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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

591–602

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Campenhausen, Axel Frhr. von

Titel/Untertitel:

Aktuelle Probleme des Staatskirchenrechtsim Spiegel der Festschrift für Martin Heckel

Das deutsche Staatskirchenrecht erfreut sich großer wissenschaftlicher Aufmerksamkeit.1 Als Teil des Verfassungsrechts wird es in allen Kommentaren zum Grundgesetz und den Landesverfassungen eingehend behandelt. Dazu gibt es eine in Handbüchern und Lehrbüchern gut erreichbare Literatur - sowohl grundlegender2 als auch resümierender3 Art -, die sich bis auf wenige Ausnahmen4 durch ein hohes Maß an Konsens auszeichnet, was auf der konsistenten Rechtssprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts beruht. Die monumentale Festschrift für Martin Heckel5 spiegelt das wider.

Die glückliche Wiedervereinigung Deutschlands hat alten Fragen neue Aktualität verliehen, da die religionsfeindliche Politik der SED zu einer über westliche Verhältnisse hinausgehenden Entchristlichung geführt hat.

Die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehende Festschrift ist einem der führenden Staatskirchenrechtler in Deutschland gewidmet. 52 Abhandlungen sind in sechs Kapiteln gruppiert: 1. Zur Person, 2. Kirchenrecht, Kirchengeschichte und Theologie, 3. Staatskirchenrecht, 4. Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte, 5. öffentliches Recht, Verfassungslehre, Europarecht, 6. Bildungswesen, Kulturgeschichte.

Die Heckel ehrenden Abhandlungen lassen die Bedeutung des Jubilars erkennen. Alle Beiträge nehmen in unterschiedlicher Weise Anregungen aus Heckels Gesamtwerk auf und machen deutlich, dass eine scheinbar neutrale, nur profan-historische Betrachtung ohne Einbeziehung von Rechts- und Theologiegeschichte den Erkenntnisgegenstand verdunkelt, dass die Säkularisierung der politischen Ordnung eine Bedingung moderner Freiheit ist. Freiheit ist jedoch als Entfaltungsfreiheit zu interpretieren, die jedem das seine lässt und nicht allen das Gleiche verordnet, sondern auch als säkulare Freiheit der christlichen Freiheit Raum lässt.

1) Das staatliche Recht gilt selbstredend für alle Religionen gleichermaßen. Das Instrumentarium des Ausgleichs ist im Laufe der Jahrhunderte im Gegenüber von Staat und Kirche entwickelt worden. Es überrascht nicht, dass sich bei dem Anwachsen der Muslime in Deutschland Probleme ergeben, weil sie nicht vorbereitet sind, die auch ihnen gebotenen Chancen wahrzunehmen. Was dem Unkundigen als Defizit an Religionsfreiheit und Mangel an staatlicher Neutralität erscheint, entpuppt sich bei näherem Zusehen als Unfähigkeit der in Deutschland neu etablierten Religionen, sich systemgerecht zu organisieren.6

Die Folge ist eine spürbare Infragestellung einer bewährten Ordnung. Denn gerade die rechtliche Regelung des Verhältnisses von Staat und Religion ist der älteste Teil des bis in die Reformationszeit zurückreichenden Verfassungsrechts. Es konnte bei kontinuierlicher Ausweitung auf allmählich alle Religionen deshalb erhalten bleiben, weil es sich bewährt hat. Deutschland nimmt im europäischen Rahmen einen hervorragenden Platz als Land der Religionsfreiheit und der Toleranz ein, eine geradezu beispielhafte Stellung,7 den die anderen Teile staatlicher und politischer Organisation nicht gleicherweise in Anspruch nehmen können.

Delegitimierend hat aber auch die deutsche Wiedervereinigung gewirkt. Da die DDR die Kirchen kontinuierlich schikanierte und Christen konsequent benachteiligte,8 gaben viele Menschen in der DDR dem staatlichen Druck nach und traten aus der Kirche aus. Die kirchlich Gebundenen machten ihre Erfahrungen mit dem DDR-Staat und zogen daraus meist staatskritische, wenn nicht sogar staatsfeindliche Konsequenzen, was die Annahme eines freiheitlichen Staatskirchenrechts nach der glücklichen Wiedervereinigung erschwerte. Die verbreitete Scheu kirchlicher Mitarbeiter, in öffentlichen Schulen Unterricht zu erteilen, ist eine der Voraussetzungen für die Erfindung des unglückseligen Faches LER in Brandenburg gewesen, das sich allerdings anders entwickelt hat, als die gutartige Erfinderin erhofft hatte.9 So kann heute die Frage erörtert werden, ob das Staatskirchenrecht dasselbe bleiben darf, auch wenn die konfessionellen Mehrheiten sich verändert haben.

2) Kein deutscher Gelehrter hat eindringlicher als Martin Heckel mit seinem breitgefächerten uvre das Recht als Paradigma der geistigen und sozialen Bewegungen eines Zeitalters herausgestellt. Martin Heckel bemühte sich, wie Link in einer schönen Würdigung schreibt, stets darum, die Geschichte als Verständnishorizont der Gegenwart vor Augen zu führen und Veränderungen des sozialen Umfelds zu vermerken. Dabei ging es ihm immer zugleich um "Vergewisserung und Bewahrung einer reformatorisch geprägten Glaubensgewissheit in den zeittypischen Anfechtungen und um die Rolle des Staates als sich zunehmend säkularisierende Friedensordnung über den sich ausdifferenzierenden Konfessionen und (später) Ideologien".10 Werke von Heckel sind in dieser Zeitschrift besprochen worden.11 Hier geht es um die Vorstellung der Festschrift zu seinem 70. Geburtstag, die in ihrem materiellen und geistigen Gewicht die Bedeutung des Jubilars widerspiegelt. Nach Würdigung der Gesammelten Schriften, einem Schlüsselaufsatz zu Heckels umfassenden Schrifttum durch Christoph Link (3) und einer Würdigung der Verdienste Martin Heckels um die Tübinger Universität und Juristenfakultät durch Thomas Oppermann (19) widmen ihm 52 Gelehrte ihre Abhandlungen, die in sechs Kapiteln gruppiert sind.



