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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

509–511

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wisker, Marius

Titel/Untertitel:

Events in der praktisch-theologischen Theoriebildung.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2021. 303 S. m. 19 Abb. Kart. EUR 39,00. ISBN 9783170416642.

Rezensent:

Jonathan Kühn

In einer Zeit, da kaum an Großveranstaltungen zu denken ist, hat sich mit Marius Wiskers in Heidelberg angenommener Dissertation ein weiteres Buch diesem weiten Feld zugewandt. Dabei liegt der Fokus auf der Theoriebildung. Die Gliederung trägt diesem Ansinnen Rechnung: Von vier Hauptteilen, die insgesamt 250 Seiten umfassen, nimmt nur einer (II., 57 S.) explizit auf Praxis Bezug. Die Buchstruktur insgesamt ist sehr klar: Einem Theorieteil (I., 15–133) folgen Praxisteil (II., 135–192) und Theologische Reflexion (III., 193–242), ehe Fazit (IV., 243–250), Anhang sowie Literatur- und Ab­bildungsverzeichnis (V.–VII., 251–303) den Abschluss bilden. Neben W.s zahlreichen Literaturbezügen ist der Bereich der praktischen Beispiele im Kern fokussiert auf zwei: den Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEK) und das Pfingstjugendtreffen in Aidlingen.
Das explizite Ziel besteht darin, die attestierte Lücke theologischer »Forschung zu christlichen Events« zu schließen und »den Begriff eines christlichen Events erstmals dar[zulegen]« (Klappentext). So nimmt es nicht wunder, wenn W. nach Ausführungen zu Schulzes Erlebnisgesellschaft und Reckwitz’ Singularitäten alsbald dazu übergeht, sich dem Eventbegriff selbst anzunähern und eine eigene Definition anzubieten: »Ein Event ist eine Veranstaltung, die vom Veranstalter auf eine fokussierte Zielgruppe hin professionell unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der drei Faktoren (1) teilnehmendes Subjekt, (2) Erlebnis und (3) die das Subjekt beeinflussende Gemeinschaft, ausgerichtet wird, um einzigartige Erlebnisse zu ermöglichen.« (61) Das Bild ineinandergreifender Zahnräder lässt das Zusammenspiel der drei Faktoren konstitutiv erscheinen: Alle drei sind unverzichtbar für das, was für W. ganz allgemein ein Event ausmacht. Sie können in sich jedoch wiederum von einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Elemente abhängen, wie die Gemeinschaft illustriert: Dazu gehören für W. nämlich die konstituierenden Faktoren Teilnehmer statt Besucher, gemeinsame Teilnahme sowie Mediatisierung 2.0. Gemeint sind hier zuvorderst die aktive Einbindung beteiligter Individuen ins Ge­schehen anstelle eines rein passiven Zuschauer-Daseins, das Partizipieren an Großveranstaltungen mit Event-Charakter in (Klein-)Gruppen sowie schließlich die Nutzung sozialer Medien. Letztere »dienen singularisierten Subjekten zur Produktion eines singulären Lebensstils« (52) und stellen entsprechend eine Valorisierungsinstanz dar.
Mit dieser begrifflichen Ausdifferenzierung sieht W. die gesellschaftliche Situation aufgenommen und eine Abgrenzung zu früheren Großveranstaltungen, die nicht als Events gelten, namentlich solche im Römischen oder im (sogenannten) Dritten Reich, ermöglicht. Allerdings erschließt sich nicht, warum es beispielshalber der (Selbst-)Darstellung in Sozialen Medien bedürfen soll, um für ein Individuum eine (Groß-)Veranstaltung zum Event werden zu lassen. Hier wären empirische Erhebungen sicherlich interessant. Doch sind bereits auf theoretischer Ebene einige (An-)Fragen an W.s Eventbegriff zu stellen, zumal, wenn die vorgenom-mene Scheidung zwischen Events auf der einen und Nicht-Events auf der anderen Seite nicht übernommen wird. Denn wo lässt sich tatsächlich von passiv-konsumierenden Zuschauern anstelle von Teilnehmern sprechen, statt, dass auch das (Zu-)Schauen und Hören bereits in sich als ein (potentiell) aktiv-partizipatives Tun anerkannt wird? Die konstatierte gesteigerte Beteiligung bei Events (50) kann gewiss auch bei Veranstaltungen beobachtet (und erlebt!) werden, die W. indes kategorisch nicht als Events anerkennt: Szenenapplaus im Theater oder Kino, Mitsingen bei konventionellen Konzerten, Stichwort-Vorgabe für Impro-Redebeiträge qua Notizzettel statt Smartphone etc. Kurzum: Die angebotene Event-Definition ist in sich zwar nachvollziehbar und gewiss diskussionswürdig, zugleich erschließt sich jedoch die scharfe Ab­grenzung zu dem, was hiernach nicht als Event gelten soll (und als Kontrastfolie dient), nicht recht, was wiederum nicht ohne Folgen für die Event-Definition bleiben kann.
