" heißen. Es müsste lauten: "Ein Lebensweg nach Oben für den Erkennenden, um aus der Totenwelt zu entweichen. Denn wie der Wanderer, der gefangen worden ist, sich danach sehnt, in sein Heimatland zu kommen, um bei seiner Familie zu sein, so sehnt sich der erkennende Geist danach, die hohen Stufen zu erfassen, bis er aufsteigt zu ...". Eine Redewendung wie we-tasîb ’äl libbah wörtlich zu übersetzen als "Er aber wird zurückkehren zu seinem Herz", ist verwirrend, es muss heißen: "Aber sie (die erkennende Seele) richtet ihren Sinn darauf, ihren Grund zu erkennen und ihr Geheimnis zu schauen mit den Augen der Weisheit." Die "Söhne Gottes" sind übrigens wohl nicht die Sterne selbst, wie S. 25 Anm. 16 angegeben, sondern die sie regierenden separaten Intelligenzen. ärgerlich ist S. 25 auch ein Satz wie "und die beiden [Teile], die fehlen, werden abwesend sein, man vermag sie nicht [zu] finden." Es muß lauten: "und die beiden anderen sind nicht existent (n`drjm), es kann nicht sein, daß sie vorhanden sind (l’ jtqn sjmç’w)." Auch der folgende Passus ist terminologisch unzulänglich und missverständlich übersetzt. Da aber die philosophischen Passagen im Kommentar selber keine so große Rolle spielen, kann sich der Leser im Weiteren auf eine weitgehend korrekte Wiedergabe der Kommentierungen verlassen.

Vermeidbare Ungeschicklichkeiten begegnen leider immer wieder. S. 39 zu Koh 1,4 werden jld im Hif`il (zeugen) und Qal (gebären) nicht auseinandergehalten; S. 124 zu Koh 5,7 wird mah h-äfäç lam-maqôm shäl-lo’ jôshîa` ... übersetzt als "Was (für einen) Willen gibt es für Gott, daß er nicht hilft ..."; S. 180 zu Koh 8,7 kî ’ênännû übersetzt Rottzoll nisjônôt shän-nissah mit: "Versuche, die er versuchte", gemeint ist aber: "Erfahrungen, die er gemacht hat." S. 195 zu Koh 9,11 we-gam lo’ la-jôde`îm hen (und auch nicht den Wissenden Wohlgefallen) müsste es lauten: "In Sache(n) der Regierung, damit man ihn liebe und ihm Gehorsam leiste." Rottzoll übersetzt höchst umständlich: "(Hätte der Wissende Gunst) im Auge (b`jn) der Regierung, (verhielte es sich so), daß sie (sc. die Regierenden) ihn (sc. den Weisen) lieben und zu seinem Werk weichen würden." Nicht notwendig ist die Emendation von b`njn zu b`jn, und die hebräische Phrase jasûrû ’äl misma`atô ( aus 1Sam 22,14) wurde offensichtlich missverstanden oder der Text verlesen (m`sh).

Der zweite Hauptteil, der Kommentar zum Buch Ester, umfasst S. 259-371, davon die Einleitung S. 259-270. Hier sei nur ein für die Art der übersetzung kennzeichnendes Detail auf S. 370 erwähnt. Zu Koh 10,3 (we-raçûj le-rob ’äh-ajw / und wohlgelitten bei der Mehrheit seiner Brüder) wird kj ’jn jkwlt b’dm lrçwt hkwl b`bwr qn’t h’h-jm übersetzt: "Denn es gibt kein Vermögen im Menschen, die Gesamtheit zu wollen/lieben wegen des Hasses der Brüder." Die Bedeutung "zu wollen" entfällt hier sicher, und statt "wegen des Hasses " muss es lauten: "wegen der Eifersucht". In Anm. 11 dazu wird aus dem zweiten Esterkommentar Ibn Ezras zitiert und lhtrçwt mit "sich zuwenden" statt mit "sich beliebt machen" übersetzt.