3) Achtzehn Abhandlungen befassen sich mit Kirchenrecht, Kirchengeschichte und Theologie:

Axel Frhr. v. Campenhausen, Evangelisches Bischofsamt und apostolische Sukzession in Deutschland, 37; Martin Daur/Michael Frisch, Bischöfliches Amt und Vorsitz im Spruchkollegium nach der Lehrbeanstandungsordnung, 53; Christian Heckel, Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zur Entstehungsgeschichte des Rates der EKD, 67; Alexander Hollerbach, Kirchen- und Staatskirchenrecht in Freiburg 1945-1967, 85; Martin Honecker, Synodale Gesetzgebung und Bekenntnis, 103; Peter Landau, Das Recht der frühen Kirche im Werk Aemilius Ludwig Richters, 117; Eduard Lohse, Theologie der Rechtfertigung im ökumenischen Dialog, 133; Hans Maier, Bemerkungen zur vatikanischen Ostpolitik 1958-1978, 141; Joachim Mehlhausen, Fünfzig Jahre Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Erbe und Auftrag, 159; Bernd Moeller, Zu den städtischen Disputationen der frühen Reformation, 179; Knut Wolfgang Nörr, Kanonisches Recht und modernes Gerichtsverfahren aus der Distanz eines ausgehenden Jahrtausends, 197; Dietrich Pirson, "Publice docere" im kirchlichen Handeln der Gegenwart, 207; Reinhard Richardi, Privatautonome Gestaltungen des kirchlichen Dienstes als Gegenstand des Kirchenrechts, 219; Klaus Schlaich, Einige Beobachtungen zum Recht der Papstwahl, 237; Ernst-Lüder Solte, Die deutschen katholisch-theologischen Fakultäten im Konflikt um die päpstliche Unfehlbarkeit, 251; Christian Starck, Ius utrumque im Wandel der Zeiten, 275; Albert Stein, Bemerkungen zum Recht und zur praktischen Bedeutung des Predigthelferamtes in der Evangelischen Kirche im Rheinland, 295; Gerhard Tröger, Neue Gestaltungsformen im Dienstrecht der Pfarrer. Versuch einer kritischen Bewertung, 307.

Neun Abhandlungen sind dem Staatskirchenrecht gewidmet:

Werner Heun, Die Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika, 341; Karl-Hermann Kästner, Religiös akzentuierte Kleidung des Lehrpersonals staatlicher Schulen. Verfassungsrechtliche Erwägungen zum Wunsch einer Muslimin, den Dienst als Lehrerin an öffentlichen Schulen des Landes Baden-Württemberg aus religiösen Gründen ausschließlich mit Kopftuch zu versehen, 359; Ferdinand Kirchhof, Verwerfungen der Kirchenzuschlagsteuern wegen des Maßstabs der Einkommensteuer, 373; Walter Leisner, Lex Veritatis. Die Kategorie "Wahrheit" - kirchliches Erbe für den demokratischen Staat, 385; Peter Lerche, Passionsspiel und Verfassung, 399; Gerhard Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, 411; Michael Ronellenfitsch, Aktive Toleranz in der streitbaren Demokratie, 427; Wolfgang Rüfner, Die institutionelle Garantie der Sonn- und Feiertage, 447; Hermann Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche in den neuen Bundesländern, 463.

Elf, z. T. andere Bereiche berührende Abhandlungen werden unter Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte rubriziert:

Gerhard Dilcher, Geistliches und Weltliches an der Wiege des europäischen Städtewesens, 497; Wolfgang Ernst, "In connexis debet esse paritas". Die Ausbildung des vertragsrechtlichen Paritätsgedankens in der Lehre von Legisten und Kanonisten des 12. bis 14. Jahrhunderts am Beispiel der exceptio non adimpleti contractus, 513; Hans Hattenhauer, Semper Augustus. Zur Rechtsgeschichte des Kaisertitels, 535; Hasso Hofmann, Gerechtigkeitsphilosophie aus Unrechtserfahrung. Zum Gerechtigkeitssinn der Arbeiter im Weinberg, 547; Bernd Mathias Kremer, Der Westfälische Friede und die staatsphilosophisch-politischen Toleranzbestrebungen im 18. Jahrhundert, 563; Eduard Picker, Robert v. Mohl und die "Arbeiterfrage". Eine ideengeschichtliche Skizze, 589; Jan Schröder, Auslegung von Ausnahmegesetzen in der frühen Neuzeit, 615; Michael Stolleis, Der Streit um den Vorrang, oder: Der Wasunger Krieg, 631; Dietmar Willoweit, Rechtsprobleme der absoluten Monarchie, 641; Eike Wolgast, Die Neuordnung von Kirche und Welt in deutschen Utopien der Frühreformation (1521-1526/27), 659; Reinhold Zippelius, Römischer Etatismus und christliche Religion, 681.

Zehn Aufsätze betreffen das öffentliche Recht, Verfassungslehre und Europarecht:

Peter Badura, Die föderative Verfassung der Europäischen Union, 695; Sophie C. van Bijsterveld, Grundrechte in der EU: über Ideale und Wertvorstellungen, 707; Peter Häberle, "Staatsbürgerschaft" als Thema einer europäischen Verfassungslehre, 725; Josef Isensee, Das Dilemma der Freiheit im Grundrechtsstaat. Grundrechte zwischen Privatwillkür und Gemeinwohlerwartung, 739; Paul Kirchhof, Der Beitrag der Kirchen zur Verfassungskultur der Freiheit, 775; Hans von Mangoldt, Das deutsche Staatsvolk nach der Wiedervereinigung. Staatsangehörigkeitsrechtliche Folgen der Wiedergewinnung der Einheit Deutschlands und der abschließenden Regelung in bezug auf Deutschland, 799; Hartmut Maurer, Verfassungsänderung im Parteienstaat, 821; Hans Heinrich Rupp, Sind Ethik-Kommissionen Rechtsausschüsse und ihre Voten Verwaltungsakte?, 839; Klaus Stern, Kulturelle Werte im deutschen Verfassungsrecht, 857; Klaus Vogel, Rückwirkung; eine festgefahrene Diskussion. Ein Versuch, die Blockade zu lösen, 875.

