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Ausgabe:

Mai/2022

Spalte:

449–452

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Brandes, Wolfram, Hasse-Ungeheuer, Alexandra, u. Hartmut Leppin [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Konzilien und kanonisches Recht in Spätantike und frühem Mittelalter. Aspekte konziliarer Entscheidungsfindung.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. XXI, 334 S. m. 2 Abb. = Forschungen zur byzantinischen Rechtsgeschichte. Neue Folge, 2. Geb. EUR 94,95. ISBN 9783110684308.

Rezensent:

Hanns Christof Brennecke

Der Band enthält die Beiträge einer 2017 zum Abschluss der kritischen Edition der Akten des 2. Nizänischen Konzils (787) durch Erich Lambertz vom Leibniz-Projekt »Polyphonie des spätantiken Christentums« in Kooperation mit dem inzwischen abgeschlossenen Langzeitprojekt »Edition und Bearbeitung byzantinischer Rechtsquellen« der Göttinger Akademie der Wissenschaften und dem Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte veranstalteten Tagung.
Es handelt sich um 16 ganz aus den Quellen gearbeitete und auch neue Erkenntnisse vermittelnde Beiträge. Im Zentrum steht die Entwicklung des Synodalwesens im byzantinischen Reich seit dem 5. Jh., flankiert von Untersuchungen zur gleichzeitigen Synodalgeschichte Italiens und des fränkischen Reiches. Das für die Entwicklung der Synoden als Bindeglied zwischen Kaiser und Episkopat entscheidende 4. Jh., wo auch erstmals Synodalkanones und sogenannte »Bekenntnisse« von Synoden beschlossen wurden und Sammlungen synodaler Entscheidungen in aktuellen theologischen Auseinandersetzungen entstehen (Athanasius von Alexandrien, Hilarius von Poitiers, Sabinus von Herakleia), kommt bis auf eine (und atypische) Ausnahme nicht vor. Auch fehlen Untersuchungen der für diesen Zeitraum besonders reichen und wichtigen Synodalüberlieferung des westgotischen Reiches.
Der Band ist im Ganzen sorgfältig redigiert, allerdings ist der Gebrauch der Begriffe »Synode« und »Konzil« nicht grundsätzlich geklärt (beides ist im fraglichen Zeitraum identisch), etwas ärgerlich ist, dass ACO nicht einheitlich zitiert wird.
Thomas Graumann behandelt in Fortführung früherer Untersuchungen die Frage der sehr unterschiedlichen Verfahren der Verschriftlichung synodaler Entscheidungen. Schon im 4. Jh. werden aber Protokolle durch Schnellschreiber erwähnt. Besonders theologische Texte der Synoden sind als Ergebnisse von dafür besonders eingesetzten Kommissionen zu verstehen (vgl. aber schon die Synode von Rimini 359). Inwieweit Protokolle aber auch ein Produkt der Überlieferung sein können, bleibt eine Frage.
Grundsätzliche Fragen der Überlieferung behandelt auch der Beitrag von Hartmut Leppin, der das Bild von Synoden in der Ge­schichtsschreibung des 6. Jh.s (Ps. Zacharias, Barḥadbeschabbas Ἁrbaya, Evagrius Scholasticus und Johannes von Ephesus) untersucht und deutlich machen kann, wie »konfessionelle« Gesichtspunkte der chalkedonensischen und verschiedenen antichalkedonensischen Autoren, für die Synoden normativ sind, und die, wenn auch unterschiedlich, die Rolle der Kaiser für selbstverständlich halten, ihr Bild der Synoden bestimmen.
Aus dem Rahmen fällt der einzige Beitrag zum 4. Jh. von Chris-tian Barthel. Nur in einem Teil der Pachomiusüberlieferung ist eine wohl 347 zu datierende Untersuchung von zwei Bischöfen gegen Pachomius in Latopolis erwähnt. Die hagiographische Überlieferung gestaltet das als eine Art Märtyrerprozess. Es erscheint allerdings fraglich, ob hier von einer Synode gesprochen werden kann, die als Zusammenkunft von Bischöfen definiert ist. Eher handelt es sich um einen der auch sonst bezeugten lokalen Konflikte zwischen Asketen und Klerus.
In Anknüpfung an Eduard Schwartz will Volker Menze die Synode von Chalkedon machtpolitisch als gegen einen universalen Primatsanspruch Dioskurs von Alexandrien gerichtet interpretieren. Ob es diesen Primatsanspruch Dioskurs gab, wird man bezwei-feln können. Nicht überzeugend erscheint, den Rückgriff auf die Synode von Konstantinopel 381 von daher zu interpretieren. Die Synode von Konstantinopel war außerdem ganz und gar nicht un­bekannt, wie die Kirchenhistoriker des 5. Jh.s zeigen; nur das in Chalkedon mit dieser Synode verbundene Bekenntnis hatte wahrscheinlich bis dahin keine besondere Rolle gespielt.