Der Dritte Hauptteil enthält den Kommentar zum Buch Rut (375-422 mit einer Einleitung auf 375-382). Das kurze Eingangsgedicht übersetzt Rottzoll so: "Im Namen Gottes, er stärke meine Hand, und sein Gedenken lasse mein Lob (für immer) bestehen durch den Kommentar über die Rut-Rolle. Von Abraham (dem) Spanier". Aber jahazîq heißt nicht nur "er stärke", ja`amîd schwerlich "lasse bestehen", und hôdî ist sicher nicht "mein Lob". S. 404 oben zu Rut 2,17 Ende wird die Redensart "da freute er sich wjsb lbw bqrbw" wörtlich und falsch, daher unverständlich übersetzt: "und sein Herz wandte sich zurück in sein Inneres" anstatt: "und sein Herz beruhigte sich in ihm."

In der Bibliographie (423-431) wären auf alle Fälle zu ergänzen: C. del Valle Rodriguez, La obra grammatical de Abraham Ibn `Ezra, Madrid 1977; F. Diaz Esteban (ed.), Abraham ibn Ezra y su tiempo, Madrid 1990; seit Abschluss der übersetzung kam noch hinzu: Cohen J., Hagûtô ha-fîlôsôfît shäl R. ’Abraham ’ibn `Ezra’, Rishon le-Zion 1998. Die Wiedergabe der hebräischen Autorennamen Chavel und Kappach sind korrektur- bzw. ergänzungsbedürftig, die bibliographisch geläufigste fremdsprachliche Form des ersten Namens ist Shevvel, die des zweiten Kafah oder Kafeh.

Gegenüber dem Erstlingswerk von 1996 sind sicher deutliche Fortschritte zu bemerken. In formaler Hinsicht stören aber immer noch die unprofessionellen, umständlichen und oft unpräzisen Verweise auf Lesarten. Sprachlich fällt der reduzierte Gebrauch der Zeitstufen im Deutschen auf, was allerdings dem üblichen neudeutschen Sprachverfall entspricht. Immer noch herrscht eine terminologische Unsicherheit in Passagen philosophisch-theologischen Inhalts, man stolpert bei der Lektüre nämlich nicht nur über "die Akzidens". Und auch bei philologischen Termini technici wäre mehr Professionalität am Platz. Störend sind v. a. auch die zahlreichen allzu wörtlichen übersetzungen, die manchmal geradezu sinnwidrig sind; däräk z. B. sollte nicht immer als "Weg" übersetzt werden, ba`al sollte nicht als "Herr" übersetzt werden, wo "Besitzer/Träger von" am Platz ist. Im Deutschen wirkt es ungeschickt, wenn für rôb (meistens "Mehrheit") immer "Masse" erscheint, oder für ra’ûj nur "würdig", und kasher S. 126 zu Koh 5,10 mit jiddisch "koscher" zu übersetzen, ist doch komisch.

Immer noch ergibt sich auch der Eindruck, dass alles, was lexikographisch zwischen einem Bibellexikon und einem modernhebräischen Wörterbuch liegt, vom übersetzer als problematisch empfunden wird. Die meistens strikte Beibehaltung der syntaktischen Struktur ergibt von Mal zu Mal eine Wortfolge, die der deutschen Syntax nicht entspricht und den Eindruck eines unbeholfen formulierten Originals erweckt, was ein Autor von einem so hohen Rang wie Ibn Ezra nicht verdient.

Die Kritik soll das Verdienst des Autors nicht schmälern. Er hat sich in ein Gebiet einarbeiten müssen, für das er nicht die erforderliche Ausbildung durchlaufen hat, in das er sich aber mehr und mehr einarbeitet. Eine fachmännische Betreuung der übersetzungsarbeit hätte in diesem Fall mit nicht allzu viel Mühe dieser Publikation den Wert verschafft, der ihr zukommen sollte. Im Anmerkungsapparat findet der Leser übrigens eine Fülle von Verweisen und mehr oder minder ausführlich zitierte Parallelen, deren übersetzungen auf eine fortschreitende Geläufigkeit weisen. Man darf also mit Interesse den angekündigten nächsten Band seiner übersetzung erwarten, den langen Kommentar zum Buch Exodus.