Vier Aufsätze betreffen das Bildungswesen und Kulturgeschichte:

Walter Odersky, Die Zustiftung für weibliche Studierende in der Stiftung Maximilianeum in München, 887; Günter Püttner/Dorothea Kretschmar, Ethik-Unterricht - aber wie?, 901; Wolfgang Graf Vitzthum, Stefan George und der Staat, 915; Hans F. Zacher, Forschung in Deutschland - Strukturen der Vielfalt. Strukturen der Ganzheit?, 941.

Den Abschluss bildet ein von Sohn Christian Heckel erstelltes Schriftenverzeichnis.

Die Fülle der Abhandlungen erzwingt die Beschränkung auf diejenigen, auf die sich das mutmaßliche Interesse der Leser dieser Zeitschrift konzentriert.



4) Martin Daur/Michael Frisch, Bischöfliches Amt und Vorsitz im Spruchkollegium nach der Lehrbeanstandungsordnung (53ff.), reflektieren das unglückliche, fast peinliche Lehrbeanstandungsverfahren gegen Jutta Voss, resümieren die Rechtslage, die Kritik hieran, die sich insbesondere auf die Beteiligung der Oberkirchenräte und des Landesbischofs richtete, die ja auch schon am Ermittlungsverfahren beteiligt waren oder sein konnten und skizzieren die geplante änderung, welche aber bei der Beteiligung des Bischofs, zu dessen Aufgabe es gehört, Lehre zu urteilen, beibehalten werden soll.

Alexander Hollerbach, Kirchen- und Staatskirchenrecht in Freiburg 1945-1967 (85 ff.), ist eine weitere feine wissenschaftsgeschichtliche Abhandlung, von denen der Vf. schon mehrere vorgelegt hat, hier insbesondere um den Kirchenrechtslehrer Erik Wolf, aber auch alle anderen evangelischen und dann auch katholischen Kirchenrechtslehrer in Freiburg, deren konfessionell respektvolle Distanz erst am Ende des von Hollerbach behandelten Zeitraums "Anzeichen für eine gegenseitige öffnung und ein Verhältnis konstruktiver Sympathie erkennbar" werden ließen.

Martin Honecker, Synodale Gesetzgebung und Bekenntnis (103 ff.), behandelt diese schwierige Frage anhand der kuriosen und problematischen Ergänzung des Grundartikels der rheinischen und hessen-nassauischen Kirche zum Volk Israel, aber auch im Blick auf die bevorstehende Rezeption der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" in Auseinandersetzung mit der Abhandlung von Dietrich Keller, Bekennende Abkehr vom Irrweg kirchlicher und theologischer Judenfeindschaft. Zur änderung des Grundartikels der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland (ZevKR 40, 1995, 385ff.). Hierbei skizziert der Vf. sicher das Verhältnis von Bekenntnis und Kirchenrecht, das evangelische Verständnis des Bekenntnisses und die Kriterien und Verfahren zur änderung der die Bekenntnisse enthaltenden Grundartikel.

Peter Landau, Das Recht der frühen Kirche im Werk Aemilius Ludwig Richters (117 ff.), ist eine besonders schöne wissenschaftsgeschichtliche Abhandlung unter Hervorhebung des Kirchenbegriffs Richters und seiner Skizzierung der Kirchenverfassung der ersten drei Jahrhunderte. Dabei zeigt sich, in welch starkem Ausmaß die damalige Theologie und Kirchengeschichtsschreibung auf die kirchenrechtliche Konzeption eingewirkt haben und in welchem Ausmaß Kirchenrechtler sich mit theologischen Fragen auseinandersetzten. Landau bescheinigt der Kirchenrechtswissenschaft damals "ein Niveau der Interdisziplinarität", das später so nicht mehr gehalten werden konnte, und er weist darauf hin, dass die großen Werke des 19. Jh.s zu Unrecht und zum Schaden der heutigen Kirchenrechtswissenschaft zu selten verwertet würden.

Eduard Lohse, Theologie der Rechtfertigung im ökumenischen Dialog (133 ff.), skizziert den Weg zur Gemeinsamen theologischen Erklärung, an dem er von Anfang an maßgeblich beteiligt war. Nach Darstellung der ersten Ansätze zu gemeinsamen Aussagen, zum gemeinsamen Studium der biblischen Texte folgt die Darstellung der überprüfung der überkommenen Lehrverurteilungen und des Weges zu ihrer Aufhebung. Abschließend wird die nun zur Unterschrift anstehende Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre dargestellt und das Ganze mit einem kritischen Nachwort versehen, in dem Lohse auf die problematische Antwort des Vatikans vom 25. Juni 1998 eingeht. Die dort gestellte Frage nach der tatsächlichen Autorität eines synodalen Konsenses in der lutherischen Gemeinschaft könne "den lutherischen Partner nur ungemein verwundern und überraschen". Wolle man "den Partner dazu nötigen, sich uneingeschränkt die eigenen Bedingungen der Rezeption zu eigen zu machen, so wird eine wirkliche Verständigung schwerlich erreicht werden können" (149). Diese Krise ist inzwischen glücklicherweise überwunden.

Hans Maier, Bemerkungen zur vatikanischen Ostpolitik 1958-1978 (151 ff.), schildert, wie die vatikanische Ostpolitik zunächst in einer für dauerhaft gehaltenen Welt versuchte, Fuß zu fassen, später aber mit gesteigertem Selbstbewusstsein auftrat. Interessanterweise neigt Maier zu der Sicht, dass weniger der vatikanischen Ostpolitik als dem vom Konzil ausgehenden neuen Selbstbewusstsein der katholischen Kirche besonders in Polen die Schlüsselrolle für die große Wende zukomme.