Theologisch noch interessanter ist freilich die Charakterisierung christlicher Events, gebündelt im Fazit (243). Demnach eignen diesen als Spezifika die Merkmale (a) transzendente Sinngebung, (b) Einladung zur Gemeinschaft mit den Glaubensgeschwistern und Gott, sowie (c) Nachordnung monetärer Ziele. Abermals erscheinen die Setzungen jedoch nicht unproblematisch. Während die Aspekte (a) und (c) womöglich als Idealvorstellungen konsensfähig sind, beschreitet (b) in Sonderheit eine Sphäre des Frag-Würdigen. Denn die Implikation, dass christliche Events einzig von Christen wahrgenommen würden – also Subjekten, die das bereits sind oder dort werden –, suggeriert eine Exklusivität, die W. zwar kaum intendieren, die sich aber als (ein) Konstitutivum gleichwohl kaum von seinem Eventbegriff lösen lassen dürfte. Selbst wenn keine solche Identifikation der Event-Teilnehmer stattfände, so bliebe doch weiterhin die ihnen grundlegend zugeschriebene Haltung eine auf Gottes Reden hin ausgerichtete und somit klar fokussiert transzendenzoffene: geprägt von der Offenheit dafür ebenso wie von der Erwartung, dass Gott bei diesem christlichen Event redet: »Das teilnehmende Subjekt wird […] beim Event eingebunden, um gemeinsam Gott zu begegnen. Mehr noch als bei sonstigen Events ist durch das anvisierte Reden Gottes auch die innere und äußere Beteiligung der Teilnehmer erforderlich.« (205) Bei christlichen Events ist es nach W. »Gottes unverfügbares Reden, das aus einem Besucher einen Angesprochenen macht, der zur Teilnahme gerufen ist, was sich insbesondere durch gemeinsames Singen und Beten äußern kann.« (206) Dass solches stattfinden kann, sei unbestritten. Ob es hingegen als typisch, gar konstitutiv für christliche Events wie den DEK gelten kann, erscheint aber doch etwas hoch gegriffen.
Während sich noch allerlei weitere von W. zur Diskussion ge­stellte Aspekte aufgreifen ließen, soll abschließend nur zweierlei benannt werden. Zum einen droht das Changieren zwischen den Gattungen – nicht ganz im Bereich der Theorie, aber auch nicht konsequent empirisch ausgerichtet – immer wieder das zu überlagern, was die vorgelegte Arbeit für den praktisch-theologischen Diskurs und seine Theoriebildung leisten kann und will. Etwa, wenn (definitorische) Setzungen nicht zur Gänze nachvollziehbar begründet oder Annahmen begegnen, deren empirische Absicherung ausbleibt und die dem Leser nicht plausibel erscheinen (z. B. die individuelle Anreise zu einer Informationsveranstaltung im Kontrast zur Event-Anreise in Gruppen, 52). Mindestens vereinzelt enthaltene Bezüge auf bei Events praktisch zu Beachtendes lassen zudem fragen, inwieweit das Balancieren der Disziplin zwischen Praxistheorie und -inspiration hier zugunsten handfester Handlungsempfehlungen (mindestens stellenweise) womöglich verlassen wird (z. B. 125, Anm. 520). Zum anderen muten die referenzierten Praxisbeispiele, so interessant und lohnend sie fraglos sind, angesichts des doch sehr knappen Umfangs des praxisbezogenen Anteils der Arbeit insgesamt, in der Gesamtschau zu zahlreich an: DEK, Aidlingen, Taizé, ICF, das weite Feld der Kasualpraxis. Hier wären fokussierende Bescheidung und ergänzende Detailbetrachtungen vielleicht ein Gewinn gewesen.
Trotz dieser Anfragen ist aber festzuhalten, dass W. mit diesem Diskursbeitrag ein anregender Aufschlag für die weitere Fachdiskussion, die sich nicht auf die praktisch-theologische Subdisziplin begrenzen muss, gelungen ist, an den sich gewiss anknüpfen lässt in der weiteren Forschung im Bereich christlicher Events. Dabei ist besonders die leichte Zugänglichkeit und erfrischende Verschränkung von Praxis- und Theorieebene hervorzuheben.