Philip Michael Forness untersucht die nur in den Akten der Konstantinopler Synode von 536 bezeugte Akklamation von Laien auf der Synode von 518 am Beginn der Herrschaft Justins. Seit dem Beginn des 6. Jh.s sind derartige Akklamationen immer wieder bezeugt. Forness untersucht das Genus der Akklamationen, die in dieser Form von früheren Synoden nicht überliefert sind, und fragt nach einer möglichen Rolle von Laien bei den theologischen Entscheidungen, oder einer Rolle von Mönchen (als Laien?). Unmittelbar daran anknüpfend fragt Maria Constantinou nach der Rolle der Benutzung von Archivmaterial bei der Formulierung von Synodalbeschlüssen, wie auf der Konstantinopler Synode von 536 deutlich wird, wo auf Archivalien aus Konstantinopel zurückgegriffen wurde. Allerdings ist die Synode von 536 nicht der früheste Beleg einer Archivbenutzung; schon die antiochenische Synode von 379 bestätigt frühere römische Synodalbeschlüsse und verweist ausdrücklich auf Akten in den römischen Archiven.
Heinz Ohme, zweifellos der beste Kenner der Überlieferung des Concilium Quinisextum (691/2) und Herausgeber der kritischen Edition der Akten der Synode, von der nur 102 Kanones, die Subskriptionsliste und ein Logos prosphonetikos an den Kaiser überliefert sind, zeigt, wie die Krisen des 7. Jh.s hier neue kirchenrechtliche Lösungen erforderten, und weist auf die Rolle der Synode bei der Herausbildung eines kanonischen Rechts und ihre sehr unterschiedliche Rezeption in Ost und West hin. Damit kommt nun auch der Westen in den Blick.
Andreas Weckwerth, der Herausgeber der überaus hilfreichen Clavis conciliorum occidentalium, fragt nach den Entstehungsprozess synodaler Kanones, die seit Beginn des 4. Jh.s zuerst im Westen bezeugt sind. Angesichts der Überlieferung scheint dieses Problem unlösbar. Weckwerth macht aber die Probleme der Verschriftlichung und Überlieferung deutlich.
Claudia Föller versucht anhand von Präsenz- und Subskriptionslisten von Ende des 5. bis Ende des 8. Jh.s von den nur etwa 60 überlieferten Synoden Italiens die bischöflichen Teilnehmer festzustellen, was anhand der Überlieferung, bei der die Lateransynode von 649 eine Ausnahme bildet, deren Akten aber nach Riedinger als literarische Produkte angesehen werden müssen, methodisch problematisch ist.
Florian Hartmann kann anhand der Synoden im fränkischen Reich seit Karl d. Gr. überzeugend zeigen, wie nach dem Tod Karls d. Gr., der seine Rolle in der Kirche ganz nach dem Vorbild Konstantins definierte, die Bischöfe immer eigenständiger werden bis hin zur Rezeption der Zweigewaltentheorie des Gelasius (bei Paulinus von Aquileia ist princeps nicht »Kaiser« zu übersetzen [169, Anm. 3], der Karl 794 noch nicht war und der auch sonst im Text des Paulinus rex genannt wird).
Tim Geelhaar untersucht den Gebrauch von populus christianus (Dei) in lateinischen Konzilstexten des Karolingerreiches. Der Beitrag zeigt die Möglichkeiten, aber eben auch die Grenzen der Benutzung von Datenbanken. Eine eindeutige Interpretation ist eben nicht festzumachen. Populus christianus kann alle Christen, aber auch nur die Nichtkleriker (Laien) oder das ganze fränkische Volk meinen. – Ob Karl. d. Gr. sich wirklich als Schutzherr aller Christen angesehen hat, wie der Vf. unter Berufung auf Fried meint, scheint mir nicht so eindeutig.
Mit dem Beitrag von John Haldon nimmt der Band das Ziel Nizäa II in den Blick. Haldon zeigt, dass die oft bis in die moderne Literatur behauptete monastische Opposition gegen den Ikonoklasmus als hagiographische Tradition nach 787 anzusehen ist, die überlieferten Konflikte dagegen andere Ursachen haben.
Der Beitrag von Kirill A. Maksimovič führt über die Synode von 787 hinaus und kann das »Synodikon der Orthodoxie« als Überwindung des 2. Ikonoklasmus gegen ältere Ansätze (Grumel) auf 843 (Synode von Konstantinopel) datieren und die Gattung dieses Textes näher bestimmen.
Dem Anlass der Tagung entsprechend sind die Beiträge von Panagiotis A. Agapitos und Wolfram Brandes als Hommage an Erich Lambertz zu verstehen.
Panagiotis führt hervorragend in die Edition von Lambertz ein und bietet eine unschätzbare Hilfe für ihre Benutzung. Brandes zeigt, dass und wie durch die kritische Edition der Akten neue historische Erkenntnisse möglich werden. Abschließend macht Erich Lambertz knapp deutlich, worum es bei der Edition der Akten ging: um die kritische Edition der Akten und nicht der einzelnen Texte, bei denen allerdings durchaus Echtheitsfragen zu lösen waren (als Beispiel der angebliche Brief des Basilius von Caesarea an Kaiser Julian). Vor allem konnte die Edition nachweisen, dass die These, die Akten seien weithin erst im 9. Jh. redigiert worden, falsch ist, und die gelegentlich geleugnete theologische Relevanz deutlich machen.
Kritische Editionen ermöglichen neue Forschungsperspektiven und sind deshalb grundsätzlich ein dringendes Desiderat, was dieser interessante Sammelband überzeugend deutlich macht. So kann er als Ermunterung zur – entsagungsvollen – editorischen Ar­beit verstanden werden.