Joachim Mehlhausen , Fünfzig Jahre Grundordnung der evangelischen Kirche in Deutschland. Erbe und Auftrag (159ff.), gibt einen Festvortrag zum fünfzigjährigen Jubiläum der Grundordnung wider, in der die Ausgangslage geschildert, die drei Entwürfe für den Neubau der evangelischen Kirche nach 1945 dargestellt und Perspektiven aufgezeigt werden: Erhalt der Volkskirche und Kirche in der öffentlichkeit. Unter dem Stichwort Erbe und Auftrag skizziert der Vf. die aktuellen Beschwernisse mit der in der EKD zusammengefassten kirchlichen Gemeinschaft.

Dietrich Pirson, "Publice docere" im kirchlichen Handeln der Gegenwart (207 ff.), befasst sich mit dem Sachverhalt, dass öffentliches Reden und Verkündigen der Kirche heute nicht mehr mit der gottesdienstlichen Verkündigung gleichgesetzt werden könne. Er behandelt die besondere Amtsverantwortung für kirchliches Reden und sieht kritisch, dass die Sorge vor der Etablierung einer besonderen bischöflichen Vollmacht dazu führt, dass der Bischof nur als Vorsitzender und Vollzugsperson erscheint, um die besondere Stellung innerhalb der kollegialen Kirchenleitung zu kennzeichnen. In der Wahrnehmung der Verkündigungsaufgabe handle er wie jeder Pfarrer. Diese erscheine selbst als ein Vorgang, der sich immer noch ausschließlich auf der gemeindlichen Ebene vollziehe. Hier sieht Pirson ein Defizit. Das Bild von der Kirche und ihrer Botschaft werde in der Gegenwart nicht mehr allein von der Kirche vermittelt, sondern eben durch eine öffentlichkeit neben Gemeinde und Gottesdienst. Hierauf müsse die Kirche reagieren, indem sie Institutionen der öffentlichkeitsarbeit etabliere und sich auch auf dieser Ebene spezifischer Handlungsformen bediene, "also der Verkündigung und Glaubensbekundung, die als wesentliche Elemente des ,publice docere’ einer Amtsverantwortung anzuvertrauen sind".

Reinhard Richardi, Privatautonome Gestaltungen des kirchlichen Dienstes als Gegenstand des Kirchenrechts (219 ff.), gibt eine Skizze der verfassungsrechtlich gewährleisteten Sonderstellung der Kirche innerhalb der Arbeitsverfassung. Anhand der katholischen Ordnung skizziert er die Vorgaben des Kirchenrechts, die kirchlichen Festlegungen für die Arbeitsverhältnisse, das Leitbild der Dienstgemeinschaft, die Begründung des Arbeitsverhältnisses, Festlegung kirchenspezifischer Loyalitätsobliegenheiten und die kündigungsrechtlichen Auswirkungen eines kirchenspezifischen Loyalitätsverstoßes und behandelt die Grundsatzregelung für das kollektive Arbeitsrecht. Für die evangelische Kirche gibt es bekanntlich keine der Grundordnung der katholischen Kirche entsprechende Grundsatzregelung des kircheneigenen Arbeitsrechts, was Richardi wiederholt kritisiert hat. Die kirchlichen Grundsätze unterscheiden sich nicht sehr, aber abermals kann man sehen, dass die Zersplitterung des evangelischen Rechts es geraten sein lässt, alle Probleme anhand des katholischen Kirchenrechts vorzuführen. Der Vf. skizziert auch die Geltung des Kirchenrechts im weltlichen Rechtskreis und die Einordnung kirchlicher Arbeitsvertragsordnungen.

Ernst-Lüder Solte, Die deutschen katholisch-theologischen Fakultäten im Konflikt um die päpstliche Unfehlbarkeit (251ff.), behandelt den Status der katholisch-theologischen Fakultäten im 19. Jh., skizziert die Kontroversen zwischen Staat und Kirche wegen dissentierender Theologieprofessoren nach dem Unfehlbarkeitsdogma, schildert die pragmatische, z. T. etwas hilflose Vorgehensweise der Regierungen, welche zu Kompromisslösungen gefunden haben, die heute Bestand haben. Eine überzeugende Antwort aus damaligen Konfliktlagen sieht der Vf. darin, dass das Ausscheiden eines für die Kirche funktionslos gewordenen dissentierenden Theologen aus der Fakultät eine zwingende Folge des Staatskirchenrechts ist.

Christian Starck, Ius utrumque im Wandel der Zeiten (275ff.), behandelt in einer historischen Studie das Verhältnis des kirchlichen und des weltlichen Rechts seit dem Mittelalter. Mit Recht bemerkt er, dass die innere Unterschiedlichkeit des Ius utrumque infolge der Reformation theologisch neu vertieft und als Problem erkannt wurde. Bekanntlich ist der theologischen Erkenntnis die rechtliche Praxis zumeist nicht gefolgt. Die theoretische Unterscheidbarkeit von regnum und sacerdotium schnurrte auf die duplex persona des Landesherrn zusammen. Die theoretische Scheidung war in der Praxis undeutlich, weil die Landesherren ihre kirchlichen Aufgaben im gleichen Verfahren erfüllten wie die weltlichen Geschäfte, es also der institutionellen Anhaltspunkte für den besonderen Geltungsgrund kanonischen Rechts ermangelte. Unter Skizzierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Verhältnis von Staat und Kirche erscheint es Starck weiterhin sinnvoll, vom Ius utrumque zu sprechen, um den Dualismus von weltlichem und kirchlichem Recht zum Ausdruck zu bringen. Die grundrechtlich gewährleistete kollektive Religionsfreiheit verlange vom demokratischen Verfassungsstaat, das Kirchenrecht als eigenständige, vom Staat unabhängige Rechtsquelle anzuerkennen.

Albert Stein , Bemerkungen zum Recht und zur praktischen Bedeutung des Predigthelferamtes in der Evangelischen Kirche im Rheinland (295 ff.), skizziert die historische Grundlegung der Laienprediger und gibt eine Bestandsaufnahme für das Rheinland. Entscheidend erscheint ihm, dass nichtstudierte Predigthilfe und theologischer Pfarrerdienst nicht in einem Verhältnis gesehen werden dürfen wie handwerkliches Hobby zu fachmännischer Arbeit. Polemisch wiederholt er das Verbot, zwischen Klerus und Laien zu unterscheiden und lehnt es auch ab, die Helferfunktion dieses Dienstes als eine Aushilfe in vorübergehender Verlegenheit des hauptberuflichen und akademisch vorgebildeten Predigtdienstes zu verstehen.

Gerhard Tröger, Neue Gestaltungsformen im Dienstrecht der Pfarrer. Versuch einer kritischen Bewertung (307 ff.), gibt einen kritischen überblick über die Versuche, dem Theologenandrang einerseits, den finanziellen Möglichkeiten andererseits Rechnung zu tragen. Eine zusammenfassende Darstellung der in den Gliedkirchen durch die Erprobungsgesetze eingeführten neuen Gestaltungsformen gibt es bislang nicht. Die empfohlenen Vereinheitlichungen nach einer gewissen Beobachtungszeit sind nicht eingeführt worden. Direkte Eingriffe in das Stellen- und Besoldungsgefüge haben zwar schnell Abhilfe geschaffen, "ob sie aber mittel- und langfristig positive Folgen für den schwierigen Pfarrerberuf haben, erscheint sehr fraglich" (308). Der Vf. schildert im Detail die schwierigen, schwer zu verstehenden, gewiss aus Verantwortung für die nachwachsende Pfarrergeneration erfolgten Veränderungen: Er behandelt die erweiterten Beurlaubungsmöglichkeiten, das Teildienstverhältnis, Theologenehepaare auf einer Stelle, Pfarrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis auf Zeit, Angestelltenverhältnis für Pfarrer, Ordination für ehrenamtlichen Dienst (Pfarrer im Ehrenamt), das Sabbatjahr-Modell, Senior-Junior-Modell, Gemeinschaftsmodell und skizziert die Auswirkungen der neuen Gestaltungsformen, nämlich die Vermeidung von Arbeitslosigkeit junger Theologen, die positive Aufnahme der gesellschaftlichen Entwicklung. Er verschweigt aber nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die neuen Gestaltungsformen im Pfarrerdienstrecht. Abschließend skizziert er die rechtstheologischen Bedenken gegen die neuen Gestaltungsformen. Der Vf., der selbst an verantwortlicher Stelle zur Mitwirkung berufen ist, verwahrt sich gegen den Vorwurf, dass rechtstheologische Voraussetzungen nicht ausreichend bedacht worden seien. Er verschweigt aber auch nicht die bedenklichen Aspekte und sieht, dass die Konsequenzen nicht ausreichend geklärt sind. Die Abgrenzungsprobleme bei Teildienstverhältnissen führten ständig zu latenter Unzufriedenheit bei den Pfarrern, weil sie relativ stärker belastet werden als Pfarrer im vollen Dienstverhältnis. Der Vf. sieht die unwillkommenen Konsequenzen für das Pfarrerbild und die Rückwirkungen auf das "normale" Pfarrerdienstverhältnis. Die Gefahr des Einbruchs eines Jobdenkens insbesondere durch die Genehmigung "weitergehender Nebentätigkeiten" (als Psychotherapeut, Heilpraktiker, Anlageberater, aber auch Taxifahrer). Hier sieht er eine Einbruchstelle für eine Berufsauffassung, deren Konsequenzen nicht absehbar seien. Kritisch sieht er auch die Beurlaubung im eigenen Interesse. Tröger sieht in den neuen Gestaltungsformen im Pfarrerdienstrecht ein Wagnis, das die Kirche freilich habe eingehen müssen. "Eine abschließende Wertung dieser Regelungen läßt sich heute noch nicht vornehmen" (338).

Werner Heun, Die Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika (341 ff.), erklärt, selbst halb zu Hause in den USA, einmal mehr, dass die USA kein ideales Beispiel für eine radikale Trennung seien. Nach ursprünglich z.T. staatskirchlichen Verhältnissen wurde erst 1863 mit dem 14. Amendment das Verbot eines Establishments of Religion und die freie Ausübung der Religion in die Bundesverfassung aufgenommen und führte, wie eine hin- und herschwankende, von Heun detailliert nachgewiesene Rechtsprechung zeigt, bis zum heutigen Tag nicht zu befriedigenden Ergebnissen. Auch der berühmte und berüchtigte Lemon-Test habe keine Besserung gebracht, denn: "Die unterschiedlichen dogmatischen Ansätze bei der Establishment Clause und der Religionsfreiheit waren und sind kaum miteinander kompatibel" (355). Freiheit und Gleichheit seien in Deutschland besser verankert, "insoweit kann das deutsche Staatskirchenrecht eher Vorbildwirkung für die amerikanische Situation als umgekehrt beanspruchen" (357).

Karl-Hermann Kästner, einer der Herausgeber, behandelt religiös akzentuierte Kleidung des Schulpersonals staatlicher Schulen (359 ff.) mit verfassungsrechtlichen Erwägungen zu dem berühmten Kopftuch der muslimischen Lehrerin. Der Wunsch, ausschließlich mit dem Kopftuch aufzutreten, wird danach selbstredend vom Schutzbereich des Grundrechts auf Religionsfreiheit erfasst, weil die Verhaltensweise zunächst religiösen Bekenntnischarakter hat. Im institutionellen Rahmen der zu konfessioneller Neutralität verpflichteten staatlichen Schulen gälten aber besondere Bedingungen, weil der Staat sich in seinem Funktionsbereich objektiv nicht institutionell mit einer Religion oder Weltanschauung identifizieren dürfe, wie es in einem bhagwan-typischen Gewand, mit dem Kopftuch, freilich auch mit der christlichen Ordenskleidung der Fall sei. Nur für den Religionsunterricht gelte etwas anderes, weil für ihn ein realer Konfessionsbezug in der Verfassung ausdrücklich vorgesehen sei. Individuell sei also das Tragen eines Kopftuches für Muslim-Frauen selbstverständlich legitim. Im Rahmen der institutionellen Einbindung in das staatliche Schulwesen gälten aber andere, und zwar Eignungskriterien, welche die Nichtzulassung der Lehrerin in Baden-Württemberg als richtig erscheinen ließen.

Ferdinand Kirchhof, Verwerfung der Kirchenzuschlagssteuern wegen des Maßstabs der Einkommensteuer (373 ff.), skizziert noch einmal die Verwerfungen, die sich im Kirchensteuerrecht dadurch ergeben, dass diese als Zuschlagsteuern an staatliche Zwecke gekoppelt werden, die keine kirchlichen seien. Das gilt für Abzüge nach 10 b EStG (Förderung von allerlei nützlichen, aber kirchlich irrelevanten Aktivitäten) wie den Steuersubventionen zur Wirtschaftsförderung und zum Umweltschutz, die staatlich vertretbar, aber kein kirchlicher Zweck sind. Der Vf. plädiert hier für eine Korrektur derart, dass solche Begünstigungen aus der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer zu Zwecken der Kirchensteuererhebung wieder abgerechnet werden. Der Normen- und Verwaltungsaufwand dafür könne begrenzt werden, indem man nur in den Fallgruppen korrigiere, die ohnehin in einer eigenen Rubrik auf den Steuerformularen erscheinen. Sie ließen sich auf einen computertauglichen Gesetzesvollzug ausrichten, der in der EDV der Finanzverwaltung zwar zusätzliche, aber im Aufwand vertretbare Rechen-Schritte verlange und den steuerlichen Normenbestand nur geringfügig erhöhe.

Gerhard Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht (411 ff.), setzt sich kritisch auseinander mit der Frage, ob der Körperschaftsstatus eine besondere Rechtstreue oder gar Staatstreue erfordere, wie dies im Urteil des BVerwG anklingt, in dem der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas der Körperschaftsstatus versagt wurde. Robbers betont, dass es nicht nur keine Staatskirche gebe, sondern "auch nicht ein wenig Staatskirche". Zwar erweitere der Körperschaftsstatus nicht den Bereich der Religionsfreiheit, seine Versagung schränke die Religionsfreiheit also auch nicht ein. Gleichwohl sei es nicht zulässig, von Religionsgemeinschaften eine erhöhte Rechtstreue gegenüber allgemeiner Rechtstreue zu fordern. Der Körperschaftsstatus dürfe nicht von einer spezifischen Bindung an den Staat abhängig gemacht werden. Es sei wenig einleuchtend, aus der Teilnahme an staatlichen Wahlen ein wesentliches Kriterium für die Loyalität einer Religionsgemeinschaft zu machen. Sonst wäre die Konsequenz ein grundgesetzorientiertes neues Staatskirchentum.

Michael Ronellenfitsch, Aktive Toleranz in der streitbaren Demokratie (427 ff.), setzt sich für eine streitbare Demokratie ein, in der die Toleranz nicht im Namen der Toleranz Selbstmord begeht. Der Vf. skizziert dies in z. T. unkonventioneller Weise nicht ohne spitze Bemerkungen gegen die Phalanx der Staatskirchenrechtler, in die selten jemand einzubrechen wage, wobei er Heckel, Hollerbach und v. Campenhausen zu Unrecht zu Vertretern der Koordinationstheorie macht. Die restriktive Rechtsprechung zur Aushöhlung des Sonntags scheint dem Vf. lebensfremd. Er spricht in diesem Zusammenhang von der derogierenden Kraft des ebenfalls grundrechtlich geschützten abweichenden Verhaltens der Bevölkerungsmehrheit. Seine Bemerkungen gelten dem historischen Schulgebetsstreit, dem Kruzifixurteil, der Entscheidung über den Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas. Dabei fordert er energisches staatliches Auftreten, billigt die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Zeugen Jehovas geforderte Staatsloyalität, ja eine Identifikation mit der Werteordnung des Grundrechts, wärmt die "Korrelativität von Recht und Pflicht" der Weimarer Zeit wieder auf. Originell ist seine These, dass die Erteilung des Religionsunterrichts vom Körperschaftsstatus der betreffenden Religionsgemeinschaft abhänge. Manche Urteile sind erfrischend, z. B. über das Kirchenasyl, das er einen "durch nichts zu rechtfertigenden Anachronismus" nennt.

Wolfgang Rüfner, Die institutionelle Garantie der Sonn- und Feiertage (447 ff.), behandelt ein durch die Ladenöffnung an Sonntagen akut gewordenes Problem mit einer schönen Darstellung des Gesamtproblems. Er skizziert die Rechtslage und vor allem die bedenklich liberale Tendenz, die Sonntagsruhe im Interesse des Freizeitvergnügens durch immer weitere Ausnahmen auszuhöhlen. Er plädiert nicht für einen "Englischen Sonntag", aber für eine behutsame Fortentwicklung. Das bedeutet, dass Ausnahmen in jedem Fall konkreter Abwägung und einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Angesichts der gewachsenen Freizeit der Bevölkerung einerseits und der gesteigerten technischen Möglichkeiten andererseits sei deshalb z. B. nicht einzusehen, warum neben dem arbeitsfreien Samstag auch der Sonntag für bestimmte Geschäfte in Anspruch genommen werden müsse, warum angesichts gesteigerter Kühl- und Aufbewahrungsmöglichkeiten Bier und Eis und verderbliche Lebensmittel am Sonntag ausgefahren werden müssten. Deutlich wird bei dem vom Vf. ausgebreiteten Material, dass der große Druck nicht von industriellen Bedürfnissen herrührt, sondern vom Freizeitverlangen der Bevölkerung (nur 20 % der am Sonntag Beschäftigten wirken in der Produktion, die meisten arbeiten im "Freizeitgeschäft"). Beachtlich ist auch der Hinweis, dass Sonntag nicht gleichbedeutend ist mit Freizeit, und dass es kein Naturgesetz gebe, wonach das Recht des Sonn- und Feiertagsschutzes nur immer weiter liberalisiert werden könne, auch wenn technische Möglichkeiten im Gegenteil eine stärkere Beruhigung des Sonntags erlaubten.

Hermann Weber behandelt in einem erschöpfenden überblick "Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche in den neuen Bundesländern" (463 ff.). Er nennt seine Arbeit einen Versuch einer vergleichenden Darstellung der jetzt vorliegenden vier Verträge mit der römisch-katholischen Kirche. Nachdem kodifikatorische Verträge in allen neuen Bundesländern mit den evangelischen Landeskirchen zum Abschluss gekommen waren, erwiesen sich entsprechende Verträge mit der römisch-katholischen Kirche als schwieriger. Deshalb wurde im Jahr 1994 vorweg die Bistumsorganisation in den neuen Ländern vertraglich geregelt. Die neuen Verträge mit der römisch-katholischen Kirche heißen nicht mehr Konkordat. Die neue vatikanische Terminologie schließt diese Bezeichnung für Verträge mit Teilstaaten aus. Die besonderen Schwierigkeiten auf römisch-katholischer Seite beruhen darauf, dass die römisch-katholische Kirche eine Novationsklausel, wie sie in den evangelischen Kirchenverträgen vorgesehen war, nicht wünscht. Praktisch enthalten auch diese Verträge eine Novation, die die Frage der Weitergeltung oder Wiedergeltung des Reichskonkordats und des preußischen Konkordats als akademisch erscheinen lassen. Die katholische Seite beharrte aber auf der Kontinuität ihrer Konkordatspolitik und weigerte sich, Verträge zu akzeptieren, die die bestehenden Konkordate im Wege einer echten Novation vollständig ersetzen. Diese Frage wird von Weber eingehend dargestellt. Der zweite Schwerpunkt ist der überblick über den Inhalt der Verträge. Sorgfältig und zum Teil sehr detailliert behandelt der Vf. die Frage der Staatsleistungen, die öffentlich-rechtliche Organisation der Kirche und den kirchlichen als öffentlichen Dienst, die Mitwirkungsrechte des Staates bei der kirchlichen ämterbesetzung und - hier kommt die besondere Situation der östlichen Länder deutlich zum Tragen- den Religionsunterricht und die Ausbildung in katholischer Theologie an staatlichen Fakultäten. Abschließend resümiert Weber, dass wie bei den evangelischen so bei den katholischen Verträgen ein deutliches Nord-Süd-Gefälle festzustellen sei. "Während die Verträge in Mecklenburg-Vorpommern und- noch deutlicher - in Sachsen-Anhalt dieselben Tendenzen zu einer stärkeren Besonderung von Staat und Kirche erkennen lassen, ... sind die Verträge in Sachsen und Thüringen ... deutlicher am älteren Konkordatsrecht orientiert." Der Vf. selbst zweifelt daran, ob Staatskirchenverträge angesichts der konfessionellen Veränderung insbesondere in den neuen Ländern noch ein angemessenes Instrumentarium seien und bezweifelt deren Legitimationsgrundlage, jedenfalls für die Zukunft.

Paul Kirchhof, Der Beitrag der Kirchen zur Verfassungskultur der Freiheit (775 ff.), illustriert in einem gedankenreichen Aufsatz den Satz von Tocqueville, wonach der Despotismus ohne Glauben auskommt, nicht aber die Freiheit. Kirchhof skizziert die Bedingtheit der Freiheit, die der Staat nicht verbindlich anordnen, für die er nur Voraussetzungen mit seiner Macht schaffen kann. Er verweist auf die Selbstbeschränkung des säkularen Staates einerseits und die Bedeutung religiöser Bindung für die Freiheitsfähigkeit der Staatsbürger andererseits. Der Staat sei also wohl beraten, die institutionelle Festigkeit der Kirchen in der freiheitlichen Ordnung als eine staatliche Aufgabe zu begreifen. Nachdrücklich setzt sich Kirchhof für den Erziehungsauftrag des Staates ein mit dem Ziel, eine innere Gebundenheit der Freiheitsberechtigten zu entwickeln und zu vertiefen. Hierbei komme dem christlichen Glauben und den christlichen Kirchen gerade im säkularen Staat eine besondere Bedeutung zu. "In unserem Kulturkreis ist der Mensch darauf angewiesen, Christlichkeit zu lernen und zu erleben" (790), woran der Vf. allerlei Konsequenzen für den staatlichen Förderauftrag knüpft. Sehr zurückhaltend ist er in der Beurteilung der staatlichen Justizgewährungspflicht und warnt vor der überforderung des Staates. Man müsse anerkennen, dass die staatliche Befriedigung von Freiheitsansprüchen die Freiheit zur Gleichheit werden lasse, eine Gefahr für die Freiheitsberechtigten wie für die Freiheitlichkeit der Verfassungsordnung.



5) Will man versuchen, einen so heterogenen Strauß von Abhandlungen zusammenfassend zu würdigen, so scheint mir bemerkenswert, dass sie auf verschiedene Weise die Tendenzen von Heckels Gesamtwerk aufnehmen. Sie lassen12 in ihrer thematischen Beschränkung verstehen, dass eine scheinbar "neutrale", nur profanhistorische Betrachtung ohne Einbeziehung von Rechts- und Theologiegeschichte den Erkenntnisgegenstand verdunkelt, dass die Säkularisierung der politischen Ordnung eine Bedingung moderner Freiheit ist, diese freilich als Entfaltungsfreiheit zu interpretieren ist, die jedem das Seine lässt und nicht allen das Gleiche verordnet, also auch als säkulare Freiheit der christlichen Freiheit Raum gibt.

Für einen großen Gelehrten eine angemessene Ehrung.



Summary

German canon law with relation to the state (Staatskirchenrecht) enjoys great academic recognition. As a part of constitutional law it is treated in depth in all of the commentaries to the Basic Law and the Land constitutions. In addition there is an easily available literature in handbooks and textbooks which is marked by a considerable degree of consensus based the actual dispensation of justice - especially in the Federal Constitutional Court. - The happy reunification of Germany has given old issues a new sense of actuality, since the anti-religious policy of the SED led to a degree of de-Christianisation which went beyond that in the West. The current Festschrift is dedicated to one of the leading German canon lawyers. 52 essays are grouped in six chapters:

1) Biographic 2) Canon Law in Relation to the State 3) Church History and Theology 3) Canon Law 4) Philosophy of Law and Legal History 5) Public Law, Constitutional Law, European Law 6) Education, Cultural History. The essays confirm the importance of the person being honoured. All of the contributors express in their different ways their debt to Heckel’s corpus and make explicit their view, that an allegedly neutralsolely profane-historical approach minus the inclusion of legal history and historical theology really only serves to obscure knowledge; that the secularization of the political order is a basic condition of modern freedom. The latter is to be interpreted as the freedom to develop; that each is left to his own and that not only equality is decreed; that secular freedom also guarantees room for Christian liberty too.

Fussnoten:

1) Das Interesse an der aktuellen Lage des Staatskirchenrechts spiegelt sich in Kongressprogrammen: Aktuelle Probleme des Staatskirchenrechts waren ein Thema auf der Tagung der Essener Gespräche 1999, stehen auf dem Programm der Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Oktober 1999 mit Vorträgen von Wilfried Fiedler/Saarbrücken, Gerhard Robbers/Trier und Michael Brenner/Jena. Religionsfreiheit und rechtliche Bindung ist das ausschließliche Thema der Tagung des Max-Planck-Instituts für Ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht aus Anlass seines 75-jährigen Bestehens im April 2000 mit 13 Vorträgen.

2) Joseph Listl/Dietrich Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Bd. 1, 1994, Bd. 2, 1995; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, mit umfangreicher Bibliographie. Eingehende Behandlung auch im Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, 136 Religionsfreiheit (Axel Frhr. v. Campenhausen), 137 Gewissensfreiheit (Herbert Bethge) und von Alexander Hollerbach 138 Grundlagen des Staatskirchenrechts, 139 Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisationen, 140 Freiheit kirchlichen Wirkens; Bd. IX, 1997, 207 Staatskirchenrecht in den neuen Ländern (Axel Frhr. v. Campenhausen).

3) Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel unter Mitwirkung von Konrad Hesse/Wolfgang Heyde [Hrsg.], Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994. Hier behandelt Paul Mikat in 29 Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften. Alexander Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat. Bemerkungen zur Situation des deutschen Staatskirchenrechts im europäischen Kontext. Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin 156 (1998); Peter M. Huber, Staatskirchenrecht. übergangsordnung oder Zukunftskonzept?, in: Eberhard Eichenhofer [Hrsg.], 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung - Was ist geblieben?, 1999, 117-153; A. v. Campenhausen, Offene Fragen im Verhältnis von Staat und Kirche am Ende des 20. Jahrhunderts, in: Heiner Marré/Dieter Schimmelfeder/ Burkhard Kämper [Hrsg.], Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 34 (demnächst).

4) Dazu zählen die um die Humanistische Union gescharten Autoren, z. B. Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche. Die Gefährdung der Religionsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, 1. Aufl. 1984, 4. Aufl. unter dem Titel Volkskirche ade! Trennung von Staat und Kirche, 1993; Gerhard Czermak, Staat und Weltanschauung, eine an kräftigen Akzenten nicht sparende Bibliographie, Bd. 1, 1993, dazu meine kritische Besprechung ZevKR 39, 1994, 370 ff.; Bd. 2, 1999; aber auch zahlreiche Aufsätze von Ludwig Renck, Nachw. dazu bei v. Campenhausen, Zum Stand des Staatskirchenrechts in Deutschland, BayVBl. 1999, 65 ff.

5) [Heckel, Martin:] Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag. Hrsg. von K.-H. Kästner, K. W. Nörr u. K. Schlaich. Tübingen: Mohr Siebeck 1999. X, 987 S., 1 Porträt gr.8. Lw. DM 298,-. ISBN 3-16-147158-X.

6) Aus der aufschießenden Literatur dazu vgl. die Aufsätze von Baber Johannsen/Alfred Albrecht/Wolfgang Loschelder, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 20, 1986; A. Albrecht, Die Verleihung der Körperschaftsrechte an islamische Vereinigungen, KuR 1, 1995, 25 ff.; Stefan Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DöV 1995, 311 ff.; Hans-Tjabert Conring, Der Islam und das Menschenrecht der Religionsfreiheit, KuR 2, 1996, 1 ff.; Burkhard Guntau, Der Ruf des Muezzin in Deutschland - Ausdruck der Religionsfreiheit?, ZevKR 43, 1998, 369 ff.; Norbert Janz/Sonja Rademacher, Islam und Religionsfreiheit. Die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates auf dem Prüfstand, NVwZ 1999, 706 ff.

7) Albert Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen - Ansätze zu einem "europäischen Staatskirchenrecht", 1995.

8) Dazu mit den einzelnen Phasen der DDR-Kirchenpolitik Axel Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht in den neuen Ländern, HStR IX, 207, 305 ff.; Holger Kremser, Der Weg der Kirchen/Religionsgemeinschaften von der sozialistischen DDR in das vereinte Deutschland, in: JöR n. F. 40,1991/92, 501 ff.; ders., Der Rechtsstatus der evangelischen Kirchen in der DDR und die neue Einheit der EKD, Jus Ecclesiasticum, Bd. 46, 1993; Jörg Müller-Volbehr, Staatskirchenrecht im Umbruch, ZRP 1991, 345 ff., aber auch die Abhandlungen von Czermak und Renck.

9) In diesen Zusammenhang gehört der ganze Komplex, dass Brandenburg, an Stelle des vom Grundgesetz vorgesehenen Religionsunterrichts LER eingeführt hat. Dazu mit eingehender Behandlung des Für und Wider auch in der Literatur Martin Heckel, Religionsunterricht in Brandenburg. Zur Regelung des Religionsunterrichts und des Faches Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde (LER), Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 30, 1998; ders., Religionskunde im Lichte der Religionsfreiheit. Zur Verfassungsmäßigkeit des LER-Unterrichts in Brandenburg, ZevKR 44, 1999,147 ff.

10) Christoph Link, "Staat - Kirche - Recht - Geschichte". Zu Martin Heckels Gesammelten Schriften, in: FS für Martin Heckel, 3 ff.

11) ThLZ 116, 1991, 394 f.; 117, 1992, 226; 120, 1995, 375 ff.

12) Mit Link, a. a. O, 5 ff. zu